"Werke von …" – "Klavierabend – das Programm wird später bekanntgegeben": Das waren in den letzten Jahren typische Ankündigen der Auftritte von Maurizio Pollini. Allein der Name des Pianisten bürgte für volle Säle seiner zuletzt immer rarer werdenden Recitals. Wenn er sich am Ende seiner Karriere bevorzugt in die Musik von Fréderic Chopin versenkte, schloss sich damit ein Kreis zu jener Zeit, als er international Aufsehen zu erregen begann.

Nach anderen frühen Erfolgen war es der 1. Preis beim Chopin-Wettbewerb in Warschau 1960, der den 1942 geborenen Mailänder, der in seiner Heimatstadt schon mit zehn Jahren sein erstes Konzert gegeben hatte, weltweit berühmt machte.

Im Gegensatz zu anderen stürzte er sich aber nicht Hals über Kopf in seine Konzertlaufbahn. Hatte Pollini schon zuvor neben Klavier auch Komposition studiert, so widmete sich der Sohn eines Architekten und Geigers sowie einer Pianistin und Sängerin, deren Bruder der berühmte, musikaffine Bildhauer Fausto Melotti war, nach seinem Durchbruch für anderthalb Jahre einem Physik-Studium. Das Konzertieren machte währenddessen Pause, und anschließend perfektionierte er sein Klavierspiel erst einmal bei Arturo Benedetti Michelangeli, ehe er es sich zutraute, seine Auftritte nach England und Deutschland sowie in die Vereinigten Staaten auszuweiten.

Maurizio Pollini bei der Überreichung des d Praemium Imperiale Awards, Tokio, Oktober 2010
Maurizio Pollini bei der Überreichung des d Praemium Imperiale Awards, Tokio, Oktober 2010
AFP/TORU YAMANAKA

Der Weg, sich ausschließlich dem gängigen Repertoire der Klassik und Romantik zuzuwenden, wäre ihm freigestanden – er wählte ihn nicht, sondern widmete sich seit den späten 1960er Jahren intensiv dem 20. Jahrhundert, begann nach seinen ersten Einspielungen mit Chopin für das Label EMI seine Studioaufnahmen für die Deutsche Grammophon geradezu demonstrativ mit Strawinsky und Prokofjew, widmete sich dann der Wiener Schule, also Schönberg, Berg und Webern, aber auch Berio, Boulez, Stockhausen sowie vor allem Luigi Nono, mit dem ihn eine intensive Zusammenarbeit verband.

Nonos … sofferte onde serene … für Klavier und Zuspielband (1977) ist Pollini ebenso gewidmet bereits Como una ola de fuerza y luz für Sopran, Klavier und Orchester (1972). Letzteres Werk brachte er gemeinsam mit seinem langjährigen Freund Claudio Abbado zur Uraufführung – jenem Dirigenten, mit dem er zahlreiche Klavierkonzerte interpretierte: sämtliche Werke von Beethoven sowie jene von Bartók, Brahms, Schönberg und Schumann.

Besonders markante Stationen seiner Laufbahn waren auch seine zeitweise intensive Auseinandersetzung mit Bach, seine Tätigkeit als Liedbegleiter (etwa von Bariton Dietrich Fischer-Dieskau) sowie als Dirigent (seit seinem Debüt an der Mailänder Scala 1976).

Der junge Maurizio Pollini bei einem Chopin-Wettbewerb im Jahr 1960
Prelude d minor op.28 no 24 Impromptu G flat major op.51
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Über die Meisterschaft von Pollinis Spiel waren sich Fachwelt und Publikum seit seinen frühen Chopin-Interpretationen einig. Vielfach galt sein Spiel später als "kühl" und "sachlich", stets wurde jedoch hervorgehoben, wie klar er Strukturen deutlich machen konnte. Wer ihn im Konzert erlebte, konnte mitunter über eine starke Zurücknahme der Subjektivität staunen, aber auch ein Feuer beobachten, das sich über den scheinbaren Umweg der intellektuellen Reflexion der Werke zu entzünden schien.

Seine Leidenschaft für Neue Musik und seine breite Akzeptanz beim traditionellen Repertoire verband Pollini, dem neben einer langen Reihe anderer Auszeichnungen 1996 der Ernst-von-Siemens-Musikpreis zugesprochen wurde, seit den 1990er Jahren bevorzugt im Rahmen eigener Projekte, die beide Bereiche beziehungsvoll miteinander vereinte: beim "Progetto Pollini" bei den Salzburger Festspielen, später auch in Tokio, Rom sowie in ähnlichen Konstellationen in der Carnegie Hall New York oder beim Festival Wien Modern.

"Ich habe eigentlich beides geerbt, die Liebe zur Musik und das Interesse für die zeitgenössische Kunst", sagte der Pianist 2006 in einem Interview. Beides an Generationen von Hörern weitergegeben zu haben, gehört zu seinem Vermächtnis. (daen, 23.3.2024)