Yanis Varoufakis
Yanis Varoufakis: "Es vergiftet die Art, wie sie Beziehungen miteinander aufbauen, weil selbst das Teil ihres Lebenslaufs wird."
APA/AFP/SPYROS BAKALIS

Vor ziemlich genau 20 Jahren erblickte eine Plattform namens Facebook das Licht der Welt und läutete damit den Siegeszug von Social Media ein: Apps wie Twitter/X, Instagram und Tiktok sollten folgen und Menschen teils mehrere Stunden täglich an sich binden. Kritische Worte zur Bedeutung dieser Entwicklung für Einzelpersonen und die Gesellschaft findet in einem Interview mit dem Wirtschaftsmagazin "Fortune" nun kein Geringerer als der Wirtschaftsprofessor Yanis Varoufakis, besser bekannt für seine Rolle als griechischer Finanzminister vom Jänner bis zum Juli 2015 während der griechischen Schuldenkrise.

Arbeit und Freizeit

Die Trennung zwischen Arbeit, Freizeit und Hobbys sei in der Zeit der Algorithmen verloren gegangen, sagt Varoufakis. Die Mechanismen des Silicon Valley ermutigen die Menschen zur Selbstdarstellung, während die Entwicklung auf Empfehlungsmechanismen beruhe, deren Funktionsweise wiederum in der Macht Einzelner liege.

"Wenn Sie ein Kind der oberen Mittelklasse sind und Ambitionen im Leben haben, dann wissen Sie, dass jedes auf Tiktok hochgeladene Video, jeder Tweet und alles, was Sie auf Facebook schreiben, Ihnen bei einem Bewerbungsgespräch entgegengeworfen wird," führt der 62-jährige Ökonom aus.

Vergiftete Generation Z

In seiner weiteren Argumentation verweist Varoufakis auf Bücher wie Kyle Chaykas "Filterworld" und Taylor Lorenz' "Extremely Online" und betont, dass die online verwurzelte Generation Z nicht von einem Gefühl der "inneren Freiheit" getrieben werde, sondern von dem, was ihrer Ansicht nach Konzerne wie Google oder Meta als eine freie Person betrachten könnten.

"Es gibt keine schöne, saubere Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Und das kann eine Generation nicht unberührt lassen", sagt Varoufakis: "Es vergiftet wirklich die Art, wie sie Beziehungen miteinander aufbauen, weil selbst das Teil ihres Lebenslaufs wird."

Dem Ökonomen zufolge sei die Generation Z zunehmend "entfremdet" und reagiere zynisch auf die Effekte, welche soziale Medien auf ihre Kultur haben. "Sie wachsen schneller auf, da sie in einer Social-Media-Welt leben, in der sie gezwungen werden, eine Identität zu finden, ohne dass dies aus Eigenantrieb geschieht", sagt Varoufakis. "Deswegen spreche ich vom Tod des liberalen Individuums, weil sie dann nicht mehr autonom sind."

Vergleichsweise nostalgisch könne man auf die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückblicken, als Konzerne zwar von 9 bis 17 Uhr Kleidervorschriften vorgaben und ähnliche heute fast tyrannisch wirkende Praktiken in ihrer Betriebskultur verankert hatten, man nach dem Arbeitstag in der Freizeit aber ein anarchistischer Poet sein konnte. Dies habe unsere Gesellschaft nun verloren.

Situation in Österreich

In Österreich gibt der "Jugend-Internet-Monitor" Aufschluss darüber, welche Social Networks von Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren – also jenen Menschen, die in ein paar Jahren in das Berufsleben einsteigen – genutzt werden. Angeführt wird dieses Ranking vom Messengerdienst Whatsapp, der von 96 Prozent der Befragten genutzt wird. Hier geht es weniger um Selbstdarstellung als um bilaterale oder Gruppenkommunikation.

Die Videoplattform Youtube (94 Prozent) dürfte auch von vielen jungen Menschen eher passiv genutzt werden. Doch auch Plattformen wie Instagram (75 Prozent) und Tiktok (68 Prozent) finden sich im Ranking jener Apps, die Jugendliche regelmäßig nutzen.

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Dass man teils zu viel Zeit auf diesen Netzwerken verbringe, dürfte vielen Menschen bewusst sein, wenn sie ihr eigenes Verhalten hinterfragen. So gaben in einer US-Umfrage des Pew Research Center im Jahr 2022 rund zwei Drittel der befragten Jugendlichen an, zu viel Zeit mit Social Media zu verbringen. Und 54 Prozent meinten, sie könnten ihre Social-Media-Aktivitäten ohne Probleme aufgeben. (stm, 13.2.2024)