Einen großen Namen hat die Wiener Nachhilfeplattform Go Student nach wie vor, positive Meldungen über das einstige Vorzeige-Start-up gab es in den vergangenen Jahren aber kaum. Das bleibt vorerst so. Am Mittwoch wurde die Bilanz für das Geschäftsjahr 2022 im Firmenbuch veröffentlicht, und darin klafft ein beträchtliches Loch.

Unterm Strich steht ein Verlust von knapp 221 Millionen Euro. Den Verlustvortrag (93 Mio. Euro) von dem Jahr davor dazugerechnet, summiert sich der Bilanzverlust auf mehr als 314 Millionen Euro, als erstes hatte das Branchenmedium "Trending Topics" darüber berichtet. Zwar hätte der Jahresabschluss bereits im September des Vorjahres gelegt werden müssen, aber derartige Verspätungen sind in Österreich nichts gänzlich Unbekanntes.

Weltweit wollte Go Student die Nummer eins in Sachen Onlinenachhilfe werden. Vor allem 2022 musste das Unternehmen aber ordentlich zurückrudern.
AFP/MANAN VATSYAYANA

Gute erste Halbzeit

Wäre das 2022er-Geschäftsjahr von Go Student ein Fußballspiel, würde das Team bis zur Halbzeit hoch führen und dann die Partie dann doch noch verlieren. Was soll das heißen?

2022 begann für die beiden Gründer Felix Ohswald und Gregor Müller extrem erfolgreich. Im Jänner stellte das Edu-Tech – so werden Start-ups aus dem Bildungsbereich im Branchensprech genannt – einen Investmentrekord auf. 300 Millionen Euro sammelte das Unternehmen ein, die Firmenbewertung schoss daraufhin auf drei Milliarden Euro hoch. Im Februar wurden zwei Konkurrenten übernommen, und im März startete die Expansion in die USA. Bei den scheinbaren unternehmerischen Wunderwuzzis lief es bestens.

Nicht alles Gold, was glänzt

Doch die Fassade begann bereits im Frühjahr zu bröckeln. Damals kam schwere Kritik von freiberuflichen Tutorinnen und Tutoren wegen der Arbeitsbedingungen, später dann auch von Angestelltenseite.

Dazu kamen die wirtschaftlichen Auswirkungen des Ukrainekriegs, den wie der Rest der Welt auch Go Student zu spüren bekam. Energiekrise, Inflation, schwächelnde Konjunktur, Zinswende – damit haderte das Unternehmen, das bis dahin alles einem möglichst schnellen Wachstum untergeordnet hatte.

18 Millionen pro Monat

Über das Jahr gerechnet wurden also im Schnitt 18 Millionen Euro pro Monat verheizt, so schnell kann niemand wachsen, um das zu kompensieren. Weil sich auch die Stimmung bei den Risikokapitalgebern änderte und lang hintangestellte Profitabilität plötzlich wieder in den Fokus rückte, änderte Go Student im September 2022 erstmals den Kurs. Kosten für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war einer der ersten großen Bilanzbrocken, bei denen das Unternehmen ansetzte.

Im Frühherbst wurden 200 Mitarbeitende gekündigt, im Dezember desselben Jahres noch einmal mehrere Hundert. Begleitet wurden die Massenkündigungen von schweren Vorwürfen der Belegschaft, wonach die Beschäftigten monatelang mit leeren Versprechen über Gehaltsanpassungen hingehalten und im Endeffekt gekündigt wurden, DER STANDARD hat berichtet. Das Geschäft in den USA wurde wieder abgedreht, bevor es wirklich begonnen hatte, und weitere Zweigstellen in Lateinamerika sowie Europa wurden ebenfalls geschlossen.

Im Vorjahr lief es dann für die gesamte Start-up-Branche in Österreich besser, als es zu erwarten gewesen war. Mit 184 Finanzierungsrunden endete 2023 entgegen dem internationalen Trend sogar mit einem neuen Rekord. So viele Investments waren noch nie an heimische Jungunternehmen geflossen. Bisher waren 151 im Jahr 2020 die Höchstmarke gewesen.

Volumen eingebrochen

Der Gesamtwert der Investitionen ist allerdings um ein Drittel auf 695 Mio. Euro eingebrochen, wie aus dem aktuellen Investment Barometer des Unternehmensberaters EY hervorgeht. Allerdings sei die Finanzierungssumme dennoch höher als vor den Rekordjahren 2021 (1,23 Mrd. Euro) und 2022 (eine Mrd. Euro).

"Zum einen ist dieser Anstieg der Finanzierungsrunden ein starkes Signal. Auf der anderen Seite gibt es einen deutlichen Rückgang der Mega-Runden, die in Österreich sehr stark von rein international besetzten Investorengruppen getrieben sind. Zwar gab es 2023 so viele rein von internationalen Investorengruppen getragene Runden wie noch nie, allerdings in früheren Phasen und mit deutlich geringeren Volumina", sagt Florian Haas, Head of Start-up bei EY Österreich.

Bessert sich die Stimmung, weiß das offensichtlich auch Go Student für sich zu nutzen. Im Frühjahr kündigte Geschäftsführer Ohswald an, bis Jahresende profitabel zu sein, im Sommer wurde eine Kapitalerhöhung über knapp 100 Millionen US-Dollar verkündet, um den Einsatz von KI zu forcieren und in diesem Feld zu expandieren. Vor zwei Wochen folgte ein altbekannter Mechanismus: Go Student kündigte einen Stellenabbau an. (Andreas Danzer, 8.2.2024)