Es war keine Zitterpartie, sondern ein unerwartet klarer Sieg der Opposition. Bei den Kommunalwahlen am Sonntag ist ihr gelungen, was ihr vergangenes Jahr bei den Parlamentswahlen versagt blieb: Die AKP von Recep Tayyip Erdoğan ist nicht mehr die stärkste Partei der Türkei, sie wurde landesweit von der CHP überholt. Am sichtbarsten ist die Abkehr von der AKP in den großen Städten.

Der Bürgermeister von Istanbul, Ekrem Imamoglu, bleibt im Amt - und viele Türken und Türkinnen würden ihn gerne statt Präsident Recep Tayyip Erdogan an der Staatsspitze sehen.
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Obwohl er selbst kein Kandidat war, hatte Erdoğan den Kampf um die Rathäuser zur Schicksalswahl erklärt. Das macht ihn zum großen Verlierer. De facto war es ein Duell zwischen dem türkischen Präsidenten und dem Bürgermeister von Istanbul, wo 18 Prozent der Bevölkerung leben. Viele sehen Ekrem İmamoğlu bereits als Erdoğans Nachfolger an der Staatsspitze. Bis zu den nächsten Wahlen sind es aber noch vier lange Jahre, in denen die AKP den Staatsapparat kontrolliert. Erdoğans Pläne zum Umbau der Türkei – eine Verfassungsänderung für mehr Islam, Nationalismus und Autoritarismus – haben jedoch einen schweren Dämpfer bekommen.

Hauptgrund für den AKP-Einsturz ist die katastrophale Wirtschaftslage. Nichts von dem, was Erdoğan bei den Wahlen im Vorjahr versprach, konnte er halten. Kurze Zeit sah es so aus, als würde ihm der Gazakrieg helfen, der ihm Gelegenheit zu schärfster Anti-Israel-Rhetorik bot. Aber mit der wachsenden islamistischen YRP haben die Radikalen ein noch attraktiveres Angebot. Und das ist die schlechte Nachricht. (Gudrun Harrer, 1.4.2024)