In der Süddeutschen lese ich, dass die Deutschen, aus krisenbedingter Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, immer seltener in den Krankenstand gehen - stattdessen schleppen sie sich auch mit Rückenschmerzen, Grippe und Erkältung in die Firma. Die Arbeitsmedizin hat für dieses Phänomen seit einigen Jahren einen eigenen Namen, nämlich den Präsentismus, was eben soviel bedeutet wie die Neigung, Krankheiten zu verdrängen und stattdessen seine Daueranwesenheit im Büro zur Schau zu stellen, eine Neigung, die, nebenbei bemerkt, nicht nur dem Wohlbefinden des maroden Angestellten selbst abträglich ist, sondern manchmal auch dem seiner angehusteten Kollegen.

Gebildet ist das Wort Präsentismus nach dem Muster seines Gegenteils, dem "Absentismus": Dieses Wort meint die Tendenz eines Arbeitnehmers, sich mit dubiosen oder inexistenten Krankheiten (eitrige Tachinose, Morbus Freitag etc.) von der Arbeit fernzuhalten. Im Englischen gibt es die Wörter "Absenteeism" und "Presentism", und zwar in derselben Bedeutung wie im Deutschen. "Presentism" hat aber darüber hinaus noch eine ursprünglichere Bedeutung: Es bezeichnet die Erklärung eines vergangenes Geschehens unter Zuhilfenahme von Kategorien, die erst in der Gegenwart entstanden sind ("the application of contemporary perspectives in explaining past events rather than placing these events in their historical context", Websters New World College Dictionary). Ein "Presenteism" wäre es etwa, wollte man Pascal als Computerprogrammierer bezeichnen, Goethe als Antifeministen oder Mozart als Schockrocker.