Mario Eustacchio, Mario Kunasek,Hannes Amesbauer
Damals noch in Amt und Würden: Mario Eustacchio (links), Mario Kunasek (Mitte) und Hannes Amesbauer bei einer Pressekonferenz im Jahr 2021.
FPÖ Stmk

Es waren keine politischen Gegner der FPÖ, keine Investigativmedien, keine "linkslinken" Aktivisten, keine Antifaschistinnen und auch keine "Weltverschwörung", die die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften in einer millionenschweren Finanzaffäre vor über zwei Jahren auslösten.

Es war eine Selbstanzeige des ehemaligen Grazer FPÖ-Klubdirektors und langjährigen Mitglieds der "freiheitlichen Familie", die jahrelange Praktiken im Umgang mit Klubförderungen, also Geld von Steuerzahlenden, publikmachten.

Vorangegangen waren der Selbstanzeige Mails eines, offenbar internen, Whistleblowers, der im Herbst 2021 die Ein- und Ausgänge des Klubkontos der Grazer FPÖ verbreitete. Die Grazer Kleine Zeitung berichtete als erstes Medium über die Malversationen.

Am 31. Oktober 2021 trat dann die gesamte Grazer Parteispitze zurück, wenige Tage darauf zeigte sich der bereits zu diesem Zeitpunkt ehemalige FPÖ-Klubdirektor Matthias Eder am 5. November 2021 selbst an. Seither berichtete DER STANDARD regelmäßig und aktuell über jede Entwicklung in dem Verfahren.

Es geht demnach um insgesamt rund 1,8 Millionen Euro mutmaßlich veruntreutes Fördergeld im Zeitraum von 2014 bis 2021. Es geht um den Vorwurf von zu hohen Zahlungen an den Ex-Vizebürgermeister Eustacchio und seinen damaligen Klubchef Armin Sippel zusätzlich zu deren Politikerbezügen. Bei Eustacchio sollen das rund 50.000 Euro im Jahr extra gewesen sein. Es soll aber auch dubiose Überweisungen an parteinahe Vereine oder Spenden an die Identitären oder auffallend hohe Ausgaben für Suchtberatungen gegeben haben.

Der Verfahrensdschungel

Erst ein Jahr später ordnete die Staatsanwaltschaft Klagenfurt Hausdurchsuchungen an. Sie hatte die Ermittlungen von der Grazer Staatsanwaltschaft übernommen, weil sich diese wegen freundschaftlicher Verbindungen für befangen erklärte. Mittlerweile wird gegen neun Personen ermittelt – in einem Hauptverfahren mit mehreren Nebensträngen. Angeklagte gibt es bis heute nicht. Dafür die Kritik anderer im Parlament vertretener Parteien, das Verfahren sei verschleppt worden.

Abgesehen von Eder bestreiten alle Beteiligten alle Vorwürfe. Es gilt für alle genannten Personen die Unschuldsvermutung.

Das Hauptverfahren

Im Hauptverfahren gibt es sechs Beschuldigte. Einer ist Mario Eustacchio, der bis vor der Wahlschlappe gegen die heutige KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr im September 2021 Vizebürgermeister von Graz war. Eustacchio ist nach Bekanntwerden der Affäre aus der FPÖ ausgetreten. Die weiteren Beschuldigten sind der FPÖ-Klubchef Armin Sippel, der ehemalige Klubdirektor Matthias Eder, der ehemalige FPÖ-Gemeinderat Roland Lohr, der Chef der Landes-FPÖ Mario Kunasek und ein ehemaliger Mitarbeiter der Partei. Gegen die sechs Männer wird wegen des Verdachts des Betrugs, der Untreue und des Fördermissbrauchs ermittelt.

Von der Landespartei wurden 2021 zwei bisher politisch weitgehend Unbekannte als Grazer FPÖ-Spitze nachbesetzt:

Die Aufklärer

Der junge ehemalige Bezirksrat Alexis Pascuttini und Claudia Schönbacher, bisherige Gemeinderätin. Doch diese muckten auf: Sie wollten Lohr nicht mehr in ihren Reihen haben, als sie bemerkten, dass Lohr selbst jahrelang Einsicht in die Finanzen der Stadtpartei gehabt hatte.

Lohrs Ausschluss verhinderten aber Kunasek und Bundesparteichef Herbert Kickl. Sie warfen stattdessen im Oktober 2022 Pascuttini und Schönbacher aus der Partei. Lohr blieb vorerst, später trat er selbst aus. Pascuttini und Schönbacher stehen nun als Klubchef und Stadträtin dem Korruptionsfreien Gemeinderat Graz (KFG) vor, der Großteil der ehemals freiheitlichen Mandatare folgte ihnen dorthin. Nur Günter Wagner blieb als blauer Gemeinderat ohne Klub übrig. Der KFG genießt nach einem Hickhack zwischen der Staatsanwaltschaft Klagenfurt und dem Gericht in Kärnten wieder als Privatbeteiligter Opferstatus in dem Verfahren. Dies entschied das Oberlandesgericht Graz.

Das NS-Material

Gegen zwei der sechs Beschuldigten im Hauptverfahren wird auch noch nach dem NS-Verbotsgesetz ermittelt – gegen den mittlerweile wilden Mandatar Lohr und einen Mitarbeiter ohne politische Funktion. Bei beiden wurde übelste nationalsozialistische Propagandaliteratur bei den Hausdurchsuchungen als Beifang gefunden. Auch hier gab es noch keine Anklage.

Der neue Kapitän

An der Spitze der Grazer FPÖ hatte Kunasek Bedarf für einen neuen Kapitän, der mit ruhiger Hand durch die raue See führt. Die Wahl fiel ausgerechnet auf den Nationalratsabgeordneten Axel Kassegger. Er wurde im März 2022 zum geschäftsführenden Stadtparteiobmann gekürt. Er hat aber seit damals alles andere als Ruhe in die Stadtpartei gebracht. In seinem engsten, auch familiären Umfeld sorgen Ermittlungen um eine millionenschwere Kryptowährungspleite und Drogenvorwürfe, wie unter anderem die Herstellung von Chrystal Meth, für Aufregung. Zuletzt kam Kassegger in die Kritik, weil er die Taliban-Reise des Ex-EU-Abgeordneten Andreas Mölzer und des einstigen FPÖ-Nationalratsabgeordneten Johannes Hübner mitorganisiert hatte. Kassegger legte daraufhin seine Rolle als außenpolitischer Sprecher des Parlamentsklubs zurück.

Collage zu den Verfahren 
Die Verfahren im Überblick.
Fotos: APA / Erwin Scheriau (5), APA / Ingrid Kornberger, Stadt Graz / Fischer (3), Imago; Collage: DERSTANDARD

Der Nebenstrang Hausbau

Gegen Mario Kunasek wird wegen der Delikte der falschen Beweisaussage, der Unterdrückung eines Beweismittels auch in einem weiteren Nebenverfahren ermittelt. Im Mai des Vorjahres wurde eine anonyme Anzeige gegen Kunasek wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Abrechnung beim Bau seines Eigenheims publik. Der beauftragte Architekt, der Dritte Landtagspräsident Gerald Deutschmann, baute auch die FPÖ-Parteizentrale in Graz um. Die Anwälte von Kunasek und Deutschmann bezeichneten alle Vorwürfe als "substanzlos".

Wie berichtet, gab die Oberstaatsanwaltschaft Graz vor einer Woche bekannt, dass sie die Staatsanwaltschaft Klagenfurt mit der Ausweitung der Ermittlungen beauftragt hat. Nun wird in der Causa nicht mehr nur gegen Kunasek, sondern gegen eine unbekannte Anzahl weiterer Verdächtiger in der steirischen Landespartei ermittelt. Der ÖVP-Abgeordnete Andreas Hanger begrüßte die "längst überfällige" Ausweitung der Ermittlungen.

Der Akademikerverband

Kein Nebenverfahren, sondern das erste ausgelagerte Verfahren befasst sich mit dem FPÖ-nahen Freiheitlichen Akademikerverband (FAV). Ein ehemaliger Kassier des FAV sagte im Juni 2023 bei der Kripo in Klagenfurt aus, dass eine Firma 150.000 Euro an den FAV überwiesen habe, die er nicht habe zuordnen können. Der FAV war einst Inhaber des rechtsextremen 2018 eingestellten Magazins Aula und ist auch am rechtsextremen Freilich-Magazin beteiligt. Dessen Geschäftsführer ist der Ex-FPÖ-Gemeinderat Heinrich Sickl. Freilich war auch ein mediales Flaggschiff gegen Corona-Maßnahmen. Die Firma, von der das Geld mutmaßlich kam, soll ihr Geld aber auch ausgerechnet mit Corona-Tests verdient haben. Der Ex-Kassier des FAV war inzwischen beim KFG beschäftigt gewesen. Dieser warf ihn hinaus, nachdem er sich durch die Aussage selbst belastet hatte.

Sickl sagte zum STANDARD, dass er überhaupt nicht verstehe, warum man gegen ihn wegen Untreue ermittle: "Dabei geht es um ein privates Darlehen für das Freilich-Magazin, das auch genauso, wie es der Zweck vorsah, verwendet wurde. Mit der ganzen Grazer Finanz-Causa hat das überhaupt nichts zu tun." Sickl rechnet jeden Tag mit einer Einstellung der Ermittlungen gegen ihn.

Der Vorwurf Sozialbetrug

Im zweiten ausgelagerten Verfahren geht es um den Vorwurf des Sozialleistungsbetrugs. Hier wird auch gegen eine heute bei der KFG-Stadträtin Schönbacher beschäftigte Mitarbeiterin wegen "Beitragstäterschaft" ermittelt. Es geht um 10.526 Euro. Die Mitarbeiterin war für kurze Zeit Nachfolgerin des einstigen Klubdirektors Matthias Eder. Als sich dieser 2021 selbst anzeigte, waren beide schon nicht mehr in ihren jeweiligen Funktionen. Klubdirektor war zum Zeitpunkt von Eders Selbstanzeige ein 2022 nach schwerer Krankheit verstorbener Dritter. Die beschuldigte Frau soll laut ihrem Anwalt Andreas Kleinbichler allerdings trotz ihrer Funktion zu keinem Zeitpunkt Zugriff auf das inkriminierte Klubkonto gehabt haben. Sie trat 2022 aus der FPÖ aus. Der Anwalt rechnet im Gespräch mit dem STANDARD mit der "baldigen Einstellung" der Ermittlungen gegen seine Mandantin. Weitere Beschuldigte sind in diesem Verfahren Sippel, Eder und der Ex-FAV-Kassier.

Der U-Ausschuss

ÖVP-Abgeordneter Andreas Hanger will den blauen Verfahrenskomplex in der Steiermark im Untersuchungsausschuss zum "rot-blauen Machtmissbrauch", der am 13. März mit Befragungen starten soll, unter die Lupe nehmen. Doch die von der ÖVP begehrten Akten werden vom Justizministerium nicht zur Verfügung gestellt werden. Und zwar deshalb nicht, weil die Akten "ausschließlich Handlungen von Landes- und Gemeindeorganen" betreffen, wie es in einem Schreiben an Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) heißt. Um zum Thema im U-Ausschuss werden zu können, müsste sich der Akt mit "mit der SPÖ oder der FPÖ verbundene, der Bundesvollziehung zurechnende Personengruppen" befassen.

Hanger sagt, er habe kein Verständnis für diese Entscheidung. Er wirft Justizministerin Alma Zadić (Grüne) vor, dass sie "damit die Aufklärungsarbeit des Parlaments" behindere. Hanger argumentiert mit der Involvierung des Bundesparteichefs Kickl durch Parteiausschlüsse: "Parteiinterne Kritiker dieser strafrechtlich relevanten Vorgänge" seien von Herbert Kickl "einfach aus der FPÖ ausgeschlossen". Nun verhindere auch noch das Justizministerium die politische Aufklärung dieses riesigen FPÖ-Skandals.

Der FPÖ-Generalsekretär und Fraktionsvorsitzende im Hohen Haus, Christian Hafenecker, sieht das wenig überraschend anders und deutet die Entscheidung des Justizministeriums vor allem als "mehr als eine schallende Ohrfeige für die Volkspartei vom grünen Koalitionspartner".

"Involvierte FPÖ-Politiker, das ermittelnde Landeskriminalamt sowie die zuständige Staatsanwältin werden von uns trotzdem zu Befragungen geladen", betont Hanger im STANDARD-Gespräch. Dass man ihm die Akten verwehrt, sei ihm egal, denn "uns wurde ohnehin der gesamte Akt zugespielt". Zudem weist Hanger darauf hin, dass der als Beschuldigte geführte Landesparteichef Kunasek von 2017 bis 2019 auch Verteidigungsminister war. Für die ÖVP sind das genügend Personen in der Bundesvollziehung, um den Fall im U-Ausschuss untersuchen zu können. Am Montag lädt Hanger Medien zu einem Hintergrundgespräch zum Finanzskandal ein.

Die Fragen im Hohen Haus

Vor der ÖVP haben sich schon andere Fraktionen im Parlament für die fragwürdigen Geldflüsse in der Steiermark interessiert: Allen voran die Neos-Abgeordnete Stephanie Krisper, die mehrere Anfragen an Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) und Justizministerin Alma Zadić gerichtet hatte. Damals waren die Antworten von Hangers Parteifreund Karner nicht besonders wortreich. Zadić hatte zumindest Ende vergangenen Jahres dafür gesorgt, dass die Staatsanwaltschaft in Klagenfurt einen zweiten Staatsanwalt zur aktuell ermittelnden Staatsanwältin für die Causa dazubekam. Zudem stellte man einen eigenen Datenforensiker für das Verfahren der Klagenfurter ab.

Auch SPÖ-Abgeordnete Sabine Schatz übt scharfe Kritik am Tempo der Ermittlungen in Kärnten und brachte eine Anfrage an Innenminister Karner zu dem gefundenen NS-Material ein.

Jetzt, da Nationalratswahl und steirische Landtagswahl näherrücken, nimmt das öffentliche Interesse und auch jenes der politischen Mitbewerber deutlich zu. (Colette M. Schmid, 18.2.2024)