Viele Lokale entlang des Gürtels zeigen sich mit dem Venster 99 solidarisch.
Florian Teubner

Am letzten Zipfel des Gürtelbogens ist es still geworden. Vor dem Gewölbe Nummer 99, zwischen Alser Straße und AKH, bildeten sich normalerweise regelmäßig Menschentrauben, die Konzerte, Workshops oder Partys besuchen. Doch nach zwei Razzien Ende Jänner sind die Subwoofer im Konzertraum des Venster 99 verstummt. Der Verdacht: Der Kulturverein betreibe ein verstecktes Gastgewerbe. Der Verein bestreitet das. Einer der letzten Underground-Bastionen Wiens droht damit das Aus.

"Venster bleibt!", prangt seitdem auf Bannern in benachbarten Gürtellokalen und in Social-Media-Profilen. Es gibt Aufrufe zu Spenden und dazu, Druck auf die Stadtpolitik für den Erhalt des Ortes auszuüben. Denn in den letzten Jahren hat sich dieser zu einer wichtigen Spielstätte für die freie Wiener Kulturszene entwickelt. "Du hast keine 20 Euro für den Eintritt und hast dein eigenes Bier dabei? Dann komm zu uns!", sagt Alex, der seit 2015 im Verein aktiv ist und nur mit seinem Vornamen genannt werden möchte. Das Venster sei ein Ort für alle, "die ein bisschen nonkonform sind und Subkultur mögen". Konsumzwang gibt es keinen, alles basiert auf freiwilliger Spende: Bei Konzerten liegt die Empfehlung bei maximal zehn Euro, für das manchmal warme Dosenbier legt man mal fünfzig Cent, mal zwei Euro auf den Tresen.

In Zeiten von Inflation, Clubsterben und Konzerten in sterilen Mehrzweckhallen, in denen das Bier sechs Euro kostet, hat der Ort mit seinem DIY-Anspruch in den letzten Jahren nicht nur beim Wiener Publikum an Beliebtheit gewonnen. Vom Wiener Untergrund aus hat es das Venster sogar direkt in die New York Times geschafft, wo es neben Nobelbars und Restaurants als "a grungy yet welcoming punk bar that hosts concerts and has a pay-as-you-wish policy" empfohlen wird.

Grauzone Kulturverein

Und ebenjene "Policy" scheint dem Venster nun zum Verhängnis zu werden. Bei einer Überprüfung wurde festgestellt, dass der Verein ohne Gewerbeberechtigung und Betriebsanlagengenehmigung ein Gastgewerbe betreibe. Gerhard Kettler von der IG Kultur Wien erklärt: "Sobald Vereine versuchen, ihre Aktivitäten durch den Verkauf von Getränken zu finanzieren, vermutet die Gewerbebehörde eine Ertragserzielungsabsicht für diesen gastronomischen Bereich und damit das Vorliegen eines Gewerbes" – selbst bei freier Spende, so wie beim Venster, und selbst wenn allfällige Überschüsse in die Finanzierung der Veranstaltung fließen.

Auch Tommy Jirku von der Vienna Club Commission (VCC), einer Servicestelle für Anliegen im Club- und Veranstaltungsbereich, sieht darin das Problem für den Verein: "Ein gastronomisches Erscheinungsbild bei Ausschank und Veranstaltungen kann man schwer leugnen." Gewerberechtlich betrachtet sitzt das Venster daher am kürzeren Ast. Die VCC berät regelmäßig Clubs und Veranstaltende, unter anderem auch das Venster. Bezeichnend sei für Jirku, dass in Beratungsgesprächen häufig eine große Angst und Zurückhaltung gegenüber den Behörden zu spüren sei. "Nach den Ereignissen im Venster am 19. und 26. Jänner kann ich das verstehen."

Kontrollen von Finanzpolizei und Wega

An diesen Freitagen fanden im Venster Kontrollen statt, an denen die Finanzpolizei, das Marktamt (MA 59), Polizeibeamte der LPD Wien beziehungsweise die Wega beteiligt waren. Die Einsätze erfolgten im Rahmen einer Schwerpunktaktion der Gruppe Sofortmaßnahmen, die in Wien – verstärkt seit dem Brand in einem Grazer Lokal in der Silvesternacht, wie die Stelle gegenüber dem STANDARD bestätig – mit anderen Dienststellen die Einhaltung von Vorschriften in Betrieben kontrolliert.

Die Wega sei bei derartigen Kontrollen normalerweise nicht anwesend, sagt die Pressesprecherin der Gruppe Sofortmaßnahmen auf Anfrage. Bei jenem Einsatz am 26. Jänner sei sie deshalb hinzugezogen worden, weil bei einer Kontrolle eine Woche davor versucht worden sei, der Polizei den Zugang zu verweigern. Es sei zu "aggressivem Verhalten seitens einiger Anwesenden" gekommen, eine Kontrolle sei nicht möglich gewesen. Das Venster bestreitet diese Darstellung: Die Beamten hätten den Konzertraum über den offenen Notausgang betreten und seien im Lokal herumspaziert. Die Vereinsmitglieder hätten kooperiert und Fragen beantwortet – "obwohl uns nicht einmal der Grund für den Einsatz genannt oder Ausweise gezeigt wurden".

Vereinzelt hätten allerdings Personen aus dem Publikum angefangen, "ganz Wien hasst die Polizei" zu skandieren. Das müsse man laut Alex im richtigen Kontext sehen: "Sie sind um halb eins in der Nacht uniformiert mitten in ein Punkkonzert reingekracht." Das Publikum sei unruhig geworden, und ein paar Leute hätten skandiert. "Ist es gut, dass sie skandiert haben? Nein. Muss man das als Polizist in der Großstadt aushalten? Wahrscheinlich schon."

An zwei Freitagen Ende Jänner fanden im Venster 99 Kontrollen bei laufendem Konzertbetrieb statt. An einer davon war die Wega beteiligt.
Venster99

"Unverhältnismäßig" und "eskalierend"

Deshalb eine Woche später einen vermummten Wega-Einsatz "mit 20 Beamten inklusive Dienstwaffen, Schlagstöcken und Polizeihunden" durchzuführen, hält Alex für völlig überzogen. "Sie haben das Lokal umstellt, das Konzert unterbrochen und sind auf die Bühne gestiegen." Auch für Jirku von der VCC waren die Kontrollen eskalierend. Es sei eine Sache, dass es Kontrollen gibt – diese seien ein wichtiger Arbeitsauftrag der Behörden –, "aber ist es für eine Sachverhaltserhebung notwendig, mit 20 Wega-Beamten mitten in ein Konzert mit 100 Gästen einzufallen? Hat es Gefahr in Verzug gegeben?". Die Unverhältnismäßigkeit des Einsatzes macht das Venster kurz darauf in einer Maßnahmenbeschwerde, eingebracht von der Kanzlei von Anwalt und Grünem-Abgeordneten Georg Bürstmayr, geltend. Über diese wurde noch nicht entschieden.

Nach den Kontrollen ordnet eine Verfahrensanordnung die Schließung des Ortes an. Anzeigen und eine Strafverfügung folgen. Anstoß nahmen die Beamten laut Anzeige insbesondere an der Getränkeausschank, fehlenden Mitgliedsausweisen und der Häufigkeit der Veranstaltungen. Wie die Pressestelle der Gruppe Sofortmaßnahmen angibt, würden die Probleme außerdem "zahlreiche Anrainerbeschwerden" wegen der vielen Veranstaltungen umfassen. Bisher war in den von den Behörden zugestellten Dokumenten davon nichts zu lesen.

Keine Freiheit für die Subkultur?

Arena, Flex, Fluc oder Wuk – sie alle sind in Wien etablierte Veranstaltungsorte und ebenfalls Vereine. Durch ihr Wachstum und die gesetzlichen Regelungen mussten sie alle früher oder später ein Gewerbe anmelden, sagt Jirku. "Das muss nicht schlecht sein, oft wachsen Betriebe mit und werden ins Gastgewerbe hineingetragen." Auch das Venster könnte ein Gewerbe anmelden. "Aber die Frage ist: Wie verändert eine Kommerzialisierung den Ort?"

Denn ein Gewerbe anzumelden sei nicht schwer, eine Betriebsanlagengenehmigung zu bekommen und auch fortlaufend zu erhalten bedeute hingegen einen großen organisatorischen und finanziellen Aufwand. Damit sei man gezwungen, gewinnorientiert zu arbeiten. "Ein Kollektiv, das organisiert ist wie das Venster, wird sich schwertun." Denn es ist mit seiner flachen Struktur nicht-hierarchisch und antikapitalistisch organisiert, fällt seine Beschlüsse basisdemokratisch und finanziert sich rein durch Spenden. Vor dem Hintergrund des Vereinszwecks – einen Raum für Menschen zu schaffen, die nicht an der kommerziellen Kulturlandschaft teilnehmen können oder wollen – selbst mit einem Gewerbe Profit zu machen, kommt für die meisten Vereinsmitglieder nicht infrage.

Bei der Schließung des Vensters geht es mehr als um den Verbleib eines womöglich unliebsamen Punkerlokals. Es geht um die Frage, ob eine Zwei-Millionen-Stadt für ein lebendiges Kunst- und Kulturangebot die kleinen, nichtkommerziellen Player genauso braucht wie die großen, gewerblichen. Und um die Frage, wie viel Freiraum der Underground in einer Stadt eigentlich haben darf: Denn Vorschriften im Gastro- und Eventbereich dienen verschiedenen Schutzinteressen – jenen von Arbeitnehmern, Anrainern und Gästen. In den letzten Jahren seien im Venster etliche Umbauten erfolgt, so das Kollektiv. Es wurden etwa eine Lüftungsanlage und schalldichte Türen eingebaut, man habe sich um ordnungsgemäße Wartungen und Buchhaltung gekümmert. Auch bescheinige seit einer Kontrolle 2019 ein Schreiben der WGKK, dass keine versicherungspflichtige Tätigkeit anfalle. All diese Unterlagen habe man den Behörden bei einem Termin mit der Finanzpolizei nur wenige Stunden vor der zweiten Razzia vorgelegt.

Änderung der Gewerbeordnung gefordert

"Wenn man in Österreich das Gastronomiegewerbe ausüben möchte, muss jedenfalls ein gegenständliches Gewerbe angemeldet sein", schreibt Alexander Hengl von der MA 59 auf Anfrage zur Causa kurz und knapp. Damit nicht gewinnorientierte Veranstaltende wie das Venster dauerhaft legal wirken könnten, müsste die Gewerbeordnung geändert werden, sagt Kettler von der IG Kultur Wien. "Dafür bräuchte es aber realpolitisch nicht nur den Willen der gesetzgebenden Körperschaften, sondern auch der Wirtschaftskammer – und damit wird eine Verbesserung praktisch unerfüllbar." Wünschenswert wären etwa Ausnahmen für die Abgabe von Speisen und Getränken bei Kulturveranstaltungen. Man könnte sich dabei an den Vereinsrichtlinien des Finanzministeriums orientieren, denn das gehe in dem Bereich besser auf die Bedürfnisse von Kulturvereinen ein als die Gewerbebehörde.

Das Venster 99 ist nicht-hierarchisch und antikapitalistisch organisiert, fällt seine Beschlüsse basisdemokratisch und finanziert sich rein durch Spenden.
Sapu

Eine Änderung der Gewerbeordnung hat die IG Kultur Österreich bereits 2016 angeregt. Sie forderte, einen Ausnahmetatbestand zu schaffen, "damit es für kleine Kulturvereine, denen oft eine Gewinnerzielungsabsicht unterstellt wird, Rechtssicherheit gibt", sagt Yvonne Gimpel von der IG Kultur Österreich. Der damalige Kulturminister Thomas Drozda (SPÖ) habe zugesagt, das Thema mit auf die Agenda zu nehmen – ohne Ergebnis. Vorstöße zu einer Änderung hätte es seitdem immer wieder gegeben, denn die unterschiedliche Rechtsauslegung der Gewerbeordnung treffe nach wie vor häufig die kleinen Kulturvereine und Ehrenamtlichen, die deshalb schließen müssten.

Aber auch eine Stadt hat grundsätzlich Möglichkeiten, um ihre Kulturangebote zu fördern. Die Kulturstrategie 2030 der Stadt Wien sieht explizit vor, eine bunte, vielfältige Kulturlandschaft in Wien zu fördern und zu erhalten. Orte wie das Venster seien dabei wichtig, sagt Jirku, denn sie würden jungen Artists und Veranstaltenden niederschwellig und risikolos eine Bühne bieten. Die Frage sei aber oft, ob man gewisse Orte erhalten wolle oder nicht.

Gesprächsbereitschaft der Behörden

Einen Willen zur Erhaltung des Venster 99 lassen die jüngsten Bemühungen der Bezirksvorsteherin des neunten Bezirks, Saya Ahmad, erkennen. Sie sieht das Venster als wichtigen Ort für nicht-kommerzielle Kulturarbeit. "Er ist in seiner Art einzigartig im Bezirk, und das begrüße ich", sagt Ahmad. Dennoch stehe für sie Sicherheit im Vordergrund, gesetzliche Rahmenbedingungen müssten eingehalten werden. Man stehe mit dem Venster in Kontakt und sei um Lösungsfindung bemüht – zuletzt bei einem gemeinsamen runden Tisch mit den beteiligten Bezirksämtern und der MA 59.

"Der Termin war relativ positiv", sagt das Kollektiv. Astrid Seitinger, Bezirksamtsleiterin des MBA 9/17, erklärt auf Anfrage nach dem Gespräch, dass der Verein "bei Einhaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen" "selbstverständlich" wieder öffnen könne. Er habe die Möglichkeit, ein Gewerbe anzumelden und eine gewerberechtliche Betriebsanlagengenehmigung zu erwirken – oder er lege ein Betriebskonzept vor, aus dem "eindeutig hervorgeht, dass keine gewerbliche Tätigkeit vorliegt". Aber auch dann müssten die gesetzlichen Bestimmungen, vor allem Schallschutz, Lüftung- und Fluchtwegbestimmungen, eingehalten werden.

Das Venster will versuchen, künftig ohne Barbetrieb weiterzumachen. Dazu brauche man neben Konzepten etwa auch eine Eignungsfeststellung – und das könnte noch teuer werden, denn allein die dafür nötigen Schallgutachten würden vermutlich mehrere Tausend Euro kosten. Davon unterkriegen lassen will man sich nicht. "Es wird ein Kampf, der uns fordern wird, aber mit Solidarität werden wir es schaffen!" Das Kollektiv ist sich einig: "Venster bleibt!" (Viktoria Kirner, 21.4.2024)