Vor wenigen Tagen gab es einen Showdown im Sicherheitsrat der UN zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und der kosovarischen Präsidentin Vjosa Osmani-Sadriu. Während der eine von der Verschwörung des Westens gegen Serbien und der angeblichen historischen Ungerechtigkeit gegen das serbische Volk schwadronierte, erinnerte ihn die andere an seine Vergangenheit als Informationsminister an der Seite Slobodan Miloševićs. "Nehmen Sie sich einen Moment, und entschuldigen Sie sich bei den Opfern", richtete Osmani-Sadriu ihre emotionalen Worte an Vučić, "zeigen Sie, ob auch nur ein Hauch der Humanität in Ihnen übriggeblieben ist."

Vjosa Osmani-Sadriu, UN, Sicherheitsrat, New York
Fordert von Aleksandar Vučić ein, Menschlichkeit zu zeigen: die Präsidentin des Kosovo, Vjosa Osmani-Sadriu.
Foto: Imago / Lev Radin

Humanität und Gewissen sind in den Wirrungen der Balkanpolitik und den Welten der Politiker wie Vučić leider schon längst keine Kategorie mehr. Es geht stets um beinharte Machtpolitik, um eigene Interessen und die Frage, welche rhetorische Schallplatte man auflegt, damit ganze Nationen nach dem Gutdünken der Machthaber den leblosen Tanz im Trancezustand fortsetzen können. Die Öffentlichkeit ist betäubt vom Lärm der Hetze, vom ständig herbeigerufenen Gefühl des Bedrohtseins. Politik ist zu einer nationalistischen, machtbesessenen Illusion geworden. Und die hat realpolitische Folgen. Die neueste Debatte rund um die geplante Resolution der Vereinten Nationen zu Srebrenica illustriert dies am besten.

Tag des Andenkens

Die von Deutschland und Ruanda initiierte Resolution soll an das dunkle europäische Kapitel der 1990er-Jahre erinnern – an den Genozid in Srebrenica, wo im Juli 1995 8372 bosniakische Männer und Jugendliche von den Truppen des serbischen Generals und verurteilten Kriegsverbrechers, Ratko Mladić, brutal ermordet wurden. Internationale Gerichtsbarkeit hat basierend auf Fakten unmissverständlich festgestellt: Srebrenica war der größte Genozid auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Der 11. Juli soll ab 2025 als internationaler Tag des Andenkens daran gelten, die kleine ostbosnische Stadt als Mahnung für die Zivilisation dienen.

Die Resolution, die mit großer Wahrscheinlichkeit von der UN-Generalversammlung verabschiedet werden wird, möchte an die Gefahren der Leugnung des Genozids erinnern. Und damit sind wir mit einem Schlag inmitten der Untiefen der Politik auf dem Balkan, wo Genozid-Leugnung und Geschichtsrevisionismus längst traurige Realität geworden sind. Die Resolution behauptet mit keinem Wort, dass Serbien ein "genozidales Volk" sei, niemand will den Serbinnen und Serben kollektive Schuld in die Schuhe schieben. Es sind Politiker wie Milorad Dodik und Vučić, die diese Etikettierung herbeireden.

Nationalistische Hetze

Für den prorussischen Präsidenten der Republika Srpska Dodik ist die Leugnung des Genozids in Srebrenica zu seinem täglichen politischen Brot geworden, mit dem er vom absoluten Regierungsversagen in der Republika Srpska und den korrupt-kriminellen Machenschaften seiner Clique ablenken will. Seit Wochen droht er fast atemlos mit Sezession, ergötzt sich in antiwestlichen Hasstiraden und tiefstem Rassismus. Unlängst sagte er, dass er nicht einmal dieselbe Luft mit den Bosniakinnen und Bosniaken atmen will.

Milorad Dodik, Demonstration, Banja Luka
Der Präsident der Republika Srpska, Milorad Dodik, bei einer Demonstration gegen die Srebrenica-Resolution in Banja Luka am 18. April.
Foto: Reuters / Amel Emric

Vučić, der dasselbe Narrativ vom bösen Westen kultiviert und die Resolution zum ultimativen Angriff auf die Freiheit des serbischen Volkes stilisiert, ist ein weitaus besserer und geschickter politischer Kalkulierer als Dodik. Während sich Vučić in Dauerschleife – 87 (!) abendfüllende Ansprachen an die Nation in den ersten drei Monaten des Jahres – zum Opfer und zum Kämpfer zugleich erklärt, setzt er das geopolitische Schaukelspiel zwischen Russland, China und dem Westen fort.

"Vulin als neuer Vizepremierminister ist Vučićs Mittelfinger für den Westen."

Diese Woche hat er den nationalistischen und prorussischen ehemaligen Geheimdienstchef Aleksandar Vulin, der sich auf der US-Sanktionsliste befindet, in die Regierung gehievt. Vulin als neuer Vizepremierminister ist Vučićs Mittelfinger für den Westen. Kommende Woche wird er anlässlich des Jahrestages der Zerstörung der chinesischen Botschaft durch die Nato-Bomben im Mai 1999 Chinas Präsidenten und seinen "großen Bruder", Xi Jinping, in Belgrad begrüßen. Parallel dazu betreibt er die Aufrüstung der serbischen Armee und glänzt mit Drohgebärden Richtung Kosovo, die vom Kreml mit Wohlwollen kommentiert werden. Die Sicherheit der Region steht längst auf dem Spiel.

Aleksandar Vučić links im Bild, Aleksandar Vulin rechts
Der serbische Präsident Aleksandar Vučić mit dem Kreml-nahen Aleksandar Vulin – der ehemalige Chef des Nachrichtendiensts kehrt als Vizepremierminister in die neue serbische Regierung zurück.
Foto: AP / Darko Vojinovic

Gibt es in diesem dunklen Bild auch Licht? Der Balkan wird schon seit jeher mit dem Image des Pulverfasses und der blutigen Kriege assoziiert. Der Begriff der Balkanisierung hält sich hartnäckig. Die giftige politische Konstellation mit neuen autoritär-nationalistischen politischen Strukturen und Vätern der Nation ist es, die die Krisenhaftigkeit erzeugt und dem stereotypisierten Bild des Balkans Vorschub leistet. Stimmen, die sich für eine freie und offene, liberale und menschenrechtsbasierte Region einsetzen, sind zwar in der Minderheit, aber nicht verstummt. Die in Serbien beheimatete NGO Youth Initiative for Human Rights (YIHR) hat einen Brief an die UN gesendet, in dem sie diese unmissverständlich unterstützt. "Es ist höchste Zeit, die Kultur der Leugnung zu beenden, die die Region in Geiselhaft hält", sagen die jungen Serbinnen und Serben und drücken die Hoffnung aus, dass die Opfer des Genozids in Srebrenica einmal im öffentlichen Diskurs in einem anderen Serbien Respekt und Würde erfahren werden.

Faule Kompromisse

Europa und der demokratische Westen, die in den letzten Jahren zu sehr auf faule Kompromisse mit Politikern wie Vučić oder Dodik gesetzt haben, müssen schnell einen neuen Umgang mit der Region finden, in dem nicht Pragmatismus und Doppelstandards im Vordergrund stehen, sondern klare und offensive Unterstützung für die emanzipatorischen und mutigen Kräfte. Stimmen wie jene dieser jungen Menschen aus Serbien, für die die Srebrenica-Resolution eine Sache der Moral und der universellen menschlichen Werte von uns allen ist, müssen zum neuen Maßstab eines neuen und besseren Balkans werden. (Vedran Džihić, 5.5.2024)