Wenn sie morgens aufsteht und schon eine Nachricht von ihm am Handy hat: "Wie hast du geschlafen?" Oder: "Ist alles gut bei dir?" Sich immer auf etwas freuen zu können und einander nach drei Wochen endlich wieder in die Arme zu schließen. Das sind die schönen Momente. Die schlechten sind, wenn sie am Abend heimkommt und gerne gemeinsam mit ihm kochen möchte, aber er nicht da ist. Oder sie mit Freunden ins Kino oder wandern geht, nur er ist nicht dabei – weil er in einer anderen Stadt wohnt.

Julia* lebt in einer Fernbeziehung. Vor fünf Jahren zog sie für ihr Studium nach Hannover, wo sie ihren Freund kennenlernte. Vor vier Jahren wurden die beiden ein Paar. Sie wohnten zusammen, hatten gemeinsame Freunde, sahen sich fast jeden Tag. Bis Julia im Dezember wieder nach Wien zog. "Für einen Job, aber auch, weil für mich immer schon klar war, dass es irgendwann zurückgeht", wie sie sagt. Ihr Studium macht die 28-Jährige nun aus der Ferne fertig, sie arbeitet gerade an ihrem Abschlussprojekt. Ihr Freund, der ursprünglich aus Syrien stammt, wartet in Deutschland darauf, dass sein Antrag auf die Staatsbürgerschaft durch ist.

Junge Frau mit Smartphone im Bett
Dabei, die Vertrautheit auch über viele Kilometer hinweg beizubehalten, helfen Rituale wie die Guten-Morgen-Nachricht.
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Derzeit besuchen die beiden einander einmal pro Monat, meist für eine Woche. Einmal kommt Julia zu ihm, das nächste Mal er zu ihr. Wenn sie einander nicht sehen, schreiben sie sich über Whatsapp. "Wir achten aber auch darauf, dass wir regelmäßig telefonieren. Vielleicht nicht jeden Tag, aber bestimmt jeden zweiten oder dritten. Für mich ist das wichtig, ich bin ein Mensch, der gerne und viel redet", sagt Julia. Ihre Bilanz nach einigen Monaten Fernbeziehung: "Bis jetzt funktioniert es gut."

Vertrauen als Basis

Wie lange ein Paar bereits zusammen ist, bevor es eine Fernbeziehung eingeht, kann einen Unterschied machen, weiß die Psychotherapeutin und Paarberaterin Magdalena Ségur-Cabanac: "Gab es vorher bereits eine stabile Beziehung und dann geht eine Person ins Ausland? Oder kennt man sich erst ganz kurz und es beginnt sofort die Phase, wo man getrennt ist?" In einer Fernbeziehung sei eine gute Vertrauensbasis notwendig, "weil mindestens eine Person ganz viel mit anderen Menschen zusammen ist und neue Erfahrungen sammelt – was zu Eifersucht führen kann".

Das bedeute jedoch nicht, dass eine Beziehung, die bereits als Fernbeziehung beginnt, automatisch zum Scheitern verurteilt ist. "Es gibt Begegnungen, die so besonders und so wichtig sind, dass es trotzdem funktionieren kann." Wesentlich laut der Psychotherapeutin: einander Vertrauen zu schenken und die Zeit, in der man allein ist, auch genießen zu können. Man sollte sich zudem für die andere Person freuen können, wenn sie spannende Erfahrungen macht. "Dass wir nicht glauben, nur mit unserem Partner oder unserer Partnerin schöne Sachen erleben zu dürfen, ist überhaupt etwas ganz Wichtiges." Nicht nur in einer Fernbeziehung.

Besondere Momente teilen

Was helfe, einander auch auf Distanz nahe zu bleiben: den anderen oder die andere an besonderen Momenten teilhaben zu lassen. Das kann zum Beispiel durch Fotos gelingen. Strukturen und Rituale wie die Guten-Morgen-Nachricht schaden ebenfalls nicht. Ségur-Cabanac erzählt die Geschichte einer Klientin: "Bei diesem Paar war es so, dass sie auch öfter miteinander schlafen gegangen sind. Sie hatten das Handy am Kopfpolster liegen und haben einander erzählt, was an dem Tag passiert ist."

Zwei junge Frauen am Bahnsteig
Endlich wieder zusammen: In den ersten Stunden nach dem Wiedersehen ist der Druck oft groß, dass gleich alles ist wie immer. Doch viele Paare brauchen erst Zeit zum Auftauen.
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Allerdings bedürfe es bei den Ritualen auch einer gewissen Flexibilität. "Wenn sie zu starr sind und der Anspruch da ist, sie penibel einhalten zu müssen, ist das nicht förderlich." Schnell könnte es zu Enttäuschungen kommen, etwa wenn ein Telefonat vereinbart ist, aber einer von beiden schließlich die Gelegenheit ergreift, mit Mitstudierenden auf ein Getränk zu gehen.

Miteinander auftauen

Dass alles eitel Wonne sein muss, wenn man sich wiedersieht, sei ein Irrglaube. "Die Gefahr ist dann, dass Themen unter den Teppich gekehrt werden, die eigentlich besprochen werden müssten", sagt Ségur-Cabanac. Das erste Treffen nach einer längeren Trennung könne mitunter zur Herausforderung werden. Es brauche eine gewisse Zeit, um miteinander "aufzutauen". Kein Wunder – schließlich war man über Wochen allein und soll dann plötzlich wieder mit einer anderen Person verschmelzen.

"Man fremdelt ein bisschen", formuliert es die Psychologin und Psychotherapeutin Susanne Pointer, die in ihrer Praxis unter anderem mit Paaren arbeitet. Dort hört sie, dass die ersten gemeinsamen Stunden nach dem langersehnten Wiedersehen nicht immer einfach sind. Zum Beispiel könnte es sein, dass der eine gleich Sex will, aber der andere zuerst lieber kuscheln oder einen romantischen Abend verbringen. "Da ist es wichtig, den Druck herauszunehmen. Zum Beispiel, indem man sich ausmacht, die ersten zwei Stunden einfach zusammen zu sein, ohne dass etwas Großartiges passieren muss."

Streit beim Abschied

Nicht nur das Wiedersehen, auch der Abschied falle vielen schwer. Dass Paare genau dann zu streiten beginnen, sei nicht unüblich – das ist stressbedingt, sagt Pointner. Durch einen Streit könne eine Trennung auch vermeintlich leichter fallen. Aber eben nur vermeintlich, "denn tatsächlich ist es härter, wenn man im Unfrieden auseinandergeht".

Häufig gebe es auch Unterschiede darin, wie Partner an den Abschied herangehen: "Dem oder der einen fällt er total schwer, der oder die andere ist innerlich bereits im Zug. In so einem Fall muss man sich austauschen und überlegen: Wie gehen wir damit jetzt um, dass du Trennungsschmerz hast, ich mich aber schon anfange innerlich loszulösen?"

Junges Paar; Umarmung am Busbahnhof
An den Tag des Abschieds gehen Menschen unterschiedlich heran: Die einen sind gedanklich schon bei der Abreise, andere klammern, weil die Trennung so schmerzt.
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Für die gemeinsame Zeit raten die Expertinnen, nicht zu große Erwartungen zu haben. Verbringt man nur wenige Tage miteinander, gelte es, sich nicht zu viel vorzunehmen. Denn auch eine Zeit, in der nichts geplant ist, in der man einfach zusammen im Bett bleiben kann, sei wichtig. "Wenn dann schon eine Stadtbesichtigung feststeht und eine Party, bei der man dem Partner alle Studienkolleginnen vorstellen will, kann es sein, dass die Intimität auf der Strecke bleibt", sagt Ségur-Cabanac.

Die wenige Zeit, die man zusammen hat, gelte es, bewusst einander zu widmen. Hat einer von beiden viel zu tun, etwa weil eine Prüfung ansteht, sollte man den anderen vorwarnen, so Pointner: "Man kann dann sagen: Ich komme zu dir, aber ich muss wirklich viel lernen."

Eine klare Perspektive

Als klar war, dass Julia wegzieht, bekam sie es mit Vorurteilen zu tun: "Ich hatte das Gefühl, dass eine Fernbeziehung für meine Freunde etwas rein Negatives ist und sie der Meinung sind, dass das sowieso nicht funktionieren wird. Aber ich denke, dass wenn einem der andere so viel Wert ist, dass man mit ihm zusammenbleibt, dann tut man das auch in einer Fernbeziehung." Sie und ihr Freund haben den festen Plan, in ein oder zwei Jahren gemeinsam in Wien zu wohnen. "So wissen wir, dass es ein Leiden mit einem Ende ist."

Diese klare Perspektive ist auf jeden Fall hilfreich, meinen auch die Expertinnen. "Wenn immer unklar ist, ob der andere irgendwann da sein wird, ob es absehbar ist, dann ist das ein Dauerstress, der die Beziehung schwierig macht", sagt Susanne Pointer. Sie rät: Wenn einer von beiden mit der Fernbeziehung glücklich ist und eigentlich nie anders leben möchte, sollte er das auch klar kommunizieren. "Damit sich der andere nicht Hoffnungen macht, dass sich noch etwas an der Situation ändern wird."

Vorteile der Beziehungsform

Die Befragten können der Beziehungsform übrigens auch einige Vorteile abgewinnen. Pointner: "In der Regel verlernen Menschen in einer Fernbeziehung weniger als andere, auch Freundschaften zu pflegen, eigenen Interessen nachzugehen oder sich beruflich zu engagieren." Sie hätten mehr Freiheiten, ohne dass gleich die Beziehung leidet. "Auch der Beziehungsstress im Alltag, der Ärger darüber, dass der andere schon wieder seine Socken liegen gelassen hat, ist natürlich seltener. Das entlastet die Beziehung."

Paar umarmt einander in der Küche
Die Verliebtheit dauert länger an, weil man einander nicht so oft hat. Das ist ein möglicher Vorteil der Fernbeziehung.
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Nicht zuletzt könne die Beziehung durch die Distanz frisch bleiben, betont Ségur-Cabanac: "Das Kribbeln, die Aufregung kann man sich dadurch vielleicht länger erhalten." Sie sieht eine Fernbeziehung auch als Chance für Paare, gemeinsam zu lernen – etwa gut zu kommunizieren oder einander Freiräume zu lassen. "Wenn die Beziehung sich anschließend wieder in dieselbe Stadt verlagert, hat sie gute Chancen, weil das Paar schon etwas miteinander geschafft hat."

So sieht es auch Julia, die sich sicher ist, dass ihre Beziehung der Entfernung trotzen wird. Außerdem: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, findet die Studentin. "Manchmal muss man auch Risiken eingehen. Man neigt immer dazu, sich das Schlimmste auszumalen – aber im Endeffekt weiß man es nur, ob es gutgehen kann, wenn man es probiert." (Lisa Breit, 21.3.2024)