EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als frisch gekürte Spitzenkandidatin der EVP. Neben ihr applaudieren Manfred Weber (links) and EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als frisch gekürte Spitzenkandidatin der EVP. Neben ihr applaudieren Manfred Weber (links) und EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola.
EPA/ROBERT GHEMENT

Die deutsche Christdemokratin Ursula von der Leyen gegen den luxemburgischen Sozialdemokraten Nicolas Schmit gegen das grüne Duo Terry Reintke und Bas Eickhut aus Deutschland und den Niederlanden: Das sind die Spitzenkandidaten der drei gemäßigten, proeuropäischen Parteienfamilien bei den Europawahlen Anfang Juni. Die vierte Dachpartei dieser "eurokonstruktiven Gruppen" im Europäischen Parlament, die Liberalen (RE), wird ihre gemeinsame Wahllokomotive Ende März küren.

Der Wahlkampf ist de facto seit Donnerstag eröffnet. Die größte Fraktion in Straßburg, die Europäische Volkspartei (EVP), wählte bei einem Kongress in Bukarest die amtierende Präsidentin der EU-Kommission. Von der Leyen war die einzige Kandidatin. Das Resultat: nicht berauschend. 400 von 489 Delegierten stimmten für sie, 89 gegen sie. Schmit von den Sozialdemokraten (SPE bzw. S&D) – EU-Sozialkommissar in von der Leyens Team – war am Sonntag in Rom einstimmig zum SP-Spitzenkandidaten gewählt worden.

In ihrer Bewerbungsrede sagte Ursula von der Leyen: "Unser Europa wird von Populisten und Demagogen herausgefordert wie nie zuvor. Sie wollen unser Europa zerstören." Das werde die EVP niemals zulassen.

Video: EVP-Spitzenkandidatin von der Leyen: "Europa herausgefordert wie nie."
AFP

Überraschende Entscheidungen

Würden die Staats- und Regierungschefs den Wahlgewinner für den Topjob in der Kommission nominieren, hätten nur von der Leyen und Schmit realistische Chancen auf Bestätigung im Plenum in Straßburg. Aber sicher ist das nicht. 2019 fiel die Wahl überraschend auf von der Leyen, weil Frankreichs Präsident den siegreichen EVP-Kandidaten Manfred Weber blockierte hatte. Die Deutsche wurde von einer Dreierkoalition aus EVP, S&D und Liberalen mit knapper Mehrheit von neun Stimmen gewählt. 2024 ist unsicher, ob eine Dreierkoalition überhaupt ausreichen wird.

Die S&D-Fraktion liegt mit 140 Mandaten von 705 Mandaten auf Platz zwei, weit vor den Liberalen (102) und Grünen (71), aber deutlich hinter der EVP (178). Weil konservative, rechte und extrem rechte Parteien quer durch Europa einen Höhenflug erleben und die vier "europatragenden" Fraktionen laut Umfragen viele Mandate verlieren werden, wird es schwierig. Weder eine konservativ-liberale noch eine linksliberale Koalition hat eine Chance auf Mehrheit, ein Viererbündnis wird wahrscheinlich nötig sein.

Attacke gegen rechts

Aus Sicht der Sozialdemokraten, der Grünen und der kleinsten Fraktion, der Linken, ist die zentrale Wahlkampfbotschaft daher klar: volle Attacke gegen rechts. Den Christdemokraten werfen sie vor, mit Rechts-außen-Parteien zu flirten. Sie treffen damit einen wunden Punkt in der EVP. Die Frage "Wie hältst du es in Zukunft mit Rechtskonservativen, Rechtspopulisten und extrem Rechten?" könnte zentrales Wahlkampfthema werden.

So warnte der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker seine EVP via Zeitungsinterview vor der Aufnahme der postfaschistischen "Fratelli" der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni. "Ich bin strikt dagegen", wird Juncker zitiert, wobei er anerkannte, dass Meloni sich bisher auf EU-Ebene konstruktiv verhalten habe.

Auch Österreichs Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) war in Bukarest.
Auch Österreichs Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) war in Bukarest.
AP/Andreea Alexandru

Nicht zuletzt EVP-Präsident Weber sieht das differenzierter: Er teile die Sorge, was die Geschichte von Melonis Partei angehe, sagte er der "Welt", aber das spreche nicht gegen eine punktuelle Zusammenarbeit – ebenso wie bei der rechten Partei des tschechischen Ministerpräsidenten Petr Fiala. Die beiden seien konstruktiv, stünden an der Seite der Ukraine, bei der Rechtsstaatlichkeit gebe es keine Probleme. Weber war es, der den Rauswurf der Fidesz des ungarischen Premiers Viktor Orbán aus der EVP-Familie betrieben hatte.

Gespaltene Lager

Was steckt dahinter? Sowohl die Meloni-Partei als auch Fialas ODS gehören im EU-Parlament der Fraktion der Konservativen und Reformer (EKR) an, die bisher von der nationalkonservativen PiS aus Polen dominiert wurde. Melonis Fratelli d'Italia dürften bei einem Wahlerfolg die EKR dominieren, weg vom EU-feindlichen Kurs bringen. Sie legte bisher auch Wert darauf, zur extrem rechten Fraktion in Straßburg, der ID, Distanz zu halten, in der ihr Koalitionspartner Matteo Salvini von der Lega, die FPÖ, die deutsche AfD und die Le-Pen-Partei "Nationale Bewegung" versammelt sind.

Bliebe das so, wäre das EU-skeptische und populistische rechte Lager in Straßburg weiter gespalten. Die EVP könnte durch Kooperation mit Konservativen und Liberalen verhindern, ganz auf Sozialdemokraten und Grünen angewiesen zu sein. Letztere drohen der EVP deshalb mit Verweigerung der Zusammenarbeit. "Am Ende wird alles davon abhängen, wie die Verhandlungen über ein gemeinsames Arbeitsprogramm ausgehen", sagte die S&D-Fraktionschefin Iratxe García Pérez dem STANDARD.

In Bukarest wurde am Mittwoch jedenfalls mit überwältigender Mehrheit ein gemeinsames EVP-Wahlmanifest verabschiedet. Es setzt, wenig überraschend, auf die Themen Sicherheit, Wirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit. Die ÖVP enthielt sich der Stimme, votierte aber für von der Leyen. (Thomas Mayer, 7. März 2024)