Seit mehr als 60 Jahren treffen Korporierte einander einmal jährlich zum Rechtswalzer.
Seit mehr als 60 Jahren treffen Korporierte einander einmal jährlich zum Rechtswalzer.
© Christian Fischer

Vor einem Jahr ließ sich so gut wie niemand blicken: Nicht nur der FPÖ-Chef blieb dem Akademikerball fern, auch die Riege der blauen Landesparteichefs ließ fast zur Gänze aus, von den 30 Nationalratsabgeordneten war eine Handvoll anwesend, die drei EU-Parlamentarier fehlten allesamt. Heuer war zwar definitiv wieder mehr blaue Prominenz in der Hofburg vertreten, allerdings: Trotz Superwahljahr mit Nationalrats- und EU-Wahl fehlte von den beiden blauen Spitzenkandidaten Herbert Kickl und Harald Vilimsky jede Spur – überraschend kam das nicht, beide hatten ihr Fernbleiben im Vorfeld angekündigt. Und auch die Demonstrationen auf den Straßen gegen das alljährliche blaue Stelldichein sind längst nicht mehr das, was sie einmal waren – heftige Proteste samt Konflikten und Ausschreitungen gehören der Vergangenheit an.

Was ist geschehen? Hat der Akademikerball, der Freitagabend, zum zehnten Mal unter neuem Namen und von der Wiener FPÖ organisiert, zum Rechtswalzer lud, mit den Jahren langsam an Bedeutung für das Dritte Lager verloren? Wie kommt dort an, dass die Veranstaltung kein Pflichttermin mehr für die blaue Parteispitze zu sein scheint? Welchen Stellenwert hat diese noch für die FPÖ? Und nehmen jene, die den Ball besuchen, ihn als das wahr, wofür er seit seinen Anfängen vor mehr als 60 Jahren in der Öffentlichkeit bekannt ist: als "internationales Vernetzungstreffen Rechtsextremer"?

Um all diesen Fragen auf den Grund zu gehen, mischte sich DER STANDARD Freitagnacht unter die Ballgäste, um sich umzuhören – auf dem roten Teppich, in den Logen, auf dem Tanzparkett, in den Gängen, an der Camparibar und zu späterer Stunde auch im Studentenbeisl.

"Ball hatte schwierige Jahre"

Es ist ein Dilemma: Von einem Bedeutungsverlust wollen langjährige Ballbesucherinnen und -besucher nichts wissen oder wahrgenommen haben. Jene Bedeutung, die dem Akademikerball aber alljährlich durch Demonstrationen und Medienberichterstattung beigemessen wird, und vor allem die Titulierung als "internationales Vernetzungstreffen Rechtsextremer", ist aber auch nicht recht – weil aus Sicht vieler Ballgäste unzutreffend.

Was in der Ballnacht deshalb oftmals zu hören war: Der Ball sei ein Ball "wie jeder andere auch". Man sei hier, "um Leute aus der Partei zu treffen" und "das Ambiente zu genießen". "Es wird einfach viel zu viel hinein interpretiert", meint ein FPÖ-naher Unternehmer, der selbst kein Mitglied einer Verbindung ist.

Für Tirols Landesparteichef Markus Abwerzger – in der Vergangenheit oftmals auf dem Ball gesehen und nach einer Pause im Vorjahr auch heuer wieder dabei – ist der Ball "ein geselliges Zusammenkommen, nicht mehr und nicht weniger", vernetzt habe er sich dort "noch nie". Es gebe "keine finsteren Gespräche in dunklen Hinterzimmern", versichert er. In erster Linie habe der Ball "für die Korporationen, dazu zählen nicht nur Burschenschaften, einen hohen Stellenwert", sei dieser doch "das größte gesellschaftliche Ereignis dieser Art", sagt Abwerzger, Mitglied der fakultativ schlagenden Sängerschaft Skalden. Einigermaßen mit Humor nimmt wiederum Wiens Landesparteichef Dominik Nepp die Aufregung um den Ball, und spöttelte, dass dieser ein "ganz geheimes Geheimtreffen" sei.

"Der Ball ist letztlich einfach ein großes Familientreffen des deutschnationalen Lagers", sagt ein Korporierter, der diesen bereits um die zehn Mal besucht hat. Dieser meint außerdem: "Der Ball hatte natürlich auch schwierige Jahre, aber das muss man dem Udo Guggenbichler lassen: Er hat dem Akademikerball wieder den Glanz der alten WKR-Bälle zurückgegeben." Der Angesprochene, seines Zeichens Ballorganisator und Wiener Landtagsabgeordneter, wollte übrigens nicht mit dem STANDARD über den heutigen Stellenwert des Balls sprechen.

Einen geringeren Stellenwert als früher negiert auch Volksanwalt Walter Rosenkranz: "Nicht der Ball hat sich verändert, aber ich habe es", sagte er schmunzelnd. Der "Alte Herr" der Liberatas Wien ist seit mehreren Jahrzehnten Teil des Balls und hielt, wie schon in vielen Jahren zuvor, auch in diesem Jahr die Eröffnungsrede.

Der Akademikerball findet in der Hofburg statt, was bei Gegnern für Unmut sorgt.
Der Akademikerball findet in der Hofburg statt, was bei Gegnern für Unmut sorgt.
APA/CHRISTIAN HABERHAUER

"Wir kennen uns ja alle schon"

Dass der Ball als "internationales Vernetzungstreffen Rechtsextremer" tituliert wird, stößt Vielen sauer auf. Das kommt freilich nicht von ungefähr: Wie der STANDARD-Watchblog berichtet, kommen seit mehr als 100 Jahren Personen aus dem Milieu der Burschenschaften, die eine wesentliche Rolle im Rechtsextremismus in Österreich spielen und spielten.

"Der Ball dient den Linken seit Jahren als Reibebaum, um ihrem Vernetzungstreffen, dem gemeinsamen Demonstrieren, eine Legitimation zu geben", sagt Abwerzger. Als "abwegig" bezeichnet ein blauer Funktionär aus der Steiermark die Zuschreibung "internationales Vernetzungstreffen". Zum einen würde internationale Vernetzung auf europäischer Ebene ohnehin durch die FPÖ-Fraktion betrieben, zum anderen brauche man sich "national nicht zu vernetzen, weil man kennt sich ohnehin. Wer sich hier vernetzen muss, hat keine freiheitliche Familienzugehörigkeit." Ihm sekundiert ein anderer Uniformierter: Um ein "internationales Vernetzungstreffen" würde es sich schon deshalb nicht handeln, weil "wir kennen uns ja alle schon", dafür gebe es "ganz andere Veranstaltungen".

Vorwürfe, wonach es sich beim Ball um ein "internationales Vernetzungstreffen Rechtsextremer" handle, wies auch Rosenkranz in seiner Eröffnungsrede zurück. Vielmehr würde auf den Straßen ein "linkes Verhetzungstreffen" stattfinden, sagte er. Nepp ortete bei den Ballgegnern gar eine "intellektuelle Irritation", denn einerseits würden die Ballbesucher als "national" bezeichnet, "andererseits soll hier heute ein 'internationales Vernetzungstreffen' stattfinden". Dies passe "nicht ganz zusammen".

Der FPÖ-nahe Kommunikationsberater Heimo Lepuschitz äußert "ein gewisses Unverständnis, warum man gegen einen Ball demonstriert". Wenngleich er auch meinte, dass demonstriert werden soll, "solange es friedlich ist, ist alles gut". Ein Rechter würde seiner Ansicht nach jedenfalls "nie auf die Idee kommen, gegen das Volksstimmefest zu demonstrieren – weil es nicht liberal und nicht freiheitlich und aus meiner Sicht völlig absurd ist. Was ist das für ein Demokratieverständnis?", fragt Lepuschitz.

"Ob Kickl da ist, interessiert niemanden"

Nach dem Vorjahr hatte Herbert Kickl auch heuer keine Lust auf Rechtswalzer. Er ist kein Korporierter und hat den Ball bisher noch nie besucht – nicht als Parteichef und auch davor nicht. "Es ist so, dass Kickl Burschenschaften und elitäre Rechte zutiefst ablehnt und lieber mit Impfgegnern in der Warnweste demonstriert, als im Smoking mit dem Dritten Lager Walzer tanzt", sagt ein Ballbesucher, der weder Namen noch Informationen, die Rückschlüsse auf seine Identität zulassen könnten, in der Zeitung lesen will. Seiner Meinung beruhe "diese Abneigung auf Gegenseitigkeit", denn "auch die Burschenschaften lehnen Kickl ab, was derzeit aber von dessen Erfolg übertüncht wird".

Klar ist: Kickl kann mit Burschenschaften wenig anfangen. Er selbst äußerte sich vor Jahren in einem Interview diesbezüglich folgendermaßen: "Das ist nicht meine Welt." Damit habe er "am Ende des Tages wohl auch recht", meint ein Ballgast in Uniform. Und: "Ob Kickl da ist oder nicht, interessiert niemanden."

Überhaupt seien andere "honorige Persönlichkeiten" auf dem Ball, "auch wenn unser Parteichef nicht da ist", sagt ein FPÖ-Mitarbeiter. Wen er damit meint? "Alle anwesenden FPÖ-Politiker." Vom STANDARD in der Ballnacht gesichtet wurden neben den bereits Erwähnten: Der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer, Generalsekretär Christian Hafenecker, Parteiurgestein Andreas Mölzer, die Nationalratsabgeordneten Hannes Amesbauer und Petra Steger, Wiens Klubobmann Maximilian Krauss und sein Pendant aus dem Burgenland Johann Tschürtz, der Welser Bürgermeister Andreas Rabl und der Ex-Nationalratsabgeordnete Johannes Hübner. (Sandra Schieder, 17.2.2024)