In Wien gingen am frühen Freitagabend wieder tausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße: Eine Demonstration und vier Standkundgebungen richteten sich gegen den von der Wiener FPÖ veranstalteten Akademikerball, der ab dem Abend in der Hofburg stattfand. Während der Protest gegen die Ballnacht, bei der sich rechte Politikerinnen aus ganz Europa vernetzen, Tradition hat, fanden in den letzten Wochen zahlreiche andere Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und Faschismus statt – am Sonntag ist die nächste in Dornbirn geplant.

Bei der Demonstration "Demokratie verteidigen!" am 26. Jänner vor dem Parlament in Wien gingen Zehntausende gegen rechts auf die Straße.
© Christian Fischer

Anlass für die breiten Proteste waren Äußerungen zur Abschiebung unzähliger Menschen mit Migrationshintergrund, die bei einem Treffen in Deutschland vom rechtsextremen Martin Sellner gemacht wurden. Die FPÖ findet Gefallen daran, Bundesparteiobmann Herbert Kickl forderte am Freitag einen "Geh-heim-Plan", gegen "Remigration" gebe es nichts einzuwenden.

Wo Demos Rechte Prozentpunkte gekostet haben

Die Zustimmung zur FPÖ ist in den letzten Wochen allerdings nicht merklich gesunken. Bringen die Proteste demnach also gar nichts? Wissenschafter, die sich mit den Auswirkungen von Demonstrationen auf Wahlergebnisse beschäftigen, würden sagen: doch.

Dass Massenproteste Einfluss auf Wahlergebnisse haben können, hat man unter anderem in drei europäischen Ländern erkennen können: In Griechenland schnitt 2012 die rechtsextreme Goldene Morgenröte je nach Häufigkeit der Proteste vor Ort rund einen Prozentpunkt schlechter ab. Bei Kommunalwahlen in der italienischen Region Emilia-Romagna waren es vier Prozentpunkte, die die Lega 2020 in Orten mit Demos im Gegensatz zu vergleichbaren Wahlbezirken ohne Demos einbüßte. Und für Frankreich und den dortigen Front National (heute Rassemblement National) wurden Einbußen bei der Präsidentschaftswahl 2002 gemessen.

Wichtige Faktoren

Erklären lasse sich das mit sozialem Druck und Normen, sagt Vicente Valentim, der an der Universität Oxford zum Aufstieg der radikalen Rechten in Europa forscht. Demonstrationen signalisieren, dass rechte bzw. rechtsextreme Positionen sozial nicht erwünscht sind.

Am Mittwoch zog bereits eine Demo gegen Burschenschaften durch Wien.
Am Mittwoch zog bereits eine Demo gegen Burschenschaften durch Wien.
Toni Titze, Nicholas Wemer

Damit der Unmut der Straße sich auch auf die Hochrechnungsbalken am Wahltag niederschlägt, müssen allerdings bestimmte Faktoren erfüllt werden. Wichtig ist demnach einerseits die Dauer: Proteste müssten bis zu Wahlterminen anhalten. In Griechenland, Italien und Frankreich war das der Fall. In Österreich hieße das, dass noch über ein halbes Jahr lang gegen die FPÖ demonstriert werden müsste.

Konservatives Stoppschild

Entscheidend sei auch, dass es zu keinen inneren Konflikten in den Protestbewegungen komme und dass das Bündnis auch von Personen getragen werde, die nicht aus dem linken Lager kommen. "Wie sich konservative Politiker und Bürger jetzt verhalten, kann entscheidend sein", sagt Valentim der "Zeit". Mit Demo-Mottos wie "Burschenschaften das Tanzbein brechen" könnte das freilich eine Herausforderung werden.

Wie sich die "Mitte" verhält, sei laut Valentim außerdem zentral: Konservative könnten demnach im Bündnis mit den anderen politischen Kräften als eine Art Stoppschild gegen rechts fungieren. Das Stoppschild hat in Österreich allerdings bereits einige Beulen. Immerhin sitzt die ÖVP derzeit in drei Landesregierungen mit der FPÖ, und auch auf Bundesebene war die FPÖ bereits mehrmals in Regierungsverantwortung.

Der Forscher sieht darin einen Dammbruch, der den Aufstieg der radikalen Rechten vorangetrieben habe. Denn die Menschen würden ja nicht plötzlich rechter denken, sie würden es nur offener zeigen als zuvor, weil rechte Positionen und Parolen salonfähig gemacht wurden.

Als Festredner beim Akademikerball war heuer der langjährige FPÖ-Politiker und FPÖ-Volksanwalt Walter Rosenkranz angekündigt. Er ist selbst sogenannter Alter Herr der Libertas Wien, einer Burschenschaft, die sich laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im "Mainstream des österreichischen Burschenschaftswesens" bewegt und 2009 den neonazistischen Bund Freier Jugend (BFJ) ausgezeichnet hat. Rosenkranz tat Kritik an der Preisverleihung damals als "Diffamierung" ab.

Im Vorfeld hatte sich abgezeichnet, dass Bundesparteichef Herbert Kickl erneut auf den Ball verzichten dürfte. Er ist kein Korporierter und besucht den Ball nie. Auch der Spitzenkandidat der FPÖ für die EU-Parlamentswahlen, Harald Vilimsky, sagte dem STANDARD schon am Donnerstag, dass er keine Bälle möge und deshalb auch diesem fernbliebe. Kickl und Vilimsky machen offenbar auch im Wahlkampf keine Ausnahmen.

Der Spitzenkandidat für die EU-Wahlen der AfD, Maximilian Krah, war zumindest am Donnerstagabend mit Vilimsky in Wien unterwegs. Gesichtet wurde am Ball dann AfD-Bundestagsabegordenter Markus Frohnmaier. Er feierte in der Vergangenheit unter anderem die Annexion der Krim durch Russland 2014. (Lara Hagen, Colette M. Schmidt, 16.2.2024)