Das Ballett am Rhein begeisterte in St. Pölten.
Das Ballett am Rhein begeisterte in St. Pölten.
Roman Novitzky

Es ist ein Fest für das Tanzpublikum: Kommenden Sonntag präsentiert die Compagnie des Wiener Staatsballetts erstmals John Neumeiers "Kameliendame". Und vergangenen Samstag war im Festspielhaus St. Pölten der Abend "Drei Meister – Drei Werke" mit Arbeiten der Starchoreografen George Balanchine, Hans van Manen und William Forsythe zu sehen. Die Kombination aus Balanchines "Rubies", van Manens "Visions Fugitives" und "Enemy in the Figure" von Forsythe wurde als Gastspiel des deutschen Balletts am Rhein zum echten Publikumserfolg. Für das erste Stück gab es Anerkennung, van Manens flüchtige Visionen überzeugten deutlicher, und Forsythe schließlich begeisterte nachhaltig.

Bei den neckischen Rubinen zu Igor Strawinskys "Capriccio für Klavier und Orchester" wirkten die Tänzerinnen noch etwas unkonzentriert. Dieses 1967 in New York uraufgeführte Musterbeispiel für die moderne Neoklassik gehört auch zum Repertoire des Wiener Staatsballetts. Nicht aber van Manens Arbeit – die Musik darin stammt von Sergej Prokofjew – und Forsythes "Enemy in the Figure" zu Thom Willems’ beeindruckenden Sounds.

Einzigartiger rasanter Tanzstil

Hans van Manen betont zwar gerne, wie sehr in seinen Werken wie den "Visions Fugitives" von 1990 rein der Tanz und sonst gar nichts zählt. Dann schwindelt er aber doch anekdotische und schauspielerische Momente hinein. Genau diese Widersprüchlichkeit bringt eine Provokation mit sich: Drei Paare zeigen komplexe zwischenmenschliche Dynamiken, die durchaus unbeschwert sein könnten – wäre da nicht am Schluss der überraschend brutale Moment, an dem ein Mann seine Partnerin würgt und dann fallen lässt.

Prokofjews und Strawinskys Kompositionen hat das Tonkünstler-Orchester unter Christoph Stöcker mit der ihm eigenen Klasse live gespielt, die Musik von Willems kam vom Band. "Enemy in the Figure" (1989) erinnert daran, warum der grenzüberschreitende Ausreißer William Forsythe (74) seinen Rang als Leitfigur im Ballett der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis heute locker halten kann. Seine cool kostümierten Tänzer spreizen und überdehnen ihre Glieder als Figuren, die manchmal an Gestalten aus der Manga-Bilderliteratur erinnern. In einigen Bewegungen lassen sich Echos von Balanchine erkennen, doch Forsythes zum Teil rasanter Stil ist und bleibt einzigartig. Er wurde oft kopiert, aber stets ohne die künstlerische Intelligenz des in Deutschland zum Star gewordenen Amerikaners.

Im Sommer bringt Impulstanz vier seiner Installationen ins Wiener Mak, denn Forsythe produziert auch Hybride aus Tanz und bildender Kunst, die er "choreographic objects" nennt. Wie überragend die visuelle Kraft des Choreografen ist, ließ sich im Festspielhaus auch an den effektvollen Schattenspielen bei "Enemy in the Figure" ablesen.

Neumeier in der Staatsoper

Das Compagnie wird – noch – von Demis Volpi (39) geleitet, der im kommenden Herbst die Nachfolge der Legende John Neumeier (85) als Direktor des Hamburg Balletts übernimmt. Wiens aktueller Staatsballett-Chef Martin Schläpfer übrigens war vor seinem Wechsel nach Wien Volpis Vorgänger als Chef des Balletts am Rhein.

Großen Beifall erntete Neumeiers "Kameliendame" nach dem Klassiker "La Dame aux camélias" von Alexandre Dumas schon vor zehn Jahren. Bei ihrer österreichischen Erstaufführung mit dem Hamburg Ballett im Theater an der Wien erhielt der Choreograf den Goldenen Schikaneder. Neumeier ist wohl der längstdienende unter allen deutschen Ballettleitern. Er verabschiedet sich nun nach geschlagenen 51 Jahren von "seiner" Truppe. Nicht alle Tanzfreunde in Hamburg waren glücklich über diese Ausdauer.

Auf jeden Fall hatte das Wiener Publikum mit unter anderen Gerhard Brunner, Elena Tschernischova, Renato Zanella, Manuel Legris und nun Martin Schläpfer im entsprechenden Zeitraum mehr Abwechslung – bis hin zu waschechten Turbulenzen. (Helmut Ploebst, 18.3.2024)