Die heimische Industrie würde gerne die Zeit um ein halbes Jahrhundert zurückdrehen und unselbstständig Beschäftigte wieder mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten lassen. Allerdings stehen die Chancen der Industriellenvereinigung (IV), die zu Wochenbeginn mit dem Vorschlag aufhorchen ließ, die Wochenarbeitszeit auf 41 Stunden bei gleichbleibender Bezahlung zu erhöhen, auf eine Umsetzung denkbar schlecht. "Eine Verlängerung der gesetzlichen Regelarbeitszeit kommt für mich fix nicht infrage", stellte Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Mittwoch klar. "Genauso halte ich eine 32-Stunden-Woche für den völlig falschen Weg."

Die Hand eines Arbeiters betätigt eine Stechuhr.
Wie viele Arbeitsstunden muss die Stechuhr künftig pro Vollzeitkraft und Woche registrieren? Die IV wünscht sich mehr als die derzeit maximal 40 Stunden.
Gerhard Leber via www.imago-imag

Aber warum hat die IV diesen Vorschlag überhaupt ins Spiel gebracht? Welche Ziele sind mit dem Wunsch verbunden, die Wochenarbeitszeit über die im Jahr 1975 eingeführten 40 Stunden zu erhöhen? Und wie beurteilen Ökonomen die Sache?

Video: 41-Stunden-Woche - Edtstadler fordert doch keine längere Regelarbeitszeit.
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Anreize für Vollzeit

"Wenn man von der einen Seite 32-Stunden-Woche in den Wald hineinruft, kommt auf der anderen Seite die 41-Stunde-Woche raus", sagte Wifo-Chef Gabriel Felbermayr auf einer Presseveranstaltung der Deutschen Handelskammer (DHK) in Wien. Beiden Vorschlägen könne er nur wenig abgewinnen, es sei aber klar, dass die geleisteten Arbeitsstunden insgesamt mehr werden müssten. Vielmehr gehe es darum, wie man Anreize für eine Vollzeitbeschäftigung schaffe. Etwa ein Drittel der insgesamt unselbstständig Beschäftigten, zumeist Frauen, arbeitet nicht Vollzeit. Man habe aufwendige Sozialsysteme, demografische Entwicklungen wie den Fachkräftemangel, ergänzte Hans Dieter Pötsch, DHK-Präsident in Österreich. Die Politik benötige ein Gesamtkonzept.

Eine Einschätzung, die unlängst auch der Rechnungshof (RH) in einer Bestandsaufnahme zum Fachkräftemangel kritisierte. Im Jahr 2022 lag die Anzahl der unselbstständig Beschäftigten mit 3,91 Millionen auf einem historischen Höchststand, aber die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden blieb trotz mehr Beschäftigter wegen mehr Teilzeitjobs gleich. Die Ursachen: fehlende Kinderbetreuung, zu wenig finanzielle Anreize und falsch gestrickte Sozialleistungen. All das gelte es genauer in den Blick zu nehmen, mahnen die Prüfer mehr Eifer ein. Da sieht auch Hanno Lorenz vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria einen wichtigen Hebel. "Statt die Teilzeitbeschäftigung steuerlich noch weiter zu attraktivieren, sollte man die Mehrbelastung zwischen Teil- und Vollzeit reduzieren" meint Lorenz. Was die Kinderbetreuung betreffe, so würden hier besonders ÖVP-regierte Bundesländer sehr schlecht abschneiden.

Mehr als 40 Stunden

Von all dem abgesehen arbeiten Vollzeitkräfte im Durchschnitt ohnedies bereits mehr, als sie müssen. Laut einer Berechnung der Arbeiterkammer (AK) von Ende 2023 sind es 40,8 Stunden in der Woche, also ohnedies fast die von der IV geforderten 41. Das führt zu Überstunden, knapp 181 Millionen davon sollen heimische Arbeitskräfte im Jahr 2023 laut Statistik Austria geleistet haben. Der Wert liegt deutlich über dem Schnitt des Euroraums, der 39,4 Stunden beträgt. "Wir müssen mehr arbeiten und nicht weniger", eröffnete IV-Generalsekretär Christoph Neumayer am Montag die emotionale Debatte über die Wochenarbeitszeit. Details seien in KV-Verhandlungen zu besprechen, ergänzte Neumayer.

Das führt zur Frage: Wenn Vollzeitbeschäftigte in Österreich bereits knapp 41 Stunden arbeiten, wozu braucht es dann eine 41-Stunden-Woche? Es geht wohl in Wahrheit gar nicht darum, mehr zu arbeiten, sondern darum, dass sich Unternehmen Geld sparen, indem sie weniger für Überstunden berappen müssen. Denn pro geleisteter Arbeitsstunde müssen sie für eine Vollzeitkraft dann im Schnitt 2,5 Prozent weniger Lohn bezahlen. Das bedeutet auch, dass Arbeitgeber bei Umsetzung der 41-Stunden-Woche rechnerisch jeden 41. Vollzeitplatz einsparen könnten, ohne dass die insgesamt geleistete Arbeitszeit abnimmt.

Preismacht am Jobmarkt

Gerade in Zeiten des Fach- und zunehmend auch generellen Arbeitskräftemangels wäre das sicher ein Wettbewerbsvorteil für die heimische Exportwirtschaft oder auch für den Tourismus. Denn wegen der hohen Inflation in Österreich sind hierzulande auch die Löhne und Gehälter wesentlich stärker gestiegen als im Durchschnitt des Euroraums. Was die Industrie bei ihrer Forderung nicht dazusagt: Der Arbeitskräftemangel lässt die Preismacht am Jobmarkt sukzessive zu den Arbeitnehmenden wandern.

Als Folge müssten Unternehmer einen größeren Teil des Kuchens an die Beschäftigten abtreten als bisher, was ihre Gewinne zu schmälern droht. Wobei sich die Lage wegen der Demografie – es gehen derzeit mehr Babyboomer in Pension, als die Generation Z an neuen Arbeitskräften bereitstellt – künftig weiter verschärfen wird. Eine unentgeltliche Erhöhung der Arbeitszeit würde dies etwas abfedern, ebenso die von der IV in den Raum gestellte Verringerung der Feiertage in Österreich.

Ein offenes Ohr für die Wünsche der Industrie hatte Verfassungs- und Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) noch am Dienstag gezeigt: "Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, müssen wir mehr als weniger arbeiten", meinte sie. Mit "linken Träumen" einer Arbeitszeitverkürzung "wird es sich nicht ausgehen". "Eher mehr als weniger wird notwendig sein", sagte Edtstadler im Haus der Industrie, in dem die IV untergebracht ist. Von der SPÖ kam umgehend die erwartbare Kritik, die ÖVP plane einen "Lohnraub per Gesetz". Davor dürfte Kanzler Nehammer knapp vor der heurigen Nationalratswahl allerdings doch zurückschrecken. (Alexander Hahn, Regina Bruckner, Joseph Gepp, 24.4.2024)