Drei Tage nach dem Rücktritt von Staatspräsidentin Katalin Novák wegen einer Begnadigung in einem Fall der Beihilfe zum Kindesmissbrauch steht das Machtsystem von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán weiter unter Druck. Zwar hat Novák am Samstag ihre Demission erklärt (DER STANDARD berichtete), doch die Motive für die Amnestierung des ehemaligen Heimerziehers Endre K. bleiben unverändert im Dunkeln.

K. war rechtskräftig zu einer mehr als dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil er die minderjährigen Opfer des sexuellen Missbrauchs durch seinen Vorgesetzten, den Heimleiter, zur schriftlichen Widerrufung ihrer Aussagen nötigen wollte. Novák hatte ihn im April des Vorjahrs begnadigt – was aber erst zu Beginn dieses Monats bekannt wurde.

Katalin Novák
Katalin Novák sollte das Gesicht von Orbáns Familienpolitik sein. Nun ist sie das eines riesigen Skandals.
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Der Skandal schlug hohe Wellen und irritierte die Öffentlichkeit bis weit in Orbáns Anhängerschaft hinein. Novák war 2022 gerade deshalb als erste Frau in der modernen Geschichte des Landes ins höchste Staatsamt gehievt worden, weil sie zuvor als Orbáns Familienministerin das Gesicht des von der Regierung propagierten traditionellen Frauen- und Familienbilds gewesen war.

Bischof spielte zentrale Rolle

Inzwischen wurde zumindest klar, von wem der Anstoß für die fatale Begnadigung gekommen sein dürfte: Das Oberhaupt der reformierten (calvinistischen) Kirche in Ungarn, Bischof Zoltán Balog, soll sich Medienberichten zufolge bei Novák massiv für K.s Begnadigung eingesetzt haben. Balog soll den Mann gekannt haben, weil sich dieser als Laie in der reformierten Kirche engagiert hatte.

Balog steht wiederum dem Rechtspopulisten Orbán sehr nahe. Von 2012 bis 2018 war er Minister für Humanressourcen. Der Theologe und reformierte Pfarrer war zeitweise so etwas wie ein pastoraler Mentor Orbáns.

Der Regierungschef bekennt sich schon seit längerem öffentlich zur reformierten Glaubensrichtung, so wie es 16 Prozent der Bevölkerung tun. Balog gilt wiederum als der "Erfinder" Nováks – ihre politische Laufbahn begann sie 2012 als Kabinettschefin in Balogs Ministerium, der sie wiederum, auch dank seines Einflusses bei Orbán, beständig protegierte.

Weitere Rücktritte

Zusammen mit Novák trat am Samstag auch Ex-Justizministerin Judit Varga von ihren verbliebenen politischen Ämtern zurück. Sie hatte als damalige Ressortchefin K.s Amnestierung gegengezeichnet. Für Aufsehen sorgt seitdem ihr Ex-Mann Péter Magyar, ein bislang gut versorgter Manager in staatlichen und staatsnahen Unternehmen: Er legte am Sonntag alle seine Vorstandsposten nieder. Auf diversen medialen Plattformen greift er seitdem als korrupt verschriene Orbán-Günstlinge an – wie etwa den mächtigen Kanzleichef und Propaganda-Verantwortlichen im Amt des Ministerpräsidenten, Antal Rogán; oder auch Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz, der nominell an der Spitze eines 250 Millionen Euro schweren oligarchischen Unternehmenskonglomerats steht.

In einem Gespräch mit dem Internet-Fernsehsender Partizán, das bis Dienstag 800.000-mal abgerufen wurde, sprach Magyar am Montag mit Insiderwissen über die Korruption im Orbán-System und meinte: "So kann das nicht mehr weitergehen. Wenn wir nicht haben wollen, dass unsere Kinder in einer Familien-AG namens Ungarn aufwachsen, dann wäre es gut, etwas daran zu ändern." (Gregor Mayer, 13.2.2024)