"Als einer der Forscher den Sensor an seinem eigenen Körper anbrachte, konnte ich mit meiner Phantomhand die Wärme einer anderen Person spüren. Das war ein sehr starkes Gefühl für mich, es war, als würde ich eine Verbindung zu jemandem reaktivieren", sagt der 57-jährige Fabrizio aus Pistoia. Mit einer neuen Prothese, die von Forschenden aus der Schweiz und Italien entwickelt worden ist, kann er mit der amputierten Hand Wärme spüren und verschiedene Materialien anhand ihrer Temperatur unterscheiden.

Patient Fabrizio mit Prothese
Fabrizio mit Handprothese
Der 57-jährige Fabrizio hat erstmals eine Handprothese erhalten, mit der es möglich ist, Wärme zu spüren.
EPFL/Caillet

Eine neue Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) und der Scuola Superiore Sant'Anna in Pisa, die am Freitag in der Fachzeitschrift "Med" von Cell Press erschienen ist, zeigt, wie es erstmals gelungen ist, das natürliche Temperaturempfinden in eine funktionelle Prothese zu integrieren. "Die Temperatur ist eine der letzten Grenzen, um Roboterhänden ein Gefühl zu geben. Zum ersten Mal sind wir wirklich nah dran, die gesamte Palette der Empfindungen für Amputierte wiederherzustellen", sagt Silvestro Micera, einer der Hauptautoren der Studie.

"Bisher wurden thermische Empfindungen in der Neuroprothetik-Forschung stark vernachlässigt, obwohl es immer mehr Beweise für ihre Bedeutung in unserem Alltag gibt. Wir glauben, dass amputierte Personen von der Wiedererlangung von Temperaturempfindungen profitieren könnten, die weit über die Erkennung von kalten oder warmen Objekten hinausgehen", sagt Jonathan Muheim, Doktorand an der EPFL und Mitautor der Studie.

Experimente mit Prothese
Fabrizio in a blinded experiment
In Blindversuchen wurden unterschiedliche Funktionen der Prothese mit Patient Fabrizio getestet.
EPFL/Caillet

Thermisches Phantomempfinden

Sensorisches Feedback zählt zu den wichtigsten Schritten, um Menschen mit einer Amputation die Interaktion mit ihrer Umwelt zu ermöglichen. Bei der Entwicklung des Gerätes mit dem Namen "Mini Touch" bauten die Forschenden auf früheren Erkenntnissen zum sogenannten thermischen Phantomempfinden auf. Im Mai 2023 hatte dasselbe Forschungsteam im Fachblatt "Science" über eine überraschende Entdeckung berichtet: Die Forscherinnen und Forscher hatten Personen mit amputierten Händen Thermoelektroden auf den Armstumpf gelegt. Dies in der Erwartung, Informationen darüber zu erhalten, wo sie die Elektroden am Stumpf spürten.

Die Versuchspersonen fühlten die Temperatur jedoch nicht am Armstumpf, sondern an der fehlenden Hand. Dieses Konzept tauften die Forschenden thermisches Phantomempfinden. Eine bestimmte Stelle auf dem Armstumpf projizierte dabei jeweils die Temperatur auf einen bestimmten Teil der Phantomhand.

Das Gerät "Mini Touch" macht es für Patient Fabrizio im Blindversuch möglich, Metallwürfel mit unterschiedlichen Temperaturen genau und schnell zu klassifizieren.
EPFL/Caillet

"Hand gehört mir"

Dieses Konzept integrierten die Forscherinnen und Forscher nun in die Prothese. Ein weiterer Vorteil von "Mini Touch" ist: Das Gerät verwendet handelsübliche Elektronik, kann in herkömmliche Prothesen integriert werden, eine Operation ist nicht erforderlich. "Dies ist eine sehr einfache Idee, die leicht in handelsübliche Prothesen integriert werden kann", sagt Micera. Mit "Mini Touch" war es für Fabrizio im Blindversuch möglich, zwischen drei visuell nicht unterscheidbaren Flaschen mit kaltem, kühlem und heißem Wasser mit 100-prozentiger Genauigkeit zu unterscheiden, während seine Genauigkeit ohne das Gerät nur 33 Prozent betrug.

"Durch die Hinzufügung von Temperaturinformationen wird die Berührung menschenähnlicher", sagt Solaiman Shokur von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne, einer der Hauptautoren. "Wir glauben, dass die Fähigkeit, die Temperatur zu messen, das Gefühl der Amputierten verbessern wird – das Gefühl, dass 'diese Hand mir gehört'."

Natürlichere Prothesen

Das Gerät "Mini Touch" verbesserte auch die Fähigkeit des Patienten, zwischen menschlichen und prothetischen Armen zu unterscheiden, während er die Augen verbunden hatte – von 60 Prozent ohne Gerät auf 80 Prozent mit Gerät. "Unser Ziel ist es nun, ein multimodales System zu entwickeln, das Berührungs-, Wahrnehmungs- und Temperaturempfindungen integriert", sagt Shokur. "Mit dieser Art von System werden Menschen in der Lage sein, Ihnen zu sagen: 'Das ist weich und heiß' oder 'Das ist hart und kalt'."

In einem nächsten Schritt wollen die Forschenden "Mini Touch", das bisher nur im Labor getestet wurde, für eine breitere Nutzung verfügbar machen. Allen Menschen mit amputierten Händen wird das neue Gerät aber wohl nicht helfen. In der Studie vom Mai kam es nur bei 17 von 27 Testpersonen zu einem thermischen Phantomempfinden. Die Forschenden sind dennoch zuversichtlich: "Diese Studie ebnet den Weg für natürlichere Handprothesen, die das gesamte Spektrum der Empfindungen wiederherstellen und den Amputierten eine reichere und natürlichere Wahrnehmung der taktilen Welt ermöglichen", sagt Micera. (red, Apa, 9.2.2024)