Selten war der Kossuth-Platz vor dem Budapester Parlamentsgebäude so vollgepackt mit Menschen wie am Samstagnachmittag. Zehntausende folgten dem Aufruf des ehemaligen Politik-Insiders und nunmehrigen Regierungskritikers Péter Magyar zu seinem "Nationalen Marsch". Die Massenkundgebung war der Startschuss für eine Kampagne, an deren Ende sich der neue Politstar und seine Anhänger den Sturz von Viktor Orbán erhoffen. Seit fast 14 Jahren herrscht der 60-Jährige als korrupter, prorussischer, antieuropäischer und rechtspopulistischer Ministerpräsident über das Land an der Donau.

Keine Angst vor der Regierung hat, so der Slogan, Kritiker Péter Magyar.
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"Wir holen uns unser Land und unsere nationalen Symbole zurück!", rief Magyar (43) in die Menge. Jetzt zähle nicht, wer links oder rechts stehe, ob Mann oder Frau, alt oder jung, gläubig oder atheistisch. Alle müssten zusammenstehen, um den ersehnten Wandel herbeizuführen. "Wir schütteln die Fesseln der Machteliten der letzten Jahrzehnte ab", versprach der Redner. Als Teil dieser "Machteliten" sieht er auch die Politiker und Parteien des links-liberalen Oppositionslagers, das von 1994 bis 1998 sowie von 2002 bis 2010 die Regierungen in Ungarn gestellt hatte.

Vage Botschaften

Magyar will offensichtlich ein breites Spektrum an potenziellen Wählern ansprechen. Tatsächlich nahmen an der Großkundgebung Menschen teil, die nach eigenen Angaben noch nie Orbáns Staats- und Regierungspartei Fidesz gewählt hatten, aber auch solche, die zu Medien sagten, dass sie sich vom Fidesz enttäuscht abgewandt hätten. Hinsichtlich politischer Strategien und Inhalte blieb der neue Hoffnungsträger in seiner knapp einstündigen Ansprache vage. Er bemühte sich, Bekenntnisse zur Nation mit progressiven Agenden zu verknüpfen. Er verurteilte die ideologisch motivierte Zentralisierung des Schulwesens, sprach sich für die Unterstützung der Armen aus und stellte den Beitritt Ungarns zur Europäischen Staatsanwaltschaft in Aussicht – was von der Orbán-Regierung strikt abgelehnt wird, weil die europäische Strafverfolgungsbehörde ein Störfaktor bei ihrem korrupten Treiben wäre.

Aufgeregte Stimmen bei den Protesten gegen die Orbán-Regierung.
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Magyar stürmte wie aus dem Nichts im Februar dieses Jahres auf die politische Bühne. Der Ex-Mann der ehemaligen Justizministerin Judit Varga war bis dahin ein Günstling des Orbán-Regimes gewesen, hatte Funktionen in staatlichen und staatsnahen Institutionen und Firmen bekleidet. Als Auslöser für seinen 180-Grad-Schwenk bezeichnete er den Umgang des Orbán-Regimes mit der Affäre um die Begnadigung des Helfers eines wegen Kindesmissbrauchs Verurteilten. Staatspräsidentin Katalin Novák, die den Vertuscher der pädophilen Straftaten seines Vorgesetzten amnestiert hatte, musste zurücktreten. Varga, die die Begnadigung als Justizministerin im Jahr 2023 gegengezeichnet hatte, musste ihre politische Laufbahn beenden. Sie wäre als Listenführerin des Fidesz bei der Europawahl am 9. Juni vorgesehen gewesen. Magyar behauptete, die beiden Frauen seien lediglich geopfert worden, um die wahren Verantwortlichen wie etwa Orbán zu decken.

Eingriff in die Justiz

Zum ernstzunehmenden politischen Faktor wurde Magyar, als er vor wenigen Wochen ein heimlich aufgezeichnetes Gespräch aus dem Jänner 2023 veröffentlichte, das er am Küchentisch mit Varga geführt hatte. Damals war er noch mit ihr verheiratet, sie war noch Justizministerin. Varga gab darin unumwunden zu, dass Leute von Orbáns mächtigem Kanzleiminister Antal Rogán in Korruptionsermittlungen der Staatsanwaltschaft eingegriffen hätten. Unter anderen hätten sie Passagen, die Rogán belasteten, aus den Akten tilgen lassen.

Orbáns Propagandisten versuchen seitdem, Magyar mit Schmutzkübel- und Sudelkampagnen zu überziehen, aber seiner steigenden Popularität scheint das keinen Abbruch zu tun. Meinungsumfragen sehen eine Magyar-Partei, wie sie noch gar nicht existiert, bei 15 Prozent und mehr. Auf der Kundgebung am Samstag gab Magyar bekannt, mit einer künftigen Liste – da er noch keine eigene Partei hat, wird er sich mit einer schon bestehenden (Klein-)Partei zusammentun müssen – bei der Europawahl am 9. Juni antreten zu wollen. Das Ergebnis, verkündete er, werde "zum ersten Sargnagel" für das Orbán-Regime. (Gregor Mayer aus Budapest, 7.4.2024)