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Es waren zwar nicht die Vespas, die dem Film "Der Postmann" hier einen Oscar für den besten Soundtrack einbrachten, aber die Kategorie "schönstes Fischerdorf" sollte nun eingeführt werden.

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Corricella heißt die Symphonie der bunt gestrichenen Bauten, die sich hinter dem sanften Plätschern der Wellen erheben. Ziegelrot und ockergelb leuchten sie einem entgegen: Mit Außentreppen und weitbogigen Loggien verbundene Würfel, die man eher in Nordafrika vermutet hätte als am Golf von Neapel.

Die Requisiten, die man inmitten der imposanten Fischerdorfkulisse ausmacht, fügen sich da schon besser ins Bild. Wäsche trocknet zwischen den Häusern. Hie und da schiebt sich ein Patron im gerippten Unterhemd über den Balkon. Das Schaukeln lackierter Fischerboote und die dahinter aufragenden Faltengebirge der Netze verraten auf Anhieb, was man so kaum glauben möchte: Es ist ein echtes Fischerdorf, das man vom schwarzsandigen Strand aus erkennen kann. So echt wie der Geruch des Branzino, der schon zu Mittag vom Grill herüberzieht, und so vital wie der Geschmack des salzigen Wassers auf der Haut.

So heißt die tägliche Oper, die hier mitverfolgt werden kann, schlicht "Bella Italia". Komponiert hat sie die Insel Procida. Das Beste an der Aufführung: Sie findet am Hintereingang der mondäneren Nachbarinseln Ischia und Capri statt. Dort, wo mancher Tourist nur haltmacht, weil die Fähre Napoli-Ischia einen kurzen Zwischenstopp einlegt.

Oder aber man befindet sich auf der Suche nach jener Marina, an der Matt Damon als "Der talentierte Mister Ripley" lebte und schon zuvor "Der Postmann" Philippe Noiret alias Pablo Neruda Briefe zustellte. Dass neben dem Bilderbuchhafen im Osten der Insel auch ganz Procida einen Location-Oscar verdienen würde, wussten die italienischen Regisseure schon früher. Mehr als zwanzig Filme wurden hier gedreht. Vor allem dann, wenn die Idealkulisse des archetypischen süditalienischen Fischerdorfs gefragt war.

Arturos Insel hat alles

Noch bevor die Filmleute Procida nach immer neuen Einstellungen durchforsteten, hatte Elsa Morantes Roman "Arturos Insel" Procida berühmt gemacht. "Vom Dach unseres Hauses konnte man die Form unserer Insel sehen", beschreibt der junge Arturo darin Procida. "Sie ähnelt einem Delfin. Meine Insel hat Strände von feinem Sand und andere, die mit Kieseln und Muscheln bedeckt sind und zwischen großen Klippen versteckt liegen."

Damit jetzt keine falschen Eindrücke entstehen: Procida ist eine dichtbebaute, um nicht zu sagen verstädterte Insel. Ein Labyrinth aus Mauern und Lavasteingassen, das an der Hafenmole von Sancio Cattolico beginnt und das die gerade mal vier Quadratkilometer Inselfläche souverän zerteilt. Bis auf das Naturschutzgebiet der Halbinsel Vivara vielleicht, wo einst die Bourbonen Fasan und Hasen jagten und neben dem sich die längsten Strände befinden. Aber die Gassen sind dörflich geblieben, mit weitläufigen Gartenoasen hinter abweisenden Mauern, wo der Wein gedeiht und die Zitronen, aus denen man den berühmten Limoncello-Likör gewinnt.

Sogar der Fiat 500 taucht hier noch selten als Lifestyle-Statement auf, sondern vor allem als eines der wenigen Vehikel, die diverse Engpässe aneinandergekuschelter Gemäuer bewältigen können. Dazu der Halbstarken-Charme der Jugendlichen, die mit Badehose, Sonnenbrille und Vespa am Pier auf hübsche Mädchen lauern - kein Wunder, dass Procida auf Anhieb an ein rar gewordenes Stück Süditalien aus der Nostalgiekonserve erinnert.

Nette Geste, Herr Ober

Auch in kleinen Bildern und Gesten zeigt sich diese Authentizität zwischen den engen Gässchen: So behutsam wie jenes Einkaufskörbchen, das per Seil zum darunterliegenden "Alimentari"-Laden heruntergelassen wird. Oder wie Procidas erstes "Buongiorno". Mit dünnem Karamellstrich hatte es der Kellner auf den Cappuccino-Schaum geschrieben, und das, obwohl am Sonntag die Hölle los war im Café Salute di Procida, weil soeben die Kirche endete.

Procida besitzt aber ferner: insgesamt acht Kirchen mit barocken Kuppeln, goldglänzenden Kassettendecken und festlich geschmückten Madonnen, eine weit über die Grenzen Kampaniens hinaus berühmte Osterprozession sowie eine der ältesten Seefahrerschulen Italiens, das Istituto Nautico Francesco Caracciolo, in dem fast ausschließlich Procidaner eingeschrieben sind. Mit besten Berufsaussichten übrigens, nautisches Personal aus Procida ist weltweit gefragt.

Der Rest der Nachrichten aus Procida? Passt auf die Rückseite einer Postkarte: "Genießen die Aussicht von der Terra Murata, dem einzigen Hügel der Insel!" In seiner dominanten Festung verschanzten sich einst die Procidaner vor sarazenischen Piraten. Später wurde daraus das "Alcatraz im Golf von Neapel", ein Hochsicherheitsgefängnis, das erst 1988 geschlossen wurde. Wer bis dahin zum Absitzen nach Procida reiste, bereute seine Verbrechen vermutlich wirklich. Denn der Blick auf ein zwischen Türkis und Tiefblau changierendes Meer mit Capri und Ischia im Hintergrund muss die reine Folter gewesen sein. (Robert Haidinger/DER STANDARD, Printausgabe, 19./20.4.2008)