Die Hand zum Herzen darf bei Bablers Auftritten, wie hier beim Landesparteitag in Wien, nicht fehlen. Für dieses Wochenende verspricht er aber auch viel Hirn.
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Andreas Babler weiß schon lange vor Auftritten, was er sagen will. Und was nicht. Allerdings kann sich das im Lauf der Zeit ändern. Der SPÖ-Chef fängt üblicherweise zwar früh mit dem Redenschreiben an, hat aber einen sprunghaften Arbeitsstil. Babler neigt dazu, Manuskripte auf den letzten Drücker noch einmal komplett umzuschreiben. Weil er befürchtet, der Tonfall treffe sonst nicht die aktuelle Gemütslage der Genossinnen und Genossen.

Die Stimmung in der SPÖ: Damit ist es so eine Sache. Wirklich gut war sie nie, seit sich die zerkrachten Lager der Partei einen zermürbenden Kampf um die Führung geliefert haben. Querschüsse gab es auch unter Babler – und während im linken Flügel seiner Partei die Hoffnung keimte, wuchs im rechten Lager die Unzufriedenheit.

Rotes Schicksal

In der jüngsten Vergangenheit scheint sich das Schicksal aber ein Stück weit zugunsten Bablers zu wenden. In Salzburg und Innsbruck zeigte sich, dass Sozialdemokraten – bei allen Eigenheiten lokaler Wahlen – nicht immer verlieren müssen. Wer mit der Lupe schaut, kann im österreichweiten APA-Umfragentrend eine zarte Kurve nach oben erkennen.

Und dann tat die ÖVP dem Fußballfan an der SPÖ-Spitze noch den Gefallen, ihm einen sprichwörtlichen Elfmeter aufzulegen: Karoline Edtstadlers interpretationselastische Aussagen zu längeren Arbeitszeiten fügen sich perfekt in die rote Erzählung vom türkisen Arbeitnehmerverrat. Auch wenn die ÖVP rasch zurückruderte: Eine von den Konservativen angestoßene Debatte darüber passt perfekt ins Bild, das Babler zeichnen möchte.

Glaube an das schier Unmögliche

Diesen Hauch eines Rückenwinds will Babler am Samstag nutzen. In Wieselburg in Niederösterreich trifft sich die SPÖ zu einem Parteirat, der abgespeckten Version eines Parteitags. Nötig ist dieser deshalb, weil es die Kandidatenlisten für die Nationalratswahl offiziell zu beschließen gilt. Doch der Parteiobmann will auch den Beweis erbringen, dass der von ihm versammelte "Expert*innenrat" nicht bloß ein vom Vorbild Bruno Kreisky abgekupferter Marketing-Gag war. Was die klugen Köpfe ausdiskutiert haben, goss Babler in "24 Ideen für das Wahljahr 24", um diese in einer "Herz und Hirn"-Rede vorzustellen.

Es ist Bablers Versuch, in die Offensive zu kommen. Die SPÖ liegt in Umfragen zwar seit mehreren Monaten stabil auf Platz zwei vor der ÖVP, doch die FPÖ unter dem rechtspopulistischen Scharfmacher Herbert Kickl scheint kaum einzuholen zu sein. Dabei sind Babler und sein Umfeld ehrlich überzeugt, dass im Herbst ein roter Wahlsieg möglich sein kann – wofür das Team allerdings selbst von anderen Sozialdemokraten belächelt wird.

Verlorenes Duell

Nun soll die inhaltliche Festlegung für den Wahlkampf erfolgen. Im Jänner hatte Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer im Rahmen einer großen Rede seinen "Österreichplan" vorgestellt und ein "Kanzlerduell" gegen Kickl ausgerufen. Der Sprung in dieses Duell ist Nehammer allerdings nicht gelungen. In den Umfragen hat die Volkspartei seit Jänner sogar leicht verloren.

Jetzt also ist Babler an der Reihe. Einen großen Teil seiner Forderungen hat die SPÖ bereits im Vorfeld an Medien gespielt. Es ist eine Mischung aus altbekannten roten Kernthemen und ein paar neuen Ideen.

Schwerer ist die Innovation in den Listen jener Kandidaten zu finden, die den Kurs verkörpern sollen. Ein großer Umbau, der Bablers SPÖ ein neues, originäres Gesicht bescheren könnte, fand nicht statt.

Warum? Dazu muss man das Gezerre im Vorfeld verstehen. Die Kandidatenlisten für die Landes- und Regionalwahlkreise werden innerhalb der jeweiligen Landes-SPÖ erstellt, die sogenannte Bundesliste von der Bundespartei. Beide Seiten haben ein Interesse daran, dass die jeweils andere möglichst viele gewichtige Persönlichkeiten übernimmt, die auf jeden Fall in den Nationalrat sollen. Je mehr Kandidaten auf der Bundesliste abgesichert sind, desto mehr Gefolgsleute können die Landesparteien auf der eigenen Liste an wählbare Stelle setzen – und vice versa.

Kaum Spielraum

Es lässt sich schwer behaupten, dass Babler dieses Match gewonnen hat. Die Wiener ignorierten den Wunsch, Vize-Klubchefin Julia Herr auf einer sicheren Position auf der Landesliste zu platzieren. Ein weiterer Platz ging ihm verloren, weil der nunmehrige rote Chefgewerkschafter Josef Muchitsch im Gegensatz zur letzten Wahl nicht mehr über ein regionales Mandat, sondern ebenfalls via Bundesliste ins Hohe Haus einziehen will.

Letztlich hatte Babler kaum Spielraum, Newcomer oder gar Quereinsteiger von außerhalb der Partei unterzubringen. Der einzige Neue auf einem mehr oder minder sicheren Platz ist Reinhold Binder, was dieser aber weniger dem Bundesvorsitzenden als dem Status des Chefs der Metaller-Gewerkschaft zu verdanken hat. Für Paul Stich, Frontmann der sozialistischen Jugend und Babler-Unterstützer der ersten Stunde, bleibt ein Wackelmandat. Damit die Medizinerin Miriam Hufgard-Leitner, die sich im Expertenrat engagierte, in den Nationalrat einzieht, müsste die SPÖ geradezu sensationell abschneiden – und in die Regierung kommen.

Schwerer Stand in der Partei

Ist das ein Zeichen, dass verschiedene Landesparteien Babler schlicht sabotieren? Diese Interpretation führt wohl zu weit. Das Listengerangel ist vielmehr ein Lehrbeispiel, wie wenig Macht die Person an der Bundesspitze zur Erneuerung der Partei hat. Bablers Vorvorgänger Christian Kern etwa wollte 2017 prominente Kandidaten des Apparats zugunsten von Quereinsteigern von der Bundesliste werfen. Nach Warnungen ließ er davon ab.

Der Grund war die drohende Revanche. Ein Bundeschef ist darauf angewiesen, dass die Funktionäre der Landesparteien und der Gewerkschaft bei Kampagnen und in Wahlkämpfen Einsatz zeigen. Das werden sie aber nicht oder bloß mit wenig Einsatz tun, wenn die eigenen Kandidaten abserviert wurden.

Ob Babler bei mehr Freiheiten überhaupt präsentable Quereinsteiger gefunden hätte, steht auf einem anderen Blatt Papier. Zu ködern versuchte er Barbara Blaha, Chefin des Momentum-Instituts. Doch die sagte ab.

Intaktes Verhältnis

Auch sonst ist Bablers Stand weiterhin schwierig. Beim Landesparteitag der SPÖ Wien am vergangenen Wochenende betonte Bürgermeister Michael Ludwig zwar mehrfach seine Unterstützung. In der Partei aber nimmt ihm diese Bekundungen nicht jeder ab. Ludwig war kurz nach Bablers Kür zum Parteichef aus den Bundesgremien der Partei ausgestiegen. Er gilt als Pragmatiker und Befürworter einer Koalition zwischen SPÖ, ÖVP und, wenn rechnerisch nötig, einem dritten Partner nach der kommenden Wahl. Die Sozialdemokratie müsse zurück in die Regierung – mit Babler oder im Fall eben auch ohne ihn, meinen manche Genossen in Wien.

Der SPÖ-Chef selbst betont sein intaktes Verhältnis zu den wichtigsten Vertretern der Volkspartei. In der ÖVP wird hingegen vor allem auf die gute Gesprächsbasis mit verschiedenen roten Spitzenleuten aus Wien verwiesen. Das hat wohl auch einen taktischen Hintergrund: Die ÖVP möchte Babler möglichst weit an den linken Rand drängen, ihn als Marxisten abtun, der in seiner Partei keinen sicheren Stand hat – um selbst "die Mitte" als breite Wählerschicht zu gewinnen. Die ÖVP versucht also, gleichzeitig Bande zur SPÖ zu knüpfen und Babler schlechtzureden.

Vielleicht auch deshalb springt der SPÖ-Chef auf einen Zug auf, in dem schon ÖVP und FPO sitzen: Wie die beiden Parteien rechts der Mitte fordert Babler im "Herz und Hirn"-Plan ein "Recht auf Bargeld". Wobei das Bargeld überhaupt niemand abschaffen will. (Gerald John, Katharina Mittelstaedt, 27.4.2024)