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Humangenetisch bewiesen: Zwei von zehn Iberern stammen von sephardischen Juden ab, einer von nordafrikanischen Muslimen.

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Leicester - Niemand weiß genau, wann die ersten von ihnen kamen, warum, und wo sie sich zuerst auf der Iberischen Halbinsel ansiedelten. Sicher ist nur: Sephardische Juden lebten viele Jahrhunderte lang in zahlreichen Gemeinschaften zwischen den Pyrenäen und der Straße von Gibraltar.

Die "Sephardim" waren bereits zu Zeiten der römischen Besatzung Iberiens präsent. Sie überstanden diverse Verfolgungen und waren vor allem wirtschaftlich fest in den historisch unsteten christlichen und muslimischen Herrschaftsgebieten der Region verankert.

Bis 1492. In diesem Jahr besiegten christlichen Truppen Granada, das letzte maurisch-islamische Königreich auf spanischem Boden. Die "Reconquista" war damit vollendet. Das anschließend erlassene "Alhambra-Edikt" zwang sämtliche spanischen Juden, entweder zum Christentum zu konvertieren oder ihre Heimat für immer zu verlassen. Eine menschliche und kulturelle Tragödie nahm ihren Lauf.

Diese furchtbaren "religiösen Säuberungen" beschränkten sich nicht nur auf die sephardischen Juden. Wer als Muslim nach dem Fall Granadas nicht geflüchtet war, sah sich ebenfalls wachsendem Druck ausgesetzt. Die Zahl der Konvertiten wuchs.

Ehemalige Anhänger des Islams wurden "Moriscos" genannt, christianisierte Juden "Conversos". Wie viele Menschen - gezwungenermaßen - den Glauben wechselten, ist nicht genau bekannt. Schätzungen zufolge lebten Ende des 15. Jahrhunderts in Spanien etwa 400.000 Sephardim, wovon 160.000 ausgewandert sein dürften, die meisten von ihnen in den östlichen Mittelmeerraum und nach Marokko.

DNA-Erbe der Geschichte

Auf der Iberischen Halbinsel führten die Verfolgungen nach und nach zum Erlöschen der maurischen und sephardischen Kulturen. Vieles geriet in Vergessenheit, die Geschichtsschreibung katholischer Historiker besorgte den Rest.

Welch bedeutende Rollen sephardische Juden und Mauren tatsächlich in der Geschichte Spaniens und Portugals spielten, lässt eine heute von der Fachzeitschrift American Journal of Human Genetics publizierte Studie erahnen. Ein internationales Forscherteam hat die DNA-Proben von 1140 iberischen Männern untersucht und dabei die Variabilität bestimmter Abschnitte des Y-Chromosoms analysiert. Die Herkunft bestimmter Sequenzen kann nämlich anhand von Vergleichen mit Proben aus anderen Gebieten ziemlich genau zurückverfolgt werden.

Das Ergebnis ist erstaunlich: Demnach stammen 10,6 Prozent der untersuchten Y-Chromosom-Genabschnitte aus Nordafrika, und ganze 19,8 Prozent entsprechen weitestgehend dem Typus heute lebender Sephardim.

"Das bedeutet, dass drei von zehn spanischen und portugiesischen Männern Vorfahren haben, die nicht von der Iberischen Halbinsel stammen", sagt Studienleiter Mark Jobling von der englischen University of Leicester im Gespräch mit dem Standard.

Erwartungsgemäß sind die exotischen Haplotypen geografisch nicht gleichmäßig verteilt. Im Baskenland zum Beispiel fanden die Wissenschafter keine Männer mit maurischen Genen, während in Galicien und Nordwestkastilien erstaunlicherweise mehr als 20 Prozent der Untersuchten nordafrikanischen Ursprungs waren.

Dies dürfte eine Folge von Zwangsumsiedlungen der "Moriscos" im 16. Jahrhundert sein. Für Historiker eröffnet die neue Studie hochinteressante Perspektiven. "Spanien hat eine sehr reiche kulturelle Geschichte", sagt Mark Jobling. "Und unsere genetischen Forschungsergebnisse passen sehr genau zu dieser Vielfalt." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 5. Dezember 2008)