Besetzter Hörsaal
Ende 2022 besetzten studentische Klimaaktivisten einen Hörsaal auf dem Campus der Uni Wien. Das Rektorat ließ sie gewähren und gab sich dialogfreundlich.
Heribert Corn

Die Diagnosen hinsichtlich der gegenwärtigen akademischen Atmosphäre fallen sehr unterschiedlich aus. Zu konformistisch und zu unpolitisch sei heutzutage die Masse der Studierenden, monieren manch ältere Semester, die in Erinnerungen an einstige Hochphasen studentischen Aufbegehrens schwelgen. Andere Beobachter klagen hingegen über eine zunehmende Politisierung der Unis, der sich etwa an dem auf geisteswissenschaftlichen Instituten dominierenden linken Jargon zeige. Umtriebige Studierendengruppen proklamieren, man dürfe politisch anstößigen Reizfiguren "keine Bühne" an der Hochschule bieten – eine Forderung, die von der Gegenseite als gefährliche "Verengung" des intellektuellen Terrains gedeutet wird.

Reibung zwischen Systemen

Die angemessene Beziehung von Unis zu politischen Diskursen scheint also schwierig zu finden. Wobei eine gewisse Reibung schon in den grundsätzlichen Unterschieden zwischen den beiden Systemen angelegt ist: Wissenschaftliche Fragen lassen sich (zumindest näherungsweise) durch empirische Daten und schlüssige Argumente entscheiden; Werturteile aber, die hinter allen politischen Zielvorstellungen stehen, sind durch Fakten allein weder beweisbar noch widerlegbar. In der Wissenschaft gebührt der Auffassung von Expertinnen mehr Sichtbarkeit und Relevanz als der Meinung von Laien; in der politischen Arena zählt jede Stimme gleich viel.

Dass sich beide Sphären im vielschichtigen Kosmos einer Universität, die eben mehr ist als eine reine Forschungsstätte, nicht immer strikt trennen lassen, liegt allerdings auch auf der Hand – und ist mitunter sogar vorgeschrieben: Das beginnt bei der mächtigen Funktion der Universitätsräte, die zum Teil von der Regierung bestellt werden, und reicht bis zu Habilitationen sowie Berufungen von Professoren, bei denen gewählte ÖH-Vertreter mitstimmen dürfen. Uni-Innenpolitik quasi, die mit ihren etablierten Spielregeln meist bemerkenswert geräuschlos abläuft.

Wer lädt wen wohin ein?

Für mehr Zündstoff sorgen punktuelle Konstellationen, in denen sich rund um ohnehin aufgeheizte politische Themen die Sphären richtiggehend verschränken: wenn ein Professor aus seinem akademischen Amt heraus eine politische Aktivistin zu einem Vortrag direkt in seine Lehrveranstaltung einlädt (wie im Fall Alice Schwarzer an der Angewandten). Oder wenn studentische Mandatare den Auftritt eines Propagandisten organisieren, der zwar außerhalb des akademischen Lehrbetriebs, aber inmitten der Uni in einem Hörsaal stattfinden soll (wie im Fall Götz Kubitscheks an der Uni Wien). Doch wie können die Unis mit solchen Verwicklungen umgehen, und wie reagieren sie tatsächlich? Ein kleiner Wegweiser durch die Regeln und die gelebte Praxis:

Parteipolitik: Wenn es nach den Uni-Leitungen geht, muss der anstehende Nationalratswahlkampf einen Bogen um die Hörsäle machen. Sie agieren üblicherweise restriktiv, was die entsprechende Vergabe von Räumen betrifft. An der Uni Wien ist sogar schon auf Ebene der Satzung verankert, dass parteipolitische Betätigung in ihren Einrichtungen zu unterlassen ist. Andere, wie die Uni Innsbruck, sehen in Richtlinien vor, dass Räume nur dann für externe Veranstaltungen vermietet werden dürfen, wenn diese einen Konnex zu universitären Aufgaben haben; sofern ein "Zusammenhang mit politischen Aktivitäten" besteht, muss zudem das Rektorat eine explizite Erlaubnis erteilen.

ÖH-Vertreter mit viel Freiraum: Durch die starke rechtliche Stellung der ÖH besteht allerdings eine gewichtige Ausnahme, mit der politische Veranstaltungen doch ziemlich leicht in Hörsälen stattfinden können. ÖH-Fraktionen mit gewählten Vertretern dürfen nämlich laut Hochschülerschaftsgesetz Uni-Räume beanspruchen, sofern diese nicht belegt sind. Sie müssen das der Uni bloß rechtzeitig vorab melden, verhindern kann das Rektorat den Auftritt fragwürdiger Redner aus politischen Gründen allerdings nicht. Auf dieser Basis wollte der FPÖ-nahe Ring Freiheitlicher Studenten (RFS), der ein Mandat im bundesweiten Studierendenparlament innehat, den prominenten deutschen Rechtsextremisten Götz Kubitschek im November auf ein Podium an der Uni Wien hieven. Laut dem Rektorat hatte der RFS allerdings einen Formalfehler begangen und die Teilnahme Kubitscheks nicht rechtzeitig gemeldet, sodass die Veranstaltung untersagt werden konnte. Kubitschek referierte stattdessen im FPÖ-Klub.

Unis laden ein und aus: Das Rektorat oder die Institute können natürlich auch selbst Diskussionen außerhalb des offiziellen Lehrbetriebs planen und Personen von außen einladen. Macht sich dann öffentliche Empörung über eine angekündigte Rednerin breit, stehen die Uni-Verantwortlichen vor einer heiklen Abwägung: trotzdem durchziehen, die umstrittene Person ausladen oder das Event ganz absagen? Rechtlich gesehen sind all diese Optionen gleichermaßen zulässig, es geht in diesen Abwägungen also vorrangig um das Selbstverständnis und Image, das eine Hochschule kultivieren will.

Zwiespältig verhielt sich da im Herbst die Akademie der bildenden Künste, die den griechischen Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis zur Präsentation seines aktuellen Buches über den Kapitalismus eingeladen hatte. Da Varoufakis im Vorfeld seines Auftritts den Hamas-Terrorangriff auf Israel partout nicht verurteilen wollte, stornierte die Uni die Präsentation kurzfristig und einseitig. Rhetorisch spiegelte die Uni allerdings vor, es handle sich nur um eine zeitliche "Verschiebung", und erklärte: "Der entsprechende Debattenraum wird wieder geöffnet, sobald die politische Situation wieder konstruktiv-konfrontative Dialoge ermöglicht."

Politisierende Professoren in der Vorlesung: Lehrpersonen, die in ihren Kursen die eigene politische Haltung einstreuen, erlebt man im Studium schnell einmal. Die meisten von ihnen respektieren studentischen Widerspruch und beziehen auch gegensätzliche Standpunkte ein – im besten Fall entstehen daraus kurzweilige Diskussionen. Doch gefällt sich ein Lehrender allzu sehr in der Rolle des politischen Provokateurs, gerät der eigentliche Zweck einer Lehrveranstaltung unter die Räder.

Einer, dem dieser Vorwurf von studentischer Seite immer wieder gemacht wurde, war der mittlerweile pensionierte Historiker Lothar Höbelt. Der FPÖ-nahe Professor kokettierte am Rednerpult der Uni Wien mit Verharmlosungen des Faschismus und spielte gern mit rechtsradikalen Codes. Weil Höbelt eine aufrechte Lehrbefugnis hatte und sich auch strafrechtlich nichts zuschulden kommen ließ, waren seine Vorlesungen durch die Wissenschaftsfreiheit geschützt. Die Uni-Leitung hatte somit gar keine Legitimation, Höbelts Präsenz zu verhindern – und tat es auch nicht.

Plakate unter Aufsicht: In traditioneller Manier können Studierende spitzzüngige Slogans mit Plakaten unter das akademische Publikum bringen. Wer seine Poster in Eigenregie auf dem WC oder im Seminarraum aufhängt, riskiert aber ihr baldiges Verschwinden. Denn die Hausordnungen der Unis verfügen, dass Plakate nur an dafür reservierten Flächen kleben dürfen und vorab vom Rektorat genehmigt werden müssen. Die Rektorate behalten sich meist auch das Recht vor, Aushänge wegzuräumen, wenn sie ihnen inhaltlich unzumutbar erscheinen. Im aktuellen Nahostkonflikt sah sich das Rektorat der Akademie der bildenden Künste etwa veranlasst, antiisraelische Poster aus dem Foyer entfernen zu lassen.

Besetzen, versammeln, blockieren: Mehr Aufwand, aber dafür auch mehr Aufmerksamkeit für studentische Anliegen verspricht das kollektive Verharren in prestigeträchtigen Uni-Räumen. So wurde der letzte große hochschulpolitische Diskurs in Österreich von den Hörsaalbesetzungen der "Uni brennt"-Bewegung 2009 angestoßen, auch die klimapolitisch motivierten Besetzungen von "Erde brennt" sorgten Ende 2022 für einiges Aufsehen. Zwar können die Rektorate in solchen Fällen das Hausrecht geltend machen und die Polizei rufen, um ihre Hörsäle räumen zu lassen. In der Praxis agieren sie aber oft vorsichtiger und lassen die Studierenden gewähren – wohl auch, um den Protest nicht weiter anzufachen.

Hart reagierte hingegen 2019 die Technische Uni Wien: Nachdem rund hundert Studierende den Festsaal in Beschlag genommen hatten, um auf die türkis-grünen Koalitionsverhandler einzuwirken, rief die Rektorin flugs die Polizei, die die Leute aus dem Gebäude bugsierte. Eine Verhinderung von Diskurs, die der Verfassungsgerichtshof später als rechtswidrig einstufte. Selbst wenn bei einer politischen Versammlung ohne Vorwarnung zur Blockade von Uni-Räumen gegriffen werde, dürfe diese von der Exekutive nicht so leichtfertig aufgelöst werden, urteilte das Höchstgericht. (Theo Anders, 22.3.2024)