Frau liegt auf dem Sofa und hält sich die Hand an die Stirn
Long Covid und andere Folgen von Virusinfektionen sorgen bei etlichen Betroffenen für Brain-Fog.
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Nebel im Gehirn, das mag zunächst ganz angenehm klingen: Manche versetzen sich mit Alkohol und Drogen absichtlich in einen entrückten Zustand. Für viele Patientinnen und Patienten ist der Brain-Fog jedoch eine alltägliche Qual. Sie können sich nicht richtig konzentrieren, sind vergesslich, antriebslos und desorientiert. Selbst einfache Aufgaben, die man sonst in wenigen Minuten erledigen konnte, brauchen Stunden oder sind gar nicht mehr zu bewältigen. Mit diesen Symptomen haben durch die Corona-Pandemie noch mehr Menschen zu kämpfen, die von langfristigen Folgen – Long Covid und dem chronischen Fatigue-Syndrom ME/CFS – betroffen sind.

Die Erkrankung stellt Fachleute vor viele Rätsel und ist schwierig zu behandeln. Woher die Hirnerschöpfung kommt, ist unklar. Nun liefert eine Studie im Fachmagazin "Nature Neuroscience" eine heiße Spur. Sie führt zur Blutversorgung des Gehirns: Lecks in den Gefäßen dürften verantwortlich sein, wie es in einer Aussendung des Trinity College Dublin in Irland heißt.

Long Covid betrifft vorsichtigen Schätzungen zufolge zehn Prozent der Sars-CoV-2-Infizierten und kann ganz unterschiedlich aussehen, von Erschöpfung über Muskelschmerzen bis hin zu Kurzatmigkeit. Es bedeutet, dass Betroffene länger als zwölf Wochen ab der Infektion noch Symptome haben. Ungefähr die Hälfte leidet unter neurologischen Störungen, zu denen der Gehirnnebel gehört. "Die Kognition wirkt wie 'verklebt'", heißt es auf der Website der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS. Die Funktionen sind beeinträchtigt: Wörter fallen einem nicht mehr so schnell ein, generell ist die Erinnerung gestört und auch die Verarbeitung von Informationen. Es ist schwieriger, sich zu konzentrieren, vielen ist Multitasking unmöglich geworden. Betroffene sind oft antriebslos und müssen stark mit ihrer eingeschränkten Energie haushalten. Das geht teilweise einher mit Sehstörungen und Desorientierung.

Undichte Gefäße, übermäßig aktives Immunsystem

Bisher gab es bereits Hinweise darauf, dass das Gehirn schlechter durchblutet ist. Es kann wohl nicht so gut mit Sauerstoff versorgt werden, der die Zellkraftwerke im Kopf antreibt und dort für quasi jede Form der Aktivität nötig ist: Der Stoffwechsel ist eingeschränkt. Weitere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Blutgefäße nicht mehr so gut erweitert und zusammengezogen werden können, dahinter könnten Antikörper stecken, die sich gegen die eigenen Gewebe richten. Diese Autoantikörper finden sich teils aber auch bei gesunden Menschen.

Die neue Studie von der irischen Forschungsgruppe zeigte allerdings einen eindeutigen Unterschied zwischen Long-Covid-Probanden mit und ohne Brain-Fog. Jene mit Gehirnnebel hatten "undichte" Blutgefäße, die anderen nicht; das Gerinnungssystem funktioniert nicht wie üblich. Die Integrität der Blut-Hirn-Schranke, die Stoffe vom Blut ins Gehirn bringt, ist gestört, hält das Team um die leitenden Autoren Matthew Campbell und Colin Doherty fest.

"Zum ersten Mal konnten wir zeigen, dass undichte Blutgefäße im menschlichen Gehirn in Verbindung mit einem hyperaktiven Immunsystem die Hauptursache für Brain-Fog sein können, der mit Long Covid zusammenhängt", sagt Campbell. Das Team geht aber davon aus, dass das nicht nur Long Covid betrifft, sondern auch andere Syndrome, die sich nach einer Viruserkrankung entwickeln. Auch Multiple Sklerose dürfte dem aktuellen Forschungsstand zufolge oft durch Virusinfektionen, insbesondere mit dem Epstein-Barr-Virus, ausgelöst werden.

Gamechanger für Therapien?

Die Fachleute sprechen von einem potenziellen Gamechanger im Verständnis dieser Krankheitsprozesse. "Wir sind nun extrem kurz davor zu verstehen, wie und warum Virusinfektionen bei Patienten neurologische Funktionsstörungen verursachen", sagt Erstautor Chris Greene. Das wäre besonders wichtig, um gezielte Therapien für Betroffene zu entwickeln.

Gute Behandlungsmöglichkeiten für das Fatigue-Syndrom fehlen bisher. Hinzu kommt, dass es häufig nicht als solches erkannt wird. Ärztinnen und Ärzte ordnen dann Maßnahmen wie Sport und anstrengende Kuren an, die die Symptome stark verschlimmern können. Betroffene sprechen von einem Crash, wenn sie plötzlich viel weniger leistungsfähig werden. Auch konzentriertes Arbeiten kann zu solch einer Verschlechterung führen und Brain-Fog verstärken. Für Erkrankte ist es daher oft essenziell, auf sich selbst und ihre Energiereserven aufzupassen, was man als Pacing bezeichnet.

Die Ergebnisse müssen von weiteren Forschungsgruppen bestätigt werden. Doch die Hoffnung ist groß, dass die Studie einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu Therapien für Long-Covid-Erkrankte darstellt – und andere Betroffene mit Nebel im Gehirn. (Julia Sica, 22.2.2024)