Menschen gedenken der Opfer des terroristischen Anschlags vor der "Crocus City Hall" nahe Moskau.
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Zurück bleibt stets das Gefühl der Hilflosigkeit. Genau das ist es auch, worauf Terroranschläge in der Regel abzielen – egal, welche politischen oder weltanschaulichen Ziele sie im Einzelfall verfolgen. Und genau deshalb gleichen sich meist auch die Reaktionsmuster nach dem Abklingen der ersten Schockwellen.

Da ist zunächst die Trauer über die ausgelöschten Menschenleben, vielfach verstärkt durch Angst und Wut aufgrund der verstörenden Beliebigkeit des Geschehenen. In aller Regel werden Menschen ja zufällig zu Terroropfern. Wenn überhaupt, dann ist es ihre Lebensführung, die sie dem Hass der Täter ausgesetzt hat – etwa weil sie einfach nur ein Konzert besuchen wollten.

Politische Instrumentalisierung

Vom verständlichen Ruf nach Aufklärung und Bestrafung der Verantwortlichen ist es dann aber oft nicht weit zur politischen Instrumentalisierung, zu hastigen Schuldzuweisungen, zu flammenden Appellen an patriotische Gefühle und zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen, die sich entweder gegen die Regierenden richten oder auch ganz in deren Sinne sind. Das war so nach den islamistischen Anschlägen des 11. September 2001 in New York; es war so nach zahlreichen Anschlägen in den Hauptstädten Europas; und es ist auch jetzt wieder so, nach dem blutigen Attentat auf eine Konzerthalle bei Moskau mit vielen unschuldigen Toten.

Und doch manifestiert sich das Echo, das nun in Russland zu hören ist, in einem ganz spezifischen Kontext. Da ist zum einen der Angriffskrieg gegen die Ukraine, den das Land vor mehr als zwei Jahren entfesselt hat. Dass Machthaber Wladimir Putin rasch eine angebliche Spur nach Kiew ins Spiel brachte, obwohl die Terrororganisation "Islamischer Staat" die Tat für sich beanspruchte, hat wohl nur die wenigsten überrascht. Das Blutbad hat Emotionen geschaffen, die sich auch im Krieg einsetzen lassen – und sei es nur, um sich dafür noch mehr Rückhalt in der eigenen Bevölkerung zu holen.

Zum anderen schafft der in Russland zuletzt immer restriktiver gewordene mediale und rechtliche Raum gänzlich neue Bedingungen für das, was man im Idealfall "Aufarbeitung" nennen würde. Putin muss sich gar nicht auf dünnes Eis begeben und Kiew direkt beschuldigen. Vorerst reicht eine mit präsidialer Autorität hingeworfene Bemerkung. Den Rest erledigen dann die Propagandisten der Kreml-nahen Medien, umschwirrt von noch radikaleren Stimmungsmachern in Social-Media-Kanälen.

Immer kleinere rechtliche Spielräume

Auch dass die rechtlichen Spielräume für politische Debatten zuletzt immer kleiner geworden sind, trägt nicht gerade zum konstruktiven Umgang mit der Terrorgefahr bei. Während sich in demokratischen Ländern die Regierenden etwa Fragen nach sicherheitspolitischen Versäumnissen gefallen lassen müssen, ist Kritik am Kreml in Russland potenziell gefährlich.

Gefährlich kann aber auch ein auf Kadavergehorsam gebürsteter Sicherheitsapparat sein. Westliche Politiker erinnern dieser Tage an Terrorwarnungen, die bereits Anfang März von den USA an Russland übermittelt worden sein sollen und von Putin als angebliche Provokationen des Westens abgetan wurden. Für eine Staatsmacht, die sich dem offenen Diskurs verweigert, mag es leicht sein, jedwede Schuld auf ihre Lieblingsfeinde abzuwälzen. Im Interesse der Sicherheit ist das langfristig aber gewiss nicht. (Gerald Schubert, 24.3.2024)