Bild nicht mehr verfügbar.

Der greise Präsident Simbabwes, Robert Mugabe (li.), mit Premierminister Morgan Tsvangirai. Mair: "War von Beginn an skeptisch, ob das Abkommen funktionieren kann und ZANU-PF bereit ist, Macht zu teilen."

Foto: AP/Tsvangirayi Mukwazhi

Bild nicht mehr verfügbar.

Roy Bennet nach seiner Freilassung aus der Haft im März dieses Jahres. Die erneute Inhaftierung des Vertrauten von Morgan Tsvangirai führte zum Boykott der Regierungsarbeit des Premierministers.

Foto: Reuters/Philimon Bulawayo

Bild nicht mehr verfügbar.

Straßenszene vom Dezember vergangenen Jahres: Kinder sammeln am Straßenrand Getreidekörner auf, die ein Lkw verloren hat. Mair: "Es kann relativ schnell außer Kontrolle geraten, wenn die Leute keinerlei Perspektive mehr haben, außer sich über Gewalt das zu holen, was sie zum Leben brauchen."

Foto: AP/Tsvangirayi Mukwazhi

Nach nicht einmal einem Jahr der Einheitsregierung zwischen dem Movement for Democratic Change (MDC) von Ministerpräsident Morgan Tsvangirai und der Zimbabwe African National Union - Patriotic Front (ZANU-PF) des 85-jährigen Präsidenten Robert Mugabe, hängt der politische Frieden in Simbabwe erneut am seidenen Faden. Wie schnell der Konflikt zu paramilitärischen Auseinandersetzungen führen kann, wie ohnmächtig die USA und Europa dabei sind und welchen Einfluss die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika im kommenden Jahr auf Simbabwe haben kann, erklärt der Afrikaexperte Stefan Mair von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit derStandard.at.

*****

derStandard.at: Ist das Tischtuch zwischen den beiden Machthabern mit dem Boykott der Regierungsarbeit durch Morgan Tsvangirai zerschnitten?

Mair: Das ist schwierig zu sagen. Ich sehe von Seiten Tsvangirais Hinweise darauf, dass er zu Gesprächen bereit ist, wenn die ZANU-PF ihr Verhalten gegenüber MDC ändert. Aber es ist natürlich eine weitere Eskalationsstufe zwischen ZANU-PF und MDC, der noch weitere folgen könnten.

derStandard.at: Wie handlungsfähig ist die Regierung jetzt, nachdem Tsvangirai und seine Minister ihren Boykott erklärt haben?

Mair: Die Handlungsfähigkeit war schon vorher nicht sehr groß und hat sich dadurch nicht verschlechtert. Die Minister von Tsvangirais MDC sind nach wie vor im Amt und nehmen ihre Aufgaben war. In der Vergangenheit hatte die Regierung auch schon Schwierigkeiten gehabt, sich auf die eine oder andere gemeinsame Position zu einigen. Deshalb hat jeder Minister und jede Partei versucht, ihre Politik in den jeweiligen Ministerien durchzusetzen.

derStandard.at: Welche Szenarien für die weitere Entwicklung im Land gibt es?

Mair: Man kann drei Szenarien formulieren: Das eine ist, dass die Regierung sich weiter so durchwurstelt, wie sie es bisher getan hat und Tsvangirai an den Kabinettstisch zurückkehrt, sobald Mugabe ein paar kleinere Zugeständnisse macht. Er aber keine größeren politischen Reformen angehen kann und es eine Hängepartie wird, wie in den letzten Monaten.

Das zweite wäre, dass Südafrika sich dazu entschließt, mehr Druck auf Mugabe und ZANU-PF auszuüben und es damit Fortschritte gibt in Richtung Verfassungsreform und Vorbereitung der Wahlen, den vordringlichsten Aufgaben für die politische Zukunft des Landes.

Das dritte, das negative Szenario, wäre, dass sich MDC aus der Regierung zurückzieht und es praktisch einen Rückfall in die Zeiten vor der Regierung der nationalen Einheit gibt mit ganz massiven Menschenrechtsverletzungen, Unterdrückung der Opposition und allem anderen.

derStandard.at: Kann es auch wieder zu Unruhen kommen, wie im vergangenen Jahr?

Mair: Das würde ich nicht ausschließen. Das wäre Inhalt dieses dritten Szenarios.

derStandard.at: Kann sich der Boykott von Tsvangirai auch als Bumerang für ihn erweisen, indem Mugabe jetzt den Eindruck erwecken kann, eine konstruktive Regierungsarbeit zu leisten?

Mair: Ich glaube nicht, dass der jetzige Schritt von Tsvangirai Mugabe stärkt. Viel größer ist die Gefahr, dass sich unter den Unterstützern der MDC der Eindruck einstellt, dass sich die MDC-Führung von der ZANU-PF kooptieren lässt und ihr Handeln sozusagen in den Dienst der ZANU-PF stellt.

derStandard.at: Welche Reformen sind unter der Einheitsregierung von Mugabe und Tsvangirai bisher vorangekommen?

Mair: Bei dem, was vordringlich wäre für die politische Zukunft des Landes, gibt es nach wie vor wenig Bewegung. In wesentlichen Punkten, beispielsweise bei den Fragen wer kontrolliert Polizei und Armee, wer ernennt den Zentralbankchef, wer ernennt die Provinzgoverneure gab es keine Verständigung. Die ZANU-PF hat in all diesen Fragen darauf beharrt, ihre Entscheidung ohne Abstimmung mit der MDC zu treffen.

derStandard.at: Tsvangirai versucht derzeit Verbündete in den Nachbarländern zu finden. Wird es ihm gelingen?

Mair: Bisher war er darin nicht sehr erfolgreich. Die Frage ist, ob Südafrika seine Haltung irgendwann noch ändern wird. Darauf warten auch alle anderen Staaten der Region und richten sich danach aus. Mugabe hat zwar nach wie vor enge Freunde in der Region, aber keinen der, wenn Südafrika seine Position ändern würde, nicht an einem Strang ziehen würde - vielleicht mit Ausnahme Angolas.

Ich glaube, dass es wichtig ist, Südafrika zu verdeutlichen, dass es nicht eine Fußballweltmeisterschaft feiern kann, während im Nachbarland eine humanitäre Krise stattfindet. Das würde das Image des Landes beschädigen. Wenn es gelänge, Südafrika den Zusammenhang zwischen erfolgreicher Weltmeisterschaft und der Lage in Simbabwe klarzumachen, könnte es eine Änderung der bisherigen Haltung Südafrikas geben.

derStandard.at: Wie schwer wiegt für Tsvangirai die Tatsache, dass sein engster Vertrauter Roy Bennett erneut verhaftet und angeklagt wurde?

Mair: Bennett ist immer ein wichtiges Symbol des Widerstandes der MDC gegen die ZANU-PF und eine Person, die weit über seinen unmittelbaren Bereich ausgestrahlt hat. Aber letztendlich war es für ihn wohl "nur" der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Letztendlich musste die MDC erkennen, dass ZANU-PF den Geist des Regierungsabkommens nie gelebt und umgesetzt hat. Insofern war es für Tsvangirai ein zusätzlicher Punkt auf einer langen Liste, der dazu geführt hat, zu sagen: Jetzt muss ich mal ein Zeichen setzen.

derStandard.at: Das heißt, Sie haben Verständnis für diesen Schritt Tsvangirais?

Mair: Ja, ich habe großes Verständnis dafür. Ich war von Beginn an skeptisch, ob das Abkommen funktionieren kann und ZANU-PF bereit ist, Macht zu teilen und das politische System zu reformieren.

derStandard.at: Wie haltbar sind denn die Vorwürfe des Terrorismus gegen den designierten Vize-Landwirtschaftsminister?

Mair: Das ist ein ziemlicher Unsinn. Das geht zurück auf Waffenfunde, von denen man nicht weiß, ob sie vor der Polizeidurchsuchung schon da waren oder von der Polizei selbst dort hingeschafft wurden. Die Indizien dafür, dass Bennett diese Waffen erworben haben könnte, um damit Milizen aufzurüsten und terroristische Akte auszuführen, stehen zudem auf sehr schwachen Beinen.

derStandard.at: Welches Kalkül von Mugabe steckt hinter dem Affront?

Mair: Zum einen möchte er der Opposition zeigen, dass sie diejenigen sind, die die Macht haben und auch einen Vizeminister verhaften und vor Gericht stellen können. Also im Grunde genommen, der Versuch die MDC zu demoralisieren, ihr die Grenzen aufzuzeigen und zu demonstrieren, dass sie diejenigen sind, die am Steuer sitzen.

derStandard.at: Der Prozess wurde jetzt von einem Gericht aufgeschoben. In der Vergangenheit gab es Beispiele, dass der oberste Gerichtshof Prozesse stoppen ließ. Funktionieren die Gerichte als unabhängige Instanz in Simbabwe also noch?

Mair: Die unabhängigen Gerichte waren lange Zeit eine herausragende Eigenschaft des simbabwischen politischen Systems. Aber nach vielen Jahren der Unabhängigkeit, wurden diese systematisch unterminiert und ZANU-PF hat gerade in den obersten Rängen seine Leute installiert. Es gab immer wieder ein Aufflackern und Richter, die die Unabhängigkeit bewahren wollten. Deshalb gibt es auch manchmal solche Urteile. Insgesamt war ZANU-PF in den letzten zehn Jahren aber sehr erfolgreich darin, die Unabhängigkeit der Gerichte weiter einzuschränken.

derStandard.at: Viele Einwohner Simbabwes sind gezwungen, zum Arbeiten in andere Länder zu gehen, um ihre im Land gebliebene Familie zu versorgen. Welche Auswirkungen hat diese Zerrüttung der Familien auf die Gesellschaft?

Mair: Aus Simbabwe raus zu gehen, ist für viele die einzige Möglichkeit, ihre Familie durchzubringen, weil sie dort ein Einkommen erwirtschaften können, das sie in Simbabwe nie erhalten. Sie versuchen darüber Nahrungsmittel, Versorgungsgütern zu kaufen und Schulgeld für ihre Verwandten in Simbabwe zu finanzieren. Letztendlich zerrüttet das aber den Zusammenhalt der Familien.

Aber noch stärkere gesellschaftliche Auswirkungen dürfte das Maß an Rechtlosigkeit und Gewalt haben, das in sehr vielen ländlichen Gebieten seit zehn Jahren herrscht. Es gibt Gerüchte, dass sich immer mehr Milizen - auch Privatmilizen - in den ländlichen Gebieten formieren und das kann relativ schnell außer Kontrolle geraten, wenn die Leute keinerlei Perspektive mehr haben, außer sich über Gewalt das zu holen, was sie zum Leben brauchen.

Den kritischen Punkt haben wir noch nicht erreicht, aber wenn die Situation noch weiter so andauert, dann schließe ich nicht aus, dass es nicht nur zu Gewaltkriminalität, sondern auch zu paramilitärischen Auseinandersetzungen in ländlichen Gebieten kommt. Für die gesellschaftliche Entwicklung ist das katastrophal und je länger die Situation anhält, desto schwieriger wird das wieder einzurenken sein.

derStandard.at: Würde ein Lockern der Sanktionen gegen Simbabwe die Situation im Land verbessern?

Mair: Von der rein wirtschaftlichen Perspektive würde es die Situation verbessern. Aber im Endeffekt würde es nur zur Stärkung Mugabes und ZANU-PF beitragen. Ich denke, dass sich die simbabwische Gesellschaft unter dieser Regierung nicht weiterentwickeln kann. Das haben die letzten zehn Jahre eindrucksvoll dokumentiert.

derStandard.at: Mithilfe des Verweises auf die Sanktionen hat Mugabe die Schuld an der schlechten Wirtschaftslage im Land immer wieder an die internationale Gemeinschaft weitergegeben. Wäre es nicht sinnvoll, ihm dieses Argument aus der Hand zu nehmen?

Mair: In Wahrheit betreffen die Sanktionen ja nur einen kleinen Führungskreis, über die Reiseeinschränkungen und Einschränkungen beim Transfer von Kapital verhängt worden sind. Es sind "smart sanctions". Gleichwohl haben auch die einen negativen Einfluss auf die wirtschaftliche Stabilität des Landes.

Dass Mugabe innerhalb der Bevölkerung noch immer so populär ist, hat sehr viel mehr mit seiner Rolle als Vater der Nation zu tun. Er ist derjenige, dem es gelungen ist, das Land von der Apartheid zu befreien. Gerade in ländlichen Gebieten hat er mit diesem Image noch einen Rückhalt. Wobei er die Wahlen als Präsidentschaftskandidat trotz massiver Beeinträchtigung der Opposition ja eigentlich verloren hat.

derStandard.at: Gibt es überhaupt Mittel, die die internationale Gemeinschaft anwenden könnte, um Mugabe aus dem Amt zu bekommen?

Mair: Südafrika könnte sich den Reisebeschränkungen für Führungspersönlichkeiten Simbabwes der EU und der USA anschließen und die "smart sanctions" mittragen. Das hätte jetzt schon eine extreme Signalwirkung auf die Eliten in Simbabwe und würde seine Wirkung nicht verfehlen.

derStandard.at: Tsvangirai wurde auch als heißer Kandidat für den Friedensnobelpreis gehandelt. Welche Auswirkungen auf den Reformprozess in Simbabwe hätte das haben können?

Mair: Ich glaube es hätte keinen allzu großen Effekt gehabt. Mugabe hat sich in den letzten Jahren sehr resistent gegenüber solchen moralischen Druck von Seiten der USA oder Europa gezeigt. Wenn es jemanden gibt, der Druck auf Mugabe ausüben kann, dann sind das die Nachbarländer Simbabwes, dann ist das die Region. (Andreas Bachmann/derStandard.at, 28.10.2009)