Mittlerweile ist Mikroplastik selbst in den letzten Winkeln unseres Planeten anzutreffen. Es wurde inzwischen in allen Weltgegenden – auf den Gipfeln abgelegener Berge, in den Tiefen des Ozeans und in hohen Luftschichten – gefunden. Auch in Wasser aus (US-amerikanischen) Plastikflaschen entdeckten Forschende zuletzt hunderttausende Teilchen. Durch Verschlucken, Einatmen und Hautkontakt gelangt Mikroplastik entsprechend auch in den menschlichen Körper. Die mikroskopisch kleinen Teilchen wurden auch schon in der Plazenta, in der Lunge, in der Leber, in der Muttermilch, im Urin und im Blut aufgespürt.

Mikroplastik
Mikroplastikteilchen auf einer Handfläche. Gefährlicher als Mikroplastik dürfte im Körper allerdings Nanoplastik sein: sehr viel kleinere Teilchen, die sich auch in Zellen einnisten können.
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Die wöchentliche Menge der Partikeleinnahme – Mikroplastikteilchen sind kleiner als fünf Millimeter, Nanoplastikteilchen kleiner als 1000 Nanometer, gemeinsam werden sie MNPs genannt – wird auf bis zu fünf Gramm geschätzt, was in etwa dem Gewicht einer Kreditkarte entspricht. Wie sich "unser täglich Plastik" im Körper jedoch genau verhält, ist vielfach noch unbekannt. Eine ganze Reihe neuer, vor allem präklinischer Studien deutet allerdings darauf hin, dass MNPs eine toxische Wirkung haben dürften.

Zwei neue Untersuchungen bestätigen nun den Verdacht: Ein Wiener Team berichtet im Fachblatt "Chemosphere" über Hinweise, dass die Miniplastikpartikel möglicherweise die Ausbreitung von Krebs begünstigen, zumal sie sogar bei der Zellteilung weitergegeben werden können. Und italienischer Medizinerinnen und Mediziner liefern im angesehenen "New England Journal of Medicine" (NEJM) erstmals klinische Evidenz dafür, dass Ablagerungen der Halsschlagader sehr viel eher mit Todesfällen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen assoziiert ist, wenn sich in diesen Ablagerungen MNPs finden.

Nanoplastik "verschärft" Arteriosklerose

Für die italienische Untersuchung, die der renommierte Mediziner Raffaele Marfella (Universität Kampanien "Luigi Vanviteli" in Neapel) leitete, wurden insgesamt 304 Patientinnen und Patienten rekrutiert. Diese Personen litten an einer asymptomatischen Karotis-Erkrankung, also unter einer Verengung der Halsschlagader aufgrund von Plaque. Diese Gefäßverengungen aufgrund von Arteriosklerose wurden mittels Endarteriektomie chirurgisch entfernt.

Zudem untersuchte das Team die Plaque auf MNPs und fand bei 150 der behandelten Personen kleinste Partikel des Kunststoffs Polyethylen, bei 31 messbare Mengen an Polyvinylchlorid. Die meisten der aufgespürten Teilchen waren Nanopartikel von einer Größe von weniger als 200 Nanometern. 257 der 304 Personen wurden danach über einen Zeitraum von 34 Monaten beobachtet.

Das Hauptergebnis der Studie: Patienten, bei denen solche MNPs in den Ablagerungen nachgewiesen worden waren, hatten ein mehr als vervierfachtes Risiko, im Beobachtungszeitraum von knapp drei Jahren einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden oder zu sterben, als jene Patienten, bei denen keine MNPs nachgewiesen wurden.

Zwar ist die Anzahl der Personen, die an der Studie teilnahmen, relativ klein – entsprechend kann die Erhöhung des Sterberisikos für die Personen mit Nanoplastik mit einer 95-prozentigen Wahrscheinlichkeit zwischen dem Zwei- und dem Zehnfachen liegen. Und auch die konkreten Mechanismen, warum Nanopartikel so gefährlich sind, ist noch unklar. Der Zusammenhang ist für das Team um Marfella aber eindeutig.

Nanoplastik nistet sich in Zellen ein ...

Die neue Studie aus Österreich wiederum untersuchte genau das: nämlich wie sich Mikro- und Nanoplastikpartikel auf menschliche Zellen auswirken. Konkret konzentrierten sich die Forschenden um die Neurochemikerin Verena Pichler (Universität Wien) und den Krebsforscher Lukas Kenner (Med-Uni Wien) auf vier Zelltypen, die bei Darmkrebs auftreten. Diese verschiedenen Zelllinien setzte das Team dann Plastikpartikeln in verschiedenen Größen aus.

Dabei bestätigte sich zum ersten Mal, was schon aus früheren Analysen bekannt war: Nanoplastik kann gut in Zellen eindringen und werden von den sogenannten Lysosomen, winzigen "Organen" innerhalb der Zellen, aufgenommen. Diese Organellen sind eigentlich dafür zuständig, Fremdkörper abzubauen. Doch an den für die Studie verwendeten Kügelchen aus Polystyrol scheiterten die Lysosomen. Mit anderen Worten: Das Nanoplastik konnte sich in den Zellen einnisten.

... und dürfte Metastasen befördern

Die neue Erkenntnisse der Studie sind aber eine andere – und nicht weniger beunruhigend: Pichler, Kenner und ihr Team konnten nämlich zeigen, dass die winzigen Plastikteilchen sogar bei der Zellteilung an neu gebildete Zellen weitergegeben werden können und so für eine Art "chronische Toxizität" sorgen dürften. Durch die hohe Aufnahme und den langen Verbleib im untersuchten Gewebe würden die untersuchten Partikel zwei von drei Merkmalen in der Toxikologie erfüllen, um im Rahmen der EU-Chemikalienverordnung als bedenkliche Stoffe eingestuft zu werden, erklärt die Neurochemikerin gegenüber der APA.

Zudem fand das Team erste Anzeichen dafür, dass mit Plastik belastete Tumorzellen leichter im Körper wandern und damit bei der Bildung von Metastasen quasi helfen können. Erste Labordaten aus Nachfolgeuntersuchungen stützen die Hypothese, wonach sich die Beschaffenheit der Zellen leicht verändert. So scheinen die Nanopartikel die Außenhaut der Zellen zu destabilisieren. Das erleichtere das "freie Herumschwimmen" der Tumorzellen im Körper.

Für Lukas Kenner gibt es aus beiden neuen Untersuchungen nur eine Schlussfolgerung, wie er gegenüber der APA mitteilt: "Vor dem Hintergrund der Allgegenwart von Kunststoffen in der Umwelt und der anhaltenden Exposition auch des Menschen durch kleinste Plastikpartikel sind dringend weitere Studien erforderlich, um insbesondere Langzeitauswirkungen zu untersuchen." (Klaus Taschwer, 7.3.2024)