Die Europäische Zentralbank (EZB) wartet wegen der hohen Inflation im Euroraum mit Zinssenkungen noch zu und hat die Zinssätze am Donnerstag auf hohem Niveau belassen. Zwar befindet sich die im Oktober 2022 noch zweistellige Teuerung in der Eurozone seither im Sinkflug, sie lag aber mit 2,4 Prozent im März immer noch merklich über der Zielmarke der Notenbank von zwei Prozent, die daher weiterhin auf der geldpolitischen Bremse steht. Der Leitzins beträgt somit unverändert 4,5 Prozent, Kreditinstitute erhalten für Einlagen bei der Notenbank vier Prozent.

Eine Familie mit jungen Kindern trägt Umzugskartons in ihr neues Eigenheim.
Wer ein neues Eigenheim mit einem variablen Kredit finanziert hat, muss weiterhin mit hohen monatlichen Rückzahlungsraten leben, da die EZB mit einer Zinssenkung noch zuwartet.
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Die EZB weist darauf hin, dass sich zwar die gemessene Inflation abschwäche, der Preisdruck in der Eurozone aber hoch bleibe und vor allem bei Dienstleistungen für stark steigende Preise sorge. Der geldpolitische Rat um Notenbankchefin Christine Lagarde belässt daher die Zinssätze auf einem Niveau, das einen "substanziellen Beitrag" zum "zeitnahen Erreichen" des Inflationsziels von zwei Prozent leistet.

Wohl bremsen die hohen Zinsen den Auftrieb der Verbraucherpreise, sie sind aber auch eine regelrechte Rosskur für die Wirtschaft. Denn das Geld, das variabel verschuldete Haushalte und Unternehmen für höhere Zinszahlungen aufwenden müssen, fehlt an anderer Stelle. Da auch sämtliche neu zu vergebenden Finanzierungen teurer geworden sind, leidet zudem die Bauwirtschaft unter einer starken Flaute. Auch die Investitionstätigkeit der Unternehmen wird dadurch eingeschränkt.

Schleppende Konjunktur

Als Folge kommt die Konjunktur in der Eurozone nach einer Stagnation im Schlussquartal des Vorjahrs nur sehr schleppend in Schwung. Im Februar hat die EU-Kommission die Wachstumsprognose für den Währungsraum für heuer von 1,2 auf 0,8 Prozent verringert, wobei die Zuwächse in Österreich mit 0,6 Prozent und Deutschland mit bloß 0,3 Prozent unterdurchschnittlich ausfallen sollen. Auf die Konjunktur würden sinkende Zinsen belebend wirken – wie lange wird die EZB also noch bis zur ersten Zinssenkung zuwarten?

EZB-Chefin Lagarde sagte unlängst, die EZB werde auf ihrer Sitzung am 6. Juni basierend auf den Wirtschaftsdaten voraussichtlich ausreichend Sicherheit haben, um über eine erste Zinssenkung zu entscheiden. Sie wies darauf hin, dass dann neben wichtigen Daten zur Lohnentwicklung auch neue Wirtschaftsprognosen der EZB-Volkswirte vorliegen werden. Wie sich der Weg danach gestaltet, stehe nicht fest.

"Die regelrechte Inflationspanik, die in Teilen der Bevölkerung durchaus zu Recht herrschte, liegt hinter uns", sagt Ökonom Ulrich Kater. Dass die Teuerung wieder in Richtung des zweiprozentigen Inflationsziels der EZB abnehme, sei auf das Handeln der EZB zurückzuführen. "Mit ihren deutlichen Zinsanhebungen seit Sommer 2022 hat die EZB auf die Teuerungswelle professionell reagiert", meint der Chefvolkswirt der deutschen Dekabank. Bald sollte die Notenbank seiner Ansicht nach etwas von der geldpolitischen Bremse steigen. "Eine erste Lockerung im Juni dürfte ausgemachte Sache sein", sagt Kater und ergänzt: "Danach dürfte die EZB ihre Leitzinsen im Jahresverlauf noch ein weiteres Mal lockern."

Zuwarten bis Juni

Ähnlich stuft man die Lage beim Anleihespezialisten Pimco ein, wo man ebenfalls die erste Zinssenkung im Juni erwartet: "Wir gehen von einem vorsichtigen Vorgehen der EZB mit den üblichen Schritten um jeweils 25 Basispunkte aus, sobald sie die Zinssenkungen einleitet", sagt Fondsmanager Konstantin Veit. Insgesamt soll es ihm zufolge also heuer drei Zinsschritte um jeweils einen Viertelprozentpunkt geben. Auch für Gunter Deuber, Chefanalyst von Raiffeisen Research, dürfte es auf eine Senkung des Zinsniveaus in zwei Monaten hinauslaufen: "Der Markt preist den Juni derzeit aus EZB-Sicht perfekt ein."

Auch wenn der Fahrplan für Fachleute derzeit auf eine Zinssenkung im Juni hindeutet, in Stein gemeißelt ist dies freilich nicht. Denn gerade auf den letzten Metern zum zweiprozentigen Zielwert erweist sich der Weg oft als ziemlich steinig. In den USA haben etwa am Mittwoch höher als erwartet ausgefallene Inflationsdaten die Hoffnungen auf eine baldige Senkung des Zinsniveaus durch die Notenbank Fed mehr als erschüttert. "Selbst eine weitere Zinsanhebung durch die Fed ist derzeit nicht ganz auszuschließen, obwohl ich sie für unwahrscheinlich halte", sagt Dekabank-Ökonom Kater. Hintergrund solcher Überlegungen ist die wesentlich dynamischere US-Konjunktur, die den Preisauftrieb tendenziell befeuert.

Europa zuerst

So könnte es zu dem ungewöhnlichen Fall kommen, dass die EZB wegen der schwächeren Konjunktur vor der Fed die geldpolitische Wende einleitet – normalerweise prescht die US-Notenbank bei geldpolitischen Entwicklungen voran. "Europa könnte die Zinsen früher senken als die USA", sagte Robert Holzmann, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), der auch Mitglied des geldpolitischen Rats der EUB ist, Ende März. "In Europa wächst die Wirtschaft langsamer als in den USA. Dadurch könnte es sein, dass sich die Preisentwicklung bei uns stärker abschwächt", erklärte er.

Ein mulmiges Gefühl hinsichtlich einer Zinssenkung im Sommer hat das arbeitgebernahe Institut Agenda Austria. "Die EZB sollte darauf bestehen, dass bis dahin alle staatlichen Inflationshilfen auslaufen", sagt Agenda Austria-Ökonom Hanno Lorenz in einer Reaktion auf die Zinsentscheidung. Erst, wenn die Preise dadurch nicht mehr verzerrt würden, könne die EZB realistisch einschätzen, wie es um die Preisstabilität stehe. "Zu frühe Zinssenkungen haben die Inflation in der Vergangenheit oft wieder befeuert", ergänzt Lorenz. "Auch heimische Wahlkampfzuckerl könnten die Inflation wieder unnötig anheizen."(Alexander Hahn, 11.4.2024)