Syrische Flüchtlinge in Jordanien.
Allein das Zaatari-Campnördlich von Amman beherbergt rund 80.000 syrische Flüchtlinge.
APA/AFP/afp/KHALIL MAZRAAWI

Er sei mit Prognosen stets vorsichtig, sagt Roland Schönbauer, der Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, in der jordanischen Hauptstadt Amman. "Aber wenn man eins und eins zusammenzählt und sieht, dass Geber uns ankündigen, dass es sehr eng wird – alles andere als eine Weiterwanderung wäre unlogisch." Die Finanzierung für die UN-Organisation, die sich in Jordanien um rund 720.000 Geflüchtete kümmert, hat in letzter Zeit massiv abgenommen – vielen Menschen fehle es daher zunehmend am Lebensnotwendigen. Und das wiederum bedeute für die Betroffenen große Gefahren.

Die Situation erinnere an das Jahr 2015, sagt Schönbauer. Auch damals seien die Gelder zurückgegangen, auch damals sei gewarnt worden. Und auch damals hätten viele Menschen, die schon lange in syrischen Nachbarländern waren, beschlossen: "Na ja, wir probieren's."

Das mit dem Probieren sei dabei wörtlich zu verstehen, sagt Schönbauer zu Journalisten in Amman. Seiner Erfahrung nach sei fast allen, die nach so langer Zeit weiterziehen würden, das Risiko bewusst. Nicht nur einmal habe er von Hinterbliebenen von Männern, die auf der Flucht ertrunken seien, danach gehört: "Der Papa hat genau gewusst, wie gefährlich das ist." Mit den sogenannten Pull-Faktoren eines vermeintlich guten Lebens im Westen sei die Lage daher nur ungenügend zu erklären. Man spreche häufig von der Schlepperkriminalität, und diese sei auch tatsächlich ein Problem. "Doch diese Menschen haben sich zehn Jahre lang nicht für Schlepper interessiert."

Die Sorge betrifft aber vor allem das Wohlergehen der Betroffenen, nicht ein Anwachsen der Zahlen in Höhen wie 2015. Konkret geht das UNHCR für das nun abgeschlossene Jahr 2023 von einer Zahl von 5.000 Personen aus – das seien zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor.

NGOs müssen schließen

Jordanien habe die mehr als 640.000 Menschen aus dem benachbarten Syrien, die den Löwenanteil der 720.000 Geflüchteten in dem Land ausmachen, grundsätzlich auf sehr beeindruckende Weise willkommen geheißen, führt er aus: Eine große Mehrheit der Jordanier sagt in Umfragen, man habe Mitgefühl mit den Geflüchteten. Den Menschen selbst steht der volle Zugang zu Bildung und Gesundheitsfürsorge offen, Kinder können in die Schule gehen, und ihre Eltern können in zahlreichen Sparten des jordanischen Arbeitsmarkts einer Tätigkeit nachgehen. Doch vor allem bei den Ärmsten und bei jenen, die dennoch keinen Job finden, machen sich die Krisen, Covid und steigende Lebenshaltungskosten, die auch Jordanien erreicht haben, deutlich bemerkbar.

In vielen Flüchtlingslagern sei das UNHCR mittlerweile zu schwierigen Entscheidungen gezwungen. Soll man die für manche überlebenswichtigen Bargeldhilfen streichen oder auf auch notdürftige Arbeiten an der Infrastruktur verzichten? In solchen Fällen habe man in letzter Zeit entschieden, dass dann eben die Kinder durch den Schlamm in die Schule gehen müssen – dafür ihre Eltern aber weiterhin die Familie mit dem Allernötigsten versorgen können. Doch auch hier komme man an Limits. NGOs würde teils über Nacht schließen müssen, Menschen stünden dann etwa in ihren Wohnorten keine Gesundheitszentren mehr zur Verfügung. Auch würden die Statistiken des UNHCR zeigen, dass jene, die Geldhilfen erhalten, zwar mehrheitlich angeben, dass diese ihre Leben verbessert hätten – eine Mehrheit sagt aber auch, dass dieses Geld zum Überleben nicht ausreiche.

Zum Marktende Verfaultes

Menschen würden aus diesem Grund Entscheidungen treffen, die sie sonst nicht treffen würden, beschreibt Schönbauer, etwa essen, was man sonst nicht essen würde. Manche kauften am Markt erst am Ende der Öffnungszeiten ein, weil das halbverfaulte, übrige Essen dann billiger zu haben sei. Manche würden Arbeiten annehmen, "die sie sonst niemals annehmen würden". Und wieder andere würden in "verzweifelte Verhaltensmuster fallen, die irreversibel sind" – etwa dann, wenn sie ihre Kinder aus der Schule nehmen und zum Betteln schicken würden.

Wäre eine Rückkehr nach Syrien für diese Menschen eine Lösung? Das komme darauf an, wie man frage, führt Schönbauer aus. Wolle man wissen, ob grundsätzlich eine Rückkehr nach Syrien eine gut Option sei, sage eine große Mehrheit ja. Frage man, ob dies auch in den nächsten zwölf Monaten vorstellbar sei, laute die Antwort aber nein. Wirtschaft und Arbeitsmarkt, das sei den Flüchtlingen klar, seien auch in Syrien nicht vielversprechender. Zudem würden sich viele weiterhin Sorgen um ihre Sicherheit machen. (Manuel Escher aus Amman, 29.2.2024)