Was die Wiener Allgemeine Zeitung am 11. Juli 1880 berichtete, dürfte in der Kaiserstadt niemanden sonderlich überrascht haben. "Jeder Sport hat seine bestimmte Jahreszeit, in welcher er ausschließlich nur betrieben werden kann oder am besten und bequemsten zu betreiben ist", heißt es da. "Und diese Jahreszeit ist für das Schwimmen der heiße Sommer." Das hätte man den Wienerinnen und Wienern eigentlich nicht erklären müssen: Seit Jahrhunderten erfreuten sich Baden und Schwimmen im Sommer in der Donaumetropole großer Beliebtheit.

Strandbad Gänsehäufel
Das 1907 eröffnete Strandbad Gänsehäufel wurde für die überhitzte Wiener Bevölkerung zur Sommeroase (im Bild eine Gänsehäufel-Rutschpartie 1928). Der Weg zu so diesem Badespaß war lange gewesen.
Archiv Seemann / brandstaetter i

Allerdings war der Badespaß ab dem 17. Jahrhundert erheblich getrübt worden: Mit zahlreichen Erlässen, Verboten und drakonischen Strafen hatte die Obrigkeit versucht, dem sommerlichen Treiben ein Ende zu setzen. Öffentliches Baden in den Armen der Donau, im Donaukanal und im Wienfluss galt als Sittenwidrigkeit, als ungebührlich, sündhaft und lebensgefährlich.

Kreuzzug gegen Badefreuden

Letzteres war zutreffend, tatsächlich sorgten mangelhafte Schwimmkenntnisse in weiten Teilen der Bevölkerung für zahlreiche Todesfälle. Es war zunächst aber vor allem moralische Empörung über nackte Haut und frivole Vergnügungen, die die niederösterreichische Regierung, das Wiener Rathaus und die Kirche zu ihrem Kreuzzug gegen das Wildbaden motivierten. Doch selbst angeordnete öffentliche Demütigungen, körperliche Züchtigung und sogar Gefängnisstrafen konnten eingefleischte Badefans nicht vom Sprung ins kühle Nass abhalten. Sehr zum Ärgernis der Behörden, die Richter und Exekutivorgane für ihren laschen Umgang mit den "Übeltätern", die oft aus den ärmsten Bevölkerungsteilen stammten, tadelten.

Ein Strategiewechsel im Umgang mit den unverbesserlichen Wildplantschern setzte im ausgehenden 18. Jahrhundert ein, wie der Historiker Ernst Gerhard Eder in seinen Studien der Wiener Bade- und Schwimmkultur aufgezeigt hat. Der Wind der Aufklärung wehte auch nach Wien und brachte neben Reformen in Bildungswesen und Verwaltung einen neuen Blick auf die Gesundheit mit. Ärzte und Pädagogen sahen im Baden nun allerhand Vorteile, insbesondere kalte Gewässer sollten die Jugend abhärten, körperlich und geistig reinigend wirken und Krankheiten vorbeugen.

Zahlende Zuseherinnen

Vergnügliches Wildbaden war zwar immer noch verpönt, passend bekleidet und unter Aufsicht zu schwimmen galt nun aber als erstrebenswert – nicht zuletzt im Militär. Ertrinkungsgefahr war bei der k. u. k. Kriegsmarine ein ständiger Begleiter. Dass französische Soldaten während der Schlacht bei Aspern 1809 mehrfach die Donau schwimmend überquert hatten, während zahlreiche Österreicher ertrunken waren, machte großen Eindruck. Und so sollte es nicht lange dauern, bis die erste Wiener Militärschwimmschule ihre Pforten öffnete: 1813 startete im Prater in einem Flussarm der noch unregulierten Donau der Unterricht für Soldaten.

Die Schwimmschule stand auch männlichen Zivilisten offen, Frauen war der Zutritt zunächst streng untersagt. Ab 1815 wurde "auch dem weiblichen Geschlechte gestattet, dem Schwimmunterrichte beyzuwohnen" – allerdings nur auf der Zuschauertribüne und gegen Eintrittszahlung. Der Andrang war enorm. Bis auch Frauen in Wien offiziell schwimmen lernen konnten, dauerte es noch bis zur Eröffnung des Ferdinand-Marienbads am Tabor 1831. Begleitet wurde diese Errungenschaft aber erneut von strengen Verordnungen, die für sittliches Verhalten und insbesondere für züchtige Badebekleidung sorgen sollten. Die Polizeidirektion Leopoldstadt wurde mit der Überwachung beauftragt.

Enthusiastischer Erzherzog

Auch anderswo stand Schwimmen auf dem Programm – ohne viele Zuschauer, aber auch ohne große Begeisterung: Im Wasserreservoir des Obeliskbrunnens im Schlosspark Schönbrunn hatten nun auch die Kinder des Kaiserhauses Schwimmunterricht zu absolvieren. Eine erste Erwähnung findet sich 1838 in einem Brief des späteren Kaisers Franz Joseph an seinen Bruder Maximilian.

"Das war nicht sehr beliebt bei den Kindern, das Schwimmen im kalten Speisungsbecken dürfte ihnen die Lust am Wasser eher genommen haben", sagt die Historikerin Katrin Unterreiner. Heute befindet sich dort das privat geführte Schönbrunnerbad – mit beheizten Becken. Eine Ausnahme gab es aber unter Franz Josephs Geschwistern: Erzherzog Ludwig Viktor, der jüngste Bruder, wurde zum leidenschaftlichen Schwimmer. In seiner Sommerresidenz im Schloss Kleßheim ließ er einen Pool und ein Badehaus bauen, in Wien frequentierte er das 1889 eröffnete Zentralbad, eine exklusive Badeanstalt der feinen Gesellschaft. "Das war ein richtiger Wellnesstempel mit mehreren Stockwerken für Männer und Frauen, mit Becken und Dampfbädern, Massage und Friseur", sagt Unterreiner, die gerade ein neues Buch über die Leidenschaften der Habsburger vorgelegt hat.

Schönbrunnerbad
Oberhalb des Obeliskbrunnens im Schlosspark Schönbrunn, wo einst der Kaiser schwimmen lernte, befindet sich heute ein Bad mit einem 50m-Sportbecken.
Heribert Corn

Nach einem "unsittlichen Eklat" im Zentralbad, bei dem der Erzherzog von einem anderen Gast eine Ohrfeige kassiert haben soll, musste er Wien auf Geheiß Franz Josephs dauerhaft verlassen. Dass der Kaiser seinem Bruder dessen Homosexualität übel nahm, sei aber nicht belegt, sagt Unterreiner. Er habe schon lange davon gewusst und nie ein Problem damit gehabt. Da sich der Skandal jedoch wie ein Lauffeuer in der Öffentlichkeit verbreitete, habe er unter Zugzwang gestanden.

Endlich ins Gänsehäufel

Indes nahm die Schwimmbegeisterung auch in der Bevölkerung rasant zu. Im Zuge der Donauregulierung wurde bei der heutigen Reichsbrücke das "Erste Wiener Kommunalbad" eröffnet, ab 1880 fanden regelmäßig Wettbewerbe statt. Allein bis 1909 wurden sieben Schwimmvereine gegründet, einige Mitglieder legten große Karrieren hin: Paul Neumann holte 1896 in Athen Olympiagold beim 500-Meter-Freistilschwimmen, der später von den Nazis ermordete Otto Herschmann brachte Silber über 100 Meter nach Hause.

Donaukanal
Wettschwimmen im Donaukanal wie auf dem Bild links im Jahr 1936 bei der Urania sieht man heute kaum.
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Mit dem Gänsehäufel stand der Wiener Bevölkerung ab 1907 dann auch ein öffentliches Strandbad zur Verfügung, das nicht nur zur körperlichen Ertüchtigung bestimmt war. Nach dem Ersten Weltkrieg konnten die Wienerinnen und Wiener dort endlich wieder einigermaßen ungestört das tun, was sie schon seit Jahrhunderten ans Wasser gelockt hatte: der Sommerhitze durch vergnügliches Plantschen entkommen. (David Rennert, 1.5.2024)