Eine rote Ampel auf der Tunisstraße Köln
Der VW-Abgasskandal hat Verbraucherklagen ins Scheinwerferlicht gerückt. Eine Reform ist überfällig.
imago/Future Image

Österreich ist bei der Umsetzung einer EU-Richtlinie wieder einmal im Verzug – und zwar massiv. Laut EU-Vorgaben hätten die Mitgliedsstaaten die Verbandsklagenrichtlinie bis Ende 2022 in nationales Recht gießen müssen, sodass Konsumentinnen und Konsumenten ab Juli 2023 von einer neuen Art der Sammelklage profitieren würden.

Hierzulande ist man davon aber immer noch weit entfernt: Bisher wurde kein Umsetzungsgesetz vom Parlament beschlossen, geschweige denn ein Ministerialentwurf vorgelegt. Die Europäische Kommission hat mittlerweile ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet und Österreich bereits mehrfach auf die Finger geklopft. Kommt der nationale Gesetzgeber seiner Pflicht weiter nicht nach – wonach es derzeit aussieht –, drohen der Republik Strafzahlungen in Millionenhöhe.

Neue Sammelklage

Echte Sammelklagen, mit denen Verbraucher geschlossen vor Gericht ziehen können, gibt es in Österreich bis dato nicht. Hierzulande behilft man sich mit der "Sammelklage österreichischer Prägung". Dabei treten Konsumenten ihre Ansprüche an Institutionen ab – etwa an den Verein für Konsumenteninformation (VKI) oder an einen Prozessfinanzierer. Erst in einem zweiten Schritt werden die Ansprüche – vereinfacht gesagt – gesammelt bei Gericht geltend gemacht.

Die neue EU-Sammelklagerichtlinie soll das System deutlich vereinfachen: Ausgewählte Institutionen könnten künftig direkt und gebündelt Ansprüche geltend machen. Geplant ist ein sogenanntes Opt-in-Verfahren: Lanciert etwa der VKI eine Klage, können sich Einzelpersonen dem Prozess anschließen.

"Politische Abstimmung"

Federführend zuständig für die Umsetzung der EU-Richtlinie ist das Justizministerium unter Alma Zadić (Grüne). Bereits im Jahr 2022 hatte eine Arbeitsgruppe bestehend aus Anwaltschaft, Richterschaft, Wissenschaft und Sozialpartnern einen Entwurf vorgelegt. Seither heißt es seitens des Justizministeriums, dass sich das Vorhaben in "politischer Abstimmung" befinde.

Grund für die Verzögerung dürfte unter anderem sein, dass die EU-Richtlinie den nationalen Parlamenten bei der Umsetzung einen relativ großen Spielraum lässt. "Das eröffnet natürlich Raum für Verhandlungen", sagt Paul Oberhammer, Professor für Zivilverfahrensrecht an der Universität Wien, im STANDARD-Gespräch.

VW-Abgasskandal erfasst?

Einer der wichtigsten Diskussionspunkte ist die Frage, wie groß der Anwendungsbereich der Sammelklage sein soll. An sich gilt das neue Instrument nur für Ansprüche, die auf EU-Recht basieren. Diskutiert wird nun, ob man es auf Ansprüche ausweitet, denen rein nationale Gesetze zugrunde liegen. "Ohne eine derartige Ausweitung wären zum Beispiel die Klagen im Zuge des VW-Abgasskandals nicht erfasst, weil die Kläger in diesen Verfahren nationales Schadenersatzrecht geltend machen", sagt Oberhammer. "Das wäre nicht überzeugend."

In der Praxis stütze man sich in Klagen manchmal auch auf einen Mix zwischen nationalen und europarechtlichen Grundlagen. "Es wäre äußerst unpraktisch, wenn man mit der neuen Sammelklage nur europarechtliche Ansprüche geltend machen könnte", sagt Oberhammer. In diesem Fall blieben nämlich daneben Ansprüche übrig, in denen weiterhin nur die "alte" Verbandsklage österreichischer Prägung möglich ist. "Dann hätten wir in solchen Fällen ein komplexes Nebeneinander beider Verfahrensarten."

Abgesehen davon ist weiterhin fraglich, wie viele Personen an der Sammelklage mindestens teilnehmen müssten, erklärt Petra Leupold, Leiterin für Klagen beim VKI. Andere Länder haben die Mindestanzahl bei 50 eingezogen. "Wir sind zwecks Prozessökonomie dafür, dass schon fünf bis zehn Personen ausreichen." Offen ist laut Leupold auch, wie lange ein Opt-in möglich ist – also wie lange sich Konsumenten der Klage anschließen dürfen.

Wer darf künftig klagen?

Verhandelt wird nicht zuletzt darüber, welche Organisationen künftig Klagen einbringen dürfen. Abseits der Arbeiterkammer (AK) und des VKI wünscht sich etwa auch der private Verbraucherschutzverein (VSV) ein Klagerecht. EU-rechtlich wären die Bedingungen erfüllt, sagt die Obfrau des Vereins Daniela Holzinger-Vogtenhuber. "Innerstaatlich wollen WKÖ und AK aber weitere Einschränkungen vorsehen."

Oberhammer betont, dass in den Verhandlungen beide Seiten pragmatischer sein sollten. Konsumentenschützer dürften sich von der neuen Klage kein "Verbraucherparadies" erwarten. Umgekehrt müssten sich auch Unternehmen dessen bewusst werden, dass sie etwa aus wettbewerbspolitischen Gründen ein Eigeninteresse an wirksamen Sammelverfahren haben.

"Justiz muss ordentlich funktionieren"

"In der Diskussion wird meistens ein Stakeholder übersehen, nämlich die Justiz", sagt Oberhammer. "Die Gerichte sind mit Massenverfahren überlastet und brauchen dringend Regelungen, die eine reibungslose Bewältigung gewährleisten. Unabhängig davon, ob man auf Verbraucher- oder auf Unternehmerseite steht, müssen alle ein Interesse daran haben, dass die Justiz ordentlich funktioniert."

Ob die Umsetzung der Verbandsklagenrichtlinie noch in der aktuellen Legislaturperiode gelingt, ist fraglich. Wenn, dann müsste das Justizministerium aufgrund des Gesetzgebungsprozesses demnächst einen Entwurf vorlegen. Andernfalls wären Strafzahlungen der EU kaum vermeidbar. (Jakob Pflügl, 27.2.2024)