Fruchtwasseruntersuchungen sind seit langem eine gebräuchliche Diagnoseform, um mögliche genetische oder biochemische Schäden des Embryos zu bestimmen. Dabei wird mit einer Hohlnadel eine Punktion der Fruchtblase durchgeführt, und dabei extrahiert man Zellen, die im Labor vermehrt und anschließend genetischen Analysen unterzogen werden. Meist erfolgt diese Untersuchung im zweiten Drittel der Schwangerschaft.

Mit diesen entnommenen Zellen lässt sich aber deutlich mehr machen, berichten am Montag Forschende um Mattia Francesco Maria Gerli und Paolo De Coppi (University College London) im Fachblatt "Nature Medicine": Sie haben aus diesen Zellen gezielt Organoide verschiedener Organe gezüchtet. Diese Organoide – wenige Millimeter große organähnliche Gewebestrukturen – weisen demnach vergleichbare Merkmale zu den Organen im heranwachsenden Kind auf. Sie könnten dabei helfen, die Diagnostik und Therapie von angeborenen Krankheiten zu unterstützen, schreiben die Forschenden.

Organoid bei Zwerchfellbruch

Die neue Methode besteht darin, in einem ersten Schritt die lebenden von den abgestorbenen Zellen im Fruchtwasser zu trennen und dann die lebenden mithilfe von Einzelzellanalysen zu sequenzieren. Auf diese Weise konnten die Forschenden gewebespezifische Stammzellen der obersten Zellschicht des Magen-Darm-Trakts, der Nieren und der Lunge des Fötus identifizieren. In einem weiteren Schritt ließen sie diese Vorläuferzellen in 3D-Kulturen zu Organoiden heranwachsen, die funktionelle Merkmale ihres Ursprungsgewebes aufwiesen.

Darmorganoid
Darmorganoid
Ein noch aus Stammzellen hergestelltes Darmorganoid. Solche und ähnliche Organoide lassen sich nun auch aus Fruchtwasserzellen züchten.
St Johnston et. al, PLoS Biology 2015

Mit dieser Technik gelang es schließlich auch, aus Zellen von Föten mit angeborenem Zwerchfellbruch, durch den sich Teile des Magens durch das Zwerchfell aus dem Bauch- in den Brustraum schieben, Lungenorganoide zu erzeugen, die einige Merkmale dieser Erkrankung aufweisen. An diesen Zwerchfellbruch-Lungenorganoiden will das Team nun erforschen, weshalb sich die Reifung der erkrankten Lungen von gesunden unterscheidet. Diese Erkenntnisse könnten wiederum zu neuen Therapiemöglichkeiten führen.

Bedeutung für die Therapie

Forschende, die nicht an der neuen Studie beteiligt waren, schätzen diese durchwegs als innovativ und vorteilhaft ein. Agnieszka Rybak-Wolf etwa, die Leiterin der Technologie-Plattform Organoide am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC), sieht in den aus Fruchtwasser gewonnenen Organoiden "ein großes Potenzial für die Grundlagenforschung und die medizinische Forschung". Solche Organoide könnten "wesentlich schneller hergestellt werden als solche, die aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSCs) gewonnen werden. Diese schnelle Gewinnung bietet einen vielversprechenden Weg für frühe therapeutische Eingriffe beim sich entwickelnden Fötus."

Thomas Kohl hingegen, Chefarzt am Deutschen Zentrum für Fetalchirurgie an der Universitätsmedizin Mannheim, gibt sich diesbezüglich noch eher zurückhaltend. Zwar könnten die neuen Erkenntnisse aus der Organoid-Forschung zukünftig in der Diagnostik, Prävention und nachgeburtlichen Therapie von Fehlbildungen einen Nutzen haben. Bei ihrem alleinigen vorgeburtlichen Einsatz sei eine direkte therapeutische Konsequenz für eine vorgeburtliche Therapie aktuell aber noch nicht zu erwarten. Viel wahrscheinlicher sei es noch, dass dadurch wichtige Erkenntnisse und Möglichkeiten für die Herstellung von Ersatzorganen gewonnen werden könnten. (tasch, 5.3.2024)