Will keine Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine liefern: der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD).
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Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Rede beim FAZ-Leserkongress am Freitag Bundeskanzler Olaf Scholz im Streit um Waffenlieferungen an die Ukraine in Schutz genommen. Mit Hinweis auf die Tatsache, dass Deutschland "der zweitwichtigste Unterstützer der Ukraine" sei, rechtfertigte Steinmeier sinngemäß die Weigerung des Kanzlers, der Ukraine auch Taurus-Marschflugkörper mit hoher Reichweite zu liefern. Es ist allerdings fraglich, ob nicht gerade Steinmeier mit seiner Kritik der "Ausgelassenheit und des wachsenden Ehrgeizes der Militärexperten und Kaliberexperten" einen Bumerangeffekt auslösen wird. Nur einige Wochen vorher hat der russisch-deutsche Journalist Nikolai Klimeniouk sogar festgestellt, Steinmeier hätte wegen seiner Beteiligung als Außenminister an gravierenden Fehlentscheidungen in der Russland-Politik vor einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gestellt werden sollen!

Im Gegensatz zur fragwürdigen Schützenhilfe seitens der Staatsspitze wurde Scholz in einem vernichtenden Spiegel-Leitartikel wegen seiner Führungs- und Kommunikationsschwäche nicht nur in der Außenpolitik scharf kritisiert. Er habe als Bundeskanzler bisher auch bei der Führung der Koalition versagt. In allen wichtigen Bereichen gebe Scholz kein gutes Bild ab.

Dass in zentralen sicherheitspolitischen Fragen die Grünen und die Liberalen viel entschlossener auftreten als der Bundeskanzler, hängt freilich auch mit der Realitätsverweigerung bezüglich des Ukrainekriegs in der SPD, etwa durch den einflussreichen Fraktionschef Rolf Mützenich, zusammen. Aber auch die jüngste China-Reise des Kanzlers endete mit einem kommunikationspolitischen Fiasko. Der freundliche Empfang Ilham Alijews, des langjährigen Diktators Aserbaidschans, in Berlin durch den Bundeskanzler hat auch internationale Kritik von Menschenrechtsorganisationen ausgelöst. Alijews übles Regime hat dutzende kritische Journalisten verhaftet und in einer Blitzoffensive binnen weniger Tage mehr als 100.000 Armenier aus dem Gebiet Bergkarabach nach Armenien vertrieben.

Dramatischer Weckruf

Dass gleichzeitig mit der Kritik an der Profillosigkeit des zaudernden Scholz sein Gegenspieler in Paris, Präsident Emmanuel Macron, mit einem dramatischen Weckruf Vorschläge für die Stärkung der Verteidigungskraft und der Wirtschaft präsentierte, war ein symbolträchtiger Beweis für den Tiefpunkt des deutsch-französischen Verhältnisses. Scholz ist freilich nicht allein für das offene Zerwürfnis mit Macron verantwortlich. Dessen eine Stunde und 45 Minuten lange Rede bestätigt die Diagnose des Zeithistorikers Franz-Olivier Giesbert: "Macron ist nichts als Kommunikation."

Der Kontrast zwischen den rhetorisch glänzenden Visionen Macrons und Scholz' "hochnäsiger Unkenntlichkeit" (Der Spiegel) unterstreicht die politische Einflusslosigkeit des blockierten deutsch-französischen Motors. Die mangelnde Führungsqualität des Bundeskanzlers erklärt den Sturz seiner persönlichen Beliebtheit und der SPD auf 15 Prozent bei dem letzten ZDF-Politbarometer. Olaf Scholz als Bundeskanzler ist bisher die große Enttäuschung der deutschen Politik. (Paul Lendvai, 29.4.2024)