Ein nur mit Mütze, Sonenbrille, Schuhen und Handschuhen bekleideter Mann sitzt mit Cocktail in der Hand auf einem aufblasbaren Flamingo, der am Rand einer Eisplatte im Wasser treibt.
Dieser Mann in Finnland genießt die Empfindung von Kälte. Das verantwortliche Molekül ist auch in seinem Gehirn aktiv.
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Warum empfinden wir Menschen Wärme und Kälte? Die Mechanismen dahinter waren lange Zeit unbekannt. Vor etwa zwanzig Jahren gelang der Durchbruch: David Julius und Ardem Patapoutian konnten klären, wie Hitze, Kälte und Druck vom Körper registriert werden. Verantwortlich sind Rezeptoren, die auf den Chili-Bestandteil Capsaicin reagieren, der für die Schärfe in unserem Essen zuständig ist. Im Jahr 2021 erhielten die beiden Forscher dafür den Nobelpreis für Medizin.

Doch es blieben einige Lücken. So war weiterhin unklar, wie wir Temperaturen unter 15 Grad Celsius registrieren. Es gab verschiedene Theorien dazu. 2019 kamen Forschende einem aussichtsreichen Mechanismus auf die Spur. Nun bestätigt eine Studie derselben Forschungsgruppe im Fachjournal "Nature Neuroscience" diese Vermutung.

Von Wurm zu Säugetier

"Verschiedene Studien haben die Proteine gefunden, die heiße, warme und sogar kalte Temperaturen wahrnehmen, aber wir konnten nicht klären, was Temperaturen unter etwa 60 Grad Fahrenheit (etwas mehr als 15 Grad Celsius, Anm.) wahrnimmt", erzählt der Neurologe Shawn Xu von der Universität Michigan, dessen Team hinter der neuen Veröffentlichung steht.

2019 war es ebenfalls das Team von Xu, das im Fadenwurm C. elegans ein für das Kälteempfinden zuständiges Protein namens GLR-3 identifizierte. C. elegans ist ein beliebter Versuchsorganismus für genetische Experimente, doch es stellte sich die Frage, ob sich das Ergebnis auf Säugetiere wie den Menschen umlegen ließ. Die Forschenden waren hoffnungsvoll, denn wir besitzen ein Molekül, das zu GLR-3 "homolog", also mit ihm verwandt ist: das Protein GluK2. Im Gegensatz zu anderen Temperaturrezeptoren auf das Schärfemittel Capsaicin ansprechen, reagiert es auf den Geschmacksverstärker Glutamat.

Um zu sehen, ob sie tatsächlich das für die Kälteempfindung verantwortliche Protein identifiziert hatten, schalteten sie bei Mäusen das Gen für GluK2 aus, das, wie in diesem Forschungsfeld üblich, gleich genannt wird wie das Protein. Sie untersuchten daraufhin das Verhalten der veränderten Mäuse. In einer Reihe verschiedener Experimente zeigte sich, dass die Mäuse normal auf warme oder kühle Temperaturen reagierten, dass sie aber wirkliche Kälte ignorierten.

Bekannt aus dem Gehirn

Dass ausgerechnet GluK2 Kälteempfinden vermittelt, kommt überraschend. Eigentlich hat es eine wichtige Rolle im Gehirn, wo es auf Botenstoffe reagiert und so die Kommunikation der Neuronen regelt. Auch aus Sinnesneuronen außerhalb von Hirn und Rückenmark ist es bekannt. "Wir wissen jetzt, dass dieses Protein im peripheren Nervensystem eine völlig andere Funktion erfüllt, indem es Temperatursignale anstelle von chemischen Signalen verarbeitet, um Kälte zu spüren", sagt Xus Kollege Bo Duan.

Die Entdeckung wirft auch ein neues Licht auf die Rolle von GluK2 im Gehirn. Es handelt sich um uraltes genetisches Erbe, mit verwandten Molekülen in unterschiedlichsten Lebewesen, bis hin zu Einzellern. "Ein Bakterium hat kein Gehirn, warum sollte es also einen Weg entwickeln, um chemische Signale von anderen Neuronen zu empfangen? Es hätte aber ein großes Bedürfnis, seine Umgebung zu spüren", sagt Xu. "Ich denke also, dass die Temperaturerfassung eine uralte Funktion sein könnte, zumindest für einige dieser Glutamatrezeptoren, die schließlich übernommen wurde, als die Organismen komplexere Nervensysteme entwickelten."

Auch medizinische Anwendungen erhofft sich das Team. Menschen, die aufgrund einer Krebserkrankung eine Chemotherapie erhalten, haben oft ein stark erhöhtes Kälteempfinden. Sie können auf neue Therapiemöglichkeiten hoffen. (Reinhard Kleindl, 11.3.2024)