In der Gastronomie brodelt es. Es geht um gesalzene Preise für Onlinegeschäfte, wachsende Abhängigkeiten von der internationalen Plattformökonomie und Angst vor Repressalien. Den Nährboden dafür schuf die Essenszustellung, mit der sich viele Wirte während der Corona-Krise finanziell über Wasser hielten. Doch was sie damals als Segen erlebten, erweist sich für viele mittlerweile als Fluch.

Viele Wiener Gastronomen erzielen bereits mehr als die Hälfte des Geschäfts über Hauszustellungen. Eigene Onlineportale aufzubauen und Fahrer einzustellen können sich wenige leisten.
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Im Visier der Kritik stehen Foodora und Lieferando. Während der Pandemie erleichterten die beiden Lieferdienste Restaurants den Sprung ins Internet. Seither karren ihre Boten auf zwei Rädern mehr Menüs denn je bis vor die Haustüre der Österreicher. Ausgeliefert fühlen sich Gastronomen den vielerorts unumgänglichen Branchenriesen schon länger. Mehr als 60 unter ihnen platzte in Wien nun der Kragen.

In einem offenen Brief an Regierungsmitglieder, allen voran VP-Bundeskanzler Karl Nehammer, fordern sie Hilfe und politische Rückendeckung. Auch Streiks stehen im Raum. Um sich Gehör zu verschaffen, überlegen Betriebe, ihre Essenszustellung temporär zu stoppen. Sie rechnen mit breiter Unterstützung aus der Branche.

Die derzeitige Marktdynamik bedrohe ihre Existenz, heißt es in dem Schreiben, das dem STANDARD vorliegt. Foodora zwinge Restaurants in eine Verlustspirale und fresse diese quasi auf. Die Konsumgewohnheiten hätten sich geändert. Etliche Betriebe erzielten bereits mehr als die Hälfte des Umsatzes über Hauszustellungen. Sich eigene Onlineportals aufzubauen und im Web die Werbetrommel zu schlagen sei aber oft nicht leistbar. Was bleibe, sei enorme Abhängigkeit von einer "pinken Heuschrecke" auf dem Markt.

Angst um Sichtbarkeit

Gäste, die einst direkt beim Wirt bestellten, bedienen sich heute ausschließlich großer Portale, die den Betrieben jedoch immense Gebühren abverlangen, sagt ein Wiener Unternehmer, der den Aufstand anführt, wie viele andere jedoch namentlich nicht in der Zeitung genannt werden will. Zu groß ist die Sorge, dass die Sichtbarkeit von rebellischen Restaurants online eingeschränkt werde oder vermittelte Bestellungen "aufgrund von technischen Problemen" plötzlich versiegten.

Zahlten Restaurants während Corona vier Prozent Kommission an Lieferando und Foodora, sei diese nunmehr auf bis zu 35 Prozent explodiert, rechnet der Wirt vor. "Mit zehn Prozent können wir leben, alles jenseits der 18 Prozent ist nicht finanzierbar." Wer überdies Foodora keine Exklusivität zusichere, riskiere höhere Kosten.

Dazu erhebe Foodora Aktivierungsgebühren, "ominöse Servicepauschalen" und "Wucherpreise" für Sackerln des Konzerns, die man für die Zustellung verwenden müsse. Für hitzige Debatten sorge, dass Foodora der Gastronomie verbiete, Mindestumsätze und Fahrzeiten pro Lieferung festzulegen. Wer zuwiderhandle, werde mit fünf Euro pro Bestellung abgestraft.

Rivale Lieferando wird in dem offenen Brief nicht angesprochen, über die Gebühren und das Gebaren des Konzerns ist die Branche jedoch ebenso unglücklich. Die Kritik richte sich gegen beide Unternehmen, betonen Wirte.

"Lauwarme letscherte Nudeln"

"Bevor ich mit Lieferdiensten zusammenarbeite, sperre ich lieber zu", sagt der Gastronom Sepp Schellhorn, der für die Neos im Nationalrat tätig ist. In der Essenszustellung macht er nur Verlierer aus: Fahrradboten, die allein vom Trinkgeld lebten, Gastronomen mit leeren Lokalen und keiner Möglichkeit, magere Margen über Getränke zu verbessern, und Konsumenten, die lauwarme letscherte Nudeln serviert bekämen. Schellhorns Rat an seine verbitterten Branchenkollegen: sich abseits der Lieferdienste eigene Märkte zu suchen.

Wirtinnen wie Eva Eckert, die das indische Restaurant Biofood führt, stößt sauer auf, dass Lieferando notleidenden Gastronomen seit kurzem Kredite offeriert – und damit auch deren Misere für sich zu nutzen wisse. In Aussicht gestellt werden bis zu 200.000 Euro innerhalb von zwei Tagen nach fünf Minuten. Sie selbst versuche sich von Lieferdiensten weitgehend zu emanzipieren und ihr Geschäft auf eigene Beine zu stellen.

Die Finanzierungshilfen seien ein Service von vielen, angeboten würden sie durch Partner, sagt Lieferando-Sprecher Oliver Klug. "Wir selbst verdienen nichts daran." Was die Kommission pro Bestellung betrifft, belaufe sich diese für die meisten Wirte auf 13 Prozent. Zusätzliche 17 Prozent fielen nur an, wenn die gesamte Logistik an Lieferando ausgelagert werde, wobei diese Provision kaum die reinen Personalkosten der Boten abdecke. Man verlange weder Einstiegs- noch Grundgebühr, auch keine exklusive Bindung. Gastronomen könnten ihre Mindestbestellwerte frei festlegen. Das Ranking auf der Plattform ergebe sich aus der Distanz zum Besteller und der Durchschnittsbewertung der Kunden.

"Keine selbstgebastelten Homepages"

Klug erinnert daran, dass Gastronomen mit "selbstgebastelte Homepages" im modernen E-Commerce nicht reüssierten. Konsumenten wollten einfach und unkompliziert bestellen. Lieferando vermittle Betrieben im Schnitt jährlich 130.000 Euro Umsatz. Ohne professionelles Service seien derartige Volumina nicht realisierbar. Die Branche habe dank Lieferplattformen kein Investitionsrisiko. Weder müssten Fahrer angestellt noch Betriebsmittel bereit gestellt werden.

Foodora spricht auf Anfrage von maximal 30 Prozent Provision für jene Wirte, die die Logistikflotte des Konzerns nutzten. Vereinbarungen über Exklusivität weist Foodora zurück. Es gebe auch keinen Zusammenhang mit der Höhe der Provision oder der Darstellung auf der App. Alle Kosten seien klar und transparent. Was Mindestumsatz und Fahrzeiten anbelangt, könnten Partner aus mehr als 30 Kombinationen wählen. Scharf in Abrede stellt Foodora die Androhung von Strafen.

Peter Dobcak, Obmann der Wiener Gastronomie, sieht Essenszustellung unter enormem Kostendruck. Jeder Wirt müsse hinterfragen, ob sich die Auslieferung tatsächlich rechne oder ob er ohne sie Umsatz verliere. Umkehren ließe sich der Trend dazu nur, wenn das gelieferte Essen für Kunden deutlich teurer sei als im Lokal. Von Krediten über große Zusteller rät er ab. "Damit würde man sich ihnen völlig ausliefern."

Ringen um Löhne

Ungemach droht der Branche nicht nur seitens der Gastronomen. Seit Monaten ringen Fahrradboten, deren Mindesteinkommen nur knapp über der Armutsgrenze liegen, für höhere Löhne. "Die Arbeitgeber haben sich bisher nicht bewegt", sagt Fabian Warzilek, Betriebsratschef von Lieferando. Er kündigt für die kommenden Wochen weitere ausgedehnte Warnstreiks an. (Verena Kainrath, 24.4.2024)