Peer Gynt (Mavie Hörbiger, li.) an Mutter Aases (Barbara Petritsch) Kanapee - mit Johannes Zirner (re.)
Marcella Ruiz Cruz

Peer Gynt ist nicht zu gebrauchen. Der Spross aus verarmtem norwegischen Bauernadel taugt weder für dynastische Pläne noch für seriöse Arbeit. Henrik Ibsens märchenhafter Held aus dem gleichnamigen Theaterstück (1867) sprengt von Anfang an die ihm gesetzten Grenzen. Er lügt und schmäht, er fantasiert und schert sich nicht um die Blessuren, die er bei anderen hinterlässt. In der neuen Inszenierung im Kasino des Burgtheaters trägt er (Mavie Hörbiger) von Anfang an eine Fliegerkappe, die uns sagt: Es geht hoch hinaus.

Aus der Erbmasse der Pandemie stammend, hatte Thorleifur Örn Arnarssons "Peer Gynt" nun späte Premiere. Der Isländer – er inszeniert bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen "Tristan und Isolde" – geht auf der Breitseite der Kasino-Bühne sparsam vor und legt Augenmerk ganz auf die koboldhafte Darstellung Hörbigers. Sie manövriert diesen unsentimentalen Rotzlöffel (er ist zu Beginn Anfang zwanzig) schalkhaft bis zum Lebensende – dabei wirkt sie manchmal wie ein Naturgeist im schwarzen Existenzialistenpulli.

Man sieht ihr sehr gerne dabei zu, wie sie beim Lügen das Gesicht verzieht, triumphierend die Hände in die Hüften stützt oder die tagträumerischen Visionen ihren Körper durchströmen lässt. Ritt Peer doch schon als Kind auf Wolkenrössern übers Meer.

Spiellust und Livemusik

Später, längst hat es Peer da auf den afrikanischen Kontinent verschlagen, prahlt dieser mit Wanst und einem ungeniert zwischen den weit gespreizten Beinen baumelndem Gemächt mit seinen üblen Taten (Menschenhandel). Arnarsson vertraut in dem auf 110 Minuten gekürzten Abend ganz auf sein reduziertes Ensemble aus fünf Spielerinnen und Spieler: Etwa Barbara Petritsch als Mutter Aase, die immer wieder enthusiastisch auf die Hirngespinste ihres Sohnes hereinfällt und dann donnernd grollt. Oder Johannes Zirner in mehreren geheimnisvollen Rollen, darunter auch als Schiffspassagier, dessen unheilvolle Worte die Inszenierung weissagend an den Beginn stellt.

Hörbiger Peer Gynt burgtheater kasino
Peer (Mavie Hörbiger) auf der Weltreise schon etwas mitgenommen.
Marcella Ruiz Cruz

Auf der im Hintergrund von Musikinstrumenten gesäumten Freifläche entsteht die Weltreise Peer Gynts also ganz aus der Spiellust der Darstellenden – umspielt von der betörenden Livemusik an Klavier und Schlagzeug von Gabriel Cazes. Niemand ist hier wirklich Mensch, vielmehr trifft Peer auf Fantasiegestalten, die es an Sonderbarkeit nicht missen lassen (Bühne und Kostüme: Daniel Angermayr).

Der Trollkönig (Lukas Vogelsang) bietet als aufbrausender Entertainer mit Elvis-Koteletten seine Tochter feil. Diese, von den Regularien des Trolldaseins sichtlich geschädigt, erscheint hinter einem Panzer aus Plastikfolie merklich ramponiert. Lilith Häßle spielt sie mit gramvoller Robotik – ähnlich melancholisch wie auch die von Peer zurückgelassene Solveig und die ebenfalls zur Seite gestoßene Ingrid.

Dickwanste, Nackte

Optische Überraschungen hat dieser bescheidene, nie auftrumpfende Abend einige zu bieten - Dickwanste und Tierköpfige, Nackte, Fellige und Glamourvolle. Ein Abheben gelingt aber nicht, das Ende dünnt gar etwas aus. Als Logo dieser doch nicht so leichtfüßigen Lebensreise muss man die schwächlichen Luftballons bezeichnen, die hin und wieder an Kostümen appliziert sind. Fürs Fliegen reichen sie traurigerweise nicht.

Diese leichtfüßige Mythenwelt, wie man sie bei "Peer Gynt" gerne denkt, sie weist hier direkt von den Kinderträumen in Richtung Kierkegaard. (Margarete Affenzeller, 16.3.2024)