Das Dach des Kongresshauses hat schon bessere Zeiten erlebt. Das Grand Hotel de l'Europe auch.

Foto: W. Czaja

Der Juwelier auch. Eine Neupositionierung Bad Gasteins ist unausweichlich.

Foto: W. Czaja

Aus den weißen Marmorplatten ragen hunderte von Lämpchen und Schaltern. Die Spannungsmesser und Barometer sind, wie zu Jules Vernes Zeiten, hübsch in Messing gefasst. Gleich daneben kolossale Transformatoren aus blaulackiertem Stahl. Das alte Kraftwerk aus dem Jahre 1914 am Fuße des Gasteiner Wasserfalls erweicht so manches Architektenherz. Doch das Industriegebäude von Architekt Leopold Führer, einem Schüler Otto Wagners, hat weit mehr zu bieten. Vor zwei Wochen etwa diente die alte Turbinenhalle als Kulisse für ein rotziges Techno-Rave.

Bad Gastein, traditioneller Sommerkurort und nunmehriges Wintersportparadies, erlebt eine neue Gründerzeit. Denn während das Zentrum mit seinen leerstehenden Hotels und dem unverwechselbaren Kongresshaus langsam verfällt und wieder von der Natur zurückerobert wird, regt sich aus den jüngsten Etagen der Bevölkerung ein noch nie da gewesener, ungebrochener Elan. Statt mit Ziegel und Mörtel kommen die Bobos und Lohas mit witzigen und spritzigen Ideen daher.

"Dieser Ort hängt noch ein wenig in der Luft", sagt Olaf Krohne, Geschäftsführer von Krohne Hospitality Projects mit kurzer Hose, Polohemd und Dalmatiner Paulchen an der Leine, "unsere grundsätzliche Idee ist, die derzeitige Situation als einmalige Chance zu begreifen und den Entwicklungsprozess, in dem sich Bad Gastein befindet, aktiv zu vermarkten." Mit Erfolg: Vor ein paar Jahren wurde das langfristige Entwicklungskonzept project.badgastein mit dem Salzburger Wirtschaftsförderungspreis ausgezeichnet.

Das Hotel Miramonte, ein Schuhkarton im Sixties-Look, das einst als Herberge für die Mitarbeiter der Österreichischen Nationalbank diente, ist heute ein überaus schicker, mit allerlei Originalmobiliar bestückter Third Place, der vor allem Menschen aus den Creative Industries zum Wohnen und Arbeiten lockt. Architekten, Designer, Fotografen, DJs und Molekularköche aus ganz Europa sitzen gemeinsam am Frühstückstisch und brüten über neuen Ideen für Bad Gastein. Zukunftsguru Matthias Horx, häufiger Gast im Haus, bezeichnet das Miramonte gar als geistige Enklave.

Zahlreiche Ideen wurden hier bereits geboren. So diente das heruntergekommene Hotel Straubinger in der Dorfmitte als Location für nächtliche Clubbings, während im Grand Hotel de l'Europe, das dieser Tage sein 100-jähriges Bestehen feiert, immer wieder Events, Vorträge und Filmprojektionen über die Bühne gehen. Und in Sportgastein, hoch oben in den Bergen, soll eine von Gerhard Garstenauers Aluminiumkugeln (Baujahr 1970) mitsamt anschließender Pistenhütte zu einem Lokal für Skifahrer und Wanderer ausgebaut werden. So soll auch dieses, der Zeit weit voraus gebaute Objekt ein Leben nach dem Tod erfahren. Demnächst werde man das Projekt auf der Baubehörde einreichen.

"Wem in Bad Gastein fad ist, der ist selber fad", sagt der Wiener Architekt Ike Ikrath, der vor knapp zehn Jahren hierher zog und sich nun in der Hotellerie ansiedelte. "Die Impulse müssen und können nur von außen kommen. Man darf nicht vergessen, dass Bad Gastein von Grund auf keine gewachsene Struktur, sondern eine Retorte ist. Schon damals waren es ortsfremde Unternehmer, die aus der unberührten Natur dieses dichte und urbane Dorf geschaffen haben."

Genau aus diesem Grund glaubt Ikrath an die Formbarkeit des Ortes. "Kurtourismus und Après-Ski waren gestern. Mit viel Engagement wollen wir das Zielpublikum nun ändern und ein geschärftes Profil ausarbeiten. Das kulturelle Potenzial ist enorm, und ich denke, dass Bad Gastein in einigen Jahren ein Thinktank, eine Art Hochburg für Kreative sein könnte."

Bono Vox singt nicht mehr

Wäre da bloß nicht der dunkle Schatten des schleichenden Verfalls. Schon seit den Siebzigerjahren bröckelt Gastein unaufhaltsam vor sich hin. Die Kaufkraft schwindet, Geschäfte sterben aus, in den leerstehenden Auslagen krabbeln Wanzen und Asseln umher. Da, wo einst Liza Minnelli und Bono Vox am Fenster standen und den High-Society-Ort mit Weltklasse beehrten, sprießt nun Unkraut aus den Mauerritzen.

In der Hoffnung, sich aus der unattraktiven und wirtschaftlich maroden Erscheinung freikaufen zu können, wurden zwischen 1999 und 2005 einige der wichtigsten und zentralsten Gebäude Bad Gasteins an den Wiener Immobilienmakler Franz Duval veräußert. Hotel Straubinger, Badeschloss, Alte Post, Haus Austria sowie das imposante Kongresshaus des Salzburger Architekten Gerhard Garstenauer wechselten auf diese Weise um fünf Millionen Euro den Besitzer. Ein Schnäppchen.

Doch wie sich herausstellt, ist der vage Traum von einem besseren Bad Gastein wieder einmal zerplatzt. "Herr Duval rührt keinen Finger, sondern sieht zu, wie die historische Bausubstanz vor sich hin rottet", erklärt Bürgermeister Steinbauer (ÖVP). "Die Wahrheit ist: Solange wir Herrn Duval nicht zum Verkauf bewegen können, wird nichts geschehen. Einige Romantiker haben das noch immer nicht begriffen."

Und was sagt Franz Duval dazu? Nichts Konkretes. "Bad Gastein ist einer der schönsten Orte Österreichs, und ich glaube, dass es in einigen Jahren wieder zu dem werden kann, was es mal war", erzählt er dem Standard, "ich werde alles Erdenkliche tun, um diesen Ort zu retten, solange man mir die entsprechende Unterstützung gibt." Doch wie diese Rettung konkret aussehen soll, ist noch unklar. Über Details schweigen sich Duval und sein Architekt Franz Wojnarowski (Planer der Cityclub-Pyramide in Vösendorf bei Wien) nämlich aus. Welche Nachnutzungen sind für die betroffenen Gebäude geplant? "Kein Kommentar."

Bis heute keine Sanierung

In der Zwischenzeit gehen Wind und Wetter den teilweise denkmalgeschützten Häusern an den Kragen. Ins Kongresshaus, das wegen seines jungen Alters (Baujahr 1974) als Einziges nicht unter Denkmalschutz steht, regnet es an allen Ecken und Enden hinein. Letzten Samstag standen Teile des Foyers unter Wasser. Auf dem orangefarbenen Teppich und den vielen Velours-Fauteuils von Mario Bellini (Produzent B&B Italia, Entwurf 1972), für die so mancher Liebhaber ein Vermögen hinblättern würde, liegt zentimeterdick der Schimmel.

Wie kommt es, dass in den Duval'schen Häusern nicht einmal eine längst überfällige notdürftige Bestandssanierung gemacht wird? Laut Sachverständigengutachten würden sich die Sanierungskosten für die vier denkmalgeschützten Häuser auf rund zwei Millionen Euro belaufen. Bei ernsthaft drohender Zerstörung des Denkmals - und davon ist man laut Expertenmeinung nicht mehr weit entfernt - könnte auf Antrag des Bundesdenkmalamts eine Zwangssanierung veranlasst werden. Beim völlig ungeschützten Kongresshaus allerdings gibt es nicht die geringste Handhabe. Hier ist das Objekt dem Wollen und Nichtwollen seines Eigentümers ausgeliefert.

"Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Das alles war schon kaputt, als wir es gekauft haben", sagt Duval, das Kongresshaus habe sich im Laufe der Zeit einfach abgelebt. Mysteriöser Nachsatz: "Das Problem wird sich im Laufe der Zeit lösen. Das verspreche ich Ihnen."

Bei all dem kann Gerhard Garstenauer, der für das Kongresshaus 1975 sogar mit dem Salzburger Architekturpreis ausgezeichnet wurde, nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Der Glanz der alten Tage ist vermodert und verkalkt. Letzteres sogar wörtlich, denn an den Betonfertigteilen hängen bereits kleine weiße Stalaktiten. Sie zeigen die Zeit an. "Was ich zuletzt gesehen habe, hat mir gereicht. Der derzeitige Zustand des Hauses ist eine Kette von Versäumnissen."

Erstens habe das Bundesdenkmalamt verabsäumt, das Gebäude zum richtigen Zeitpunkt unter Denkmalschutz zu stellen, was bei einem derart ungewöhnlichen und für das Ortsbild prägenden Bau in keiner Weise nachvollziehbar sei. "Ich verstehe nicht, warum die Behörden immer glauben, dass Bauten aus der Nachkriegszeit nicht schützenswert sind!"

Und zweitens, so Garstenauer, sei der sich über Jahre hinziehende Ausverkauf der Stadt und die darauffolgende, unausweichliche Verwahrlosung des Zentrums Ausdruck der Unbildung der politisch tätigen Leute im Ort. "Ich sag's ganz ehrlich: Ich glaube nicht mehr an die Rettung des Kongresshauses. Es wird eher ein öffentliches Ärgernis eintreten als eine Erhaltung des Gebäudes."

Das müsse man erst prüfen, sagt Barbara Neubauer, Präsidentin des Bundesdenkmalamts. "Fest steht, dass vom neuen Eigentümer niemals konkrete Planungen vorgelegt wurden und dass offenbar kein gesteigertes Interesse daran besteht, das Kongresshaus in absehbarer Zeit einer Nutzung zuzuführen. Dem Gebäude tut das sicher nicht gut." Aus diesem Grund soll in den nächsten Monaten untersucht werden, ob eine Unterschutzstellung des Kongresshauses aus wissenschaftlicher und historischer Sicht sinnvoll und zielführend ist.

Ganz so einfach sei die Sache mit dem Denkmalschutz aber nicht: "Gerade bei Bauten aus der Nachkriegszeit ist die Bausubstanz erfahrungsgemäß oft sehr schlecht. Es macht wenig Sinn, ein Gebäude unter Schutz zu stellen, wenn sich dann im Zuge der Sanierung und Anpassung an die aktuellen Bauvorschriften herausstellt, dass 80 oder 90 Prozent der Substanz ausgetauscht werden müssen." In solch einem Fall plädiere Neubauer eher für eine exakte und aufschlussreiche Dokumentation. In einem halben Jahr wisse man mehr.

Der Ort braucht neue Ideen

Genug gestritten. So jedenfalls lautet das Urteil des Dalmatiner-Besitzers Olaf Krohne. Fröhlich und optimistisch wie sein gepunkteter Vierbeiner wandelt der 36-Jährige durchs Zentrum, vorbei an den wenigen verbliebenen Geschäften und Gastronomiebetrieben im Ort. Hier eine Pizzeria, dort ein mexikanisches Lokal namens Sancho mitsamt Wüste und Kaktus an der Wand. Hier ein kleiner Souvenirladen, da ein Juwelier, der trotz gut gemeinter Botschaften in der Auslage ("Lebensfreude pur") in riesigen Buchstaben die bevorstehende Geschäftsauflösung verkündet.

"Momentan ist es das Wichtigste, einen Schlussstrich unter die bisherigen Streitigkeiten zwischen allen Beteiligten zu ziehen", sagt Krohne, "vorantreiben können wir den Prozess einzig und allein mit innovativen und zukunftsweisenden Ideen." Schon bald könnten diese etwas konkreter werden, denn der Kontakt zu Franz Duval wird in letzter Zeit besser und intensiver. Wie der Standard kurz vor Redaktionsschluss erfuhr, sei die Räumung des Kongresshauses in Anbetracht der bisherigen Zerstörung bereits in Auftrag gegeben worden. Demnächst, erklärt Duval, würden die Fauteuils von Mario Bellini in ein sicheres, trockenes Lager geräumt. Ein erster, aber vielversprechender Schritt in der Sicherung des kulturellen Erbes.

Und weiter? Eine zumindest provisorische Sanierung scheint unumgänglich. "Wenn alles klappt, wollen wir Teile des Kongresshauses noch in diesem Jahr mit einem Shop-in-Shop-Konzept sowie mit neuer Gastronomie füllen", greift Krohne voraus, "es gibt bereits genügend Interessenten, die diese Idee unterstützen. Nun müssen alle an einem Strang ziehen." Vielleicht ist Franz Duval ja mit von der Partie.

Als Ergänzung dazu schlägt der Projektentwickler vor, die leerstehenden Geschäftslokale im Dorfzentrum als Kunstgalerien beziehungsweise Artspace zu nutzen. Selbst über Kunst im öffentlichen Raum wird bereits nachgedacht. Klingt nach einem Haufen Arbeit. Doch warum sollte nach vielen gemeisterten Hürden nicht auch diese zu bewältigen sein?

"Bad Gastein ist in meinen Augen die größte Kreativspielwiese der Welt", sagt Architekt Ike Ikrath. "Wo sonst hat man schon die Möglichkeit, einen Ort in seiner Gesamtheit wiederzubeleben und mit derart innovativen Konzepten aufzuladen?" Das sei eine große Chance. "Die meisten empfinden Bad Gastein einfach nur als hässlich. Doch Menschen aus den Creative Industries erkennen in dieser morbiden Verfallenheit einen ganz eigenen Reiz, können sich kreativ einbringen und so zur Neuidentität des Ortes beitragen."

Klingt zunächst nach billiger PR. Doch bei näherer Betrachtung ist das Bild gar nicht so falsch. Ja, es scheint sogar, als sei in Bad Gas-tein eine neue Gründerzeit angebrochen - mit dem einzigen Unterschied, dass die jungen Protagonisten nicht den großen Fehler begehen, ins vollgepferchte Bergdorf mit seinem ohnehin schon unüberschaubaren Leerstand noch mehr reinbauen zu wollen. Das machen schon die Russen, Schweden, Italiener.

Es keimt im Fundament

Stattdessen tischen die ungebremsten Visionäre eine Software nach der anderen auf. Penibel und millimetergenau ist sie darauf programmiert, die spezifischen Probleme Bad Gasteins mit sanften und - einmal muss es ja gesagt sein - nachhaltigen Konzepten zu minimieren, schließlich zu beseitigen. Es gibt eine Reihe revitalisierter Hotels, kleiner versteckter Szenebars und hochkarätiger Restaurants am schmalen Grat zwischen Fusion-Cooking und bodenständiger Alpinität. Und immer wieder Partys, Clubbings, Raves.

Das Außergewöhnliche daran: Diejenigen, die das Zukunftszepter an sich gerissen haben, sind keine 50 Jahre alt. Die meisten sind sogar unter 40. Und ihre zentrale Message lautet: "Bad Gastein braucht dringend Einwohner. Die Menschen müssen hierher ziehen und hier ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt aufbauen. Ohne diese Basis ist alle Müh' umsonst."

Einige sind dem Aufruf bereits gefolgt. Sie basteln eifrig an der Wiedergeburt jenes längst verfallenen Kurorts, in dem einst Thomas Mann und Stefan Zweig die Sommer verbrachten. Ob sich Bad Gastein tatsächlich wieder zur montanen Kontaktbörse für Künstler, Kreative und lebensgenießerische Hedonisten entwickeln wird oder nicht, liegt nicht zuletzt an der Gemeinde und an den Grundstückseigentümern. Ein solcher regionalwirtschaftlicher Schub wäre jedenfalls einzigartig in Österreich.

"Bad Gastein braucht keine Visionen", meint Bürgermeister Gerhard Steinbauer. "Es entwickelt sich seit Jahren überaus blendend. Es gibt genügend Investoren. Und was die Anzahl der Nächtigungen betrifft, haben wir derzeit die beste Auslastung in der Geschichte des Ortes."

Nach der jüngsten Volkszählung hat Bad Gastein 4500 Einwohner. 2001 waren es noch knapp 6000. (Wojciech Czaja/DER STANDARD/Album/1./2.8.2009)