Robert Sheckley: "Der widerspenstige Planet. Erzählungen"
Broschiert, 700 Seiten, € 11,30, Heyne 2009.
Ein Mann nimmt an einem staatlich abgesegneten Killerspiel teil und ärgert sich darüber, dass sein ihm zugeteiltes Opfer so unsportlich ist, sich in der Öffentlichkeit wie auf dem Präsentierteller zu zeigen. Ein anderer Mann ärgert sich nicht darüber, dass ihm die Regierung bis ins Weltall hinterherspioniert, sondern dass sie ihm nur ungeschickte Spione aus der zweiten Garnitur zugesteht. Und ein dritter ärgert sich darüber, dass er einen vollkommen durchschnittlichen und belanglosen Unfalltod stirbt - und erst lange, nachdem er posthum in die Zukunft entführt wurde, merkt er, dass an seinem Tod aber auch wirklich gar nichts durchschnittlich war. - Der 2005 verstorbene US-Amerikaner Robert Sheckley gehörte vor allem in den 50er Jahren zur ersten Garde von Kurzgeschichten-Autoren, Witz und satirische Elemente wurden zu seinem Markenzeichen. Für "Der widerspenstige Planet" hat der Heyne-Verlag in seiner Reihe "Meisterwerke der Science Fiction" einen Roman und zwölf Kurzgeschichten aus den 50ern plus drei Erzählungen aus den 70ern zusammengestellt und neu übersetzt herausgegeben: Etwas fürs Klassiker-Regal, wo sich die Blochs, Dicks und Bradburys tummeln.
Ein probates Mittel für Humor ist die Umkehrung: Etwa in "Spezialist" ("Specialist"), wo das in den 50ern sehr beliebte Motiv der UFO-Entführung einmal aus der Warte der Aliens erzählt wird. Die leben in Symbiose miteinander und können sich nur darüber wundern, dass ihr neuaufgelesenes Mitglied sich gänzlich unkooperativ zeigt - offensichtlich muss es einer schwachsinnigen Spezies entstammen. Die jugendlichen Scouts in "Pfadfinderspiele" ("Hunting Problem") wiederum gehören einer Spezies an, die bis zur vollkommenen Beherrschung der Materie durch den Geist evolviert ist. Als irdische Prospektoren auf ihrer Welt landen, sehen diese der ausgerotteten Tierart der zweibeinigen Mirash zum Verwechseln ähnlich: Die Jagd darf eröffnet werden, doch ist die Beute unerwartet schwer anzulocken - selbst als Pfadfinder Drag in seine Mirash-Flöte bläst, aus der anschließend die Hilferufe eines Mädchens erschallen ... das könnte glatt der literarische Vorläufer für Laurie Andersons sprechende Geige gewesen sein. Wer andere Planeten aufsucht, der kann halt was erleben - das merkt auch der Idealist Marvin Goodman (Nomen est Omen), dem ein Weltraumveteran in "Utopia mit kleinen Fehlern" ("A Ticket to Tranai") von einem paradiesischen Planeten erzählt, der weder Armut noch Verbrechen kennt. Aber auch nur deshalb, wie Marvin erkennen muss, weil auf Tranai so manches erlaubt ist, was anderswo Entsetzen hervorriefe. "Wir haben Utopia für menschliche Wesen geschaffen, nicht für Heilige, die kein Utopia brauchen", erklärt ihm ein Einheimischer. An dem Satz muss man erst mal kauen.
Die Schilderung von Marvins Reise illustriert nebenbei, dass es bei Sheckley nicht um so etwas wie Worldbuilding oder Hard SF geht - was das Setting anbelangt, wähnt man sich schon eher in einer Geschichte, die Carl Barks aus dem Entenhausen der Zukunft zeichnet, wo Autos von Dach zu Dach hüpfen und das Postraumschiff zur Venus startet. Auch bei Ray Bradbury kann ja mal eben der Familienpapi mit der Pendlerrakete aus dem Garten zum Arbeitsplatz düsen; bei beiden Autoren wird der Planet oder gar die ganze Galaxis bloß zur Erweiterung der Wirtschaftswundergesellschaft, die exotische Schauplätze höchstens als Hinterausgang des Reisebüros wahrnimmt. Konsum ist ein prägendes Merkmal dieser Gesellschaft, der Sheckley den Spiegel vorhält - auf den Punkt gebracht in "Pilgerfahrt zur Erde" ("Pilgrimage to Earth"), wo der von einem Hinterwäldlerplaneten stammende Simon ins irdische Karussell der Käuflichkeiten gerät und "Waren" wie Krieg oder die wahre, echte, eine Liebe angeboten bekommt. Dass so manche Erzählung inzwischen einen eher nostalgischen Touch hat,
illustriert nicht zuletzt die hoffnungsvolle Frage des ins 22. Jahrhundert
entführten Thomas Blaine in "Die Jenseits-Corporation", ob nun all die
utopischen Vorstellungen seiner Zeit verwirklicht seien: Weltfrieden, ein Mittel
gegen jede Krankheit, interplanetare Reisen und freie Liebe ...
"Die Jenseits-Corporation" ("Immortality Inc.") greift eine Idee auf, die
Sheckley schon mehrfach verwendet hatte: Einen lockeren Umgang der Gesellschaft
mit Tod, Mord und Menschenjagden, entweder aufbauend auf einem Gesetz über
freiwilligen Selbstmord, das praktischerweise für Aggressionsabbau
("Das siebte Opfer"/"The Seventh Victim") oder TV-Unterhaltung ("Das
Millionenspiel"/"The Prize of Peril") genutzt werden kann. Oder eben wie in diesem
Roman, der 1992 unter dem Titel "Freejack" recht frei adaptiert verfilmt wurde,
weil die Wissenschaft die Existenz eines Jenseits bewiesen hat. Thomas Blaine
trifft deshalb auf eine Welt, in der Phänomene wie Reinkarnationen, Amokläufe,
Selbstmordkabinen oder Poltergeister und Zombies auf der Tagesordnung stehen;
und wieder ist es eine weitergedachte Konsumgesellschaft, denn der Zutritt zum
Jenseits steht nur denen garantiert offen, die sich's leisten können. An Zynismus nicht zu überbieten bleibt allerdings das ältere "Millionenspiel", das 1970 in Deutschland ebenfalls verfilmt wurde: Protagonist Jim Raeder muss darin, stets von TV-Kameras begleitet, eine Woche lang vor einem Team von Profi-Killern flüchten; die FernsehzuschauerInnen können ihn entweder an diese verpfeifen oder ihm als Gute Samariter beistehen. Makaber daran ist nicht nur, dass Sheckley damit schon 1958 die ultimative Reality-Show entworfen hat, sondern auch der Werdegang, den Raeder vor dem großen Hauptspiel durchlief. Denn einige der Extremsituationen, in die KandidatInnen wie Raeder da in den weniger renommierten Shows versetzt werden, sind heute längst normaler Bestandteil ganz realer TV-Formate.
Im Vergleich zu seinen Zeitgenossen hat Sheckley zwar weder die stilistische Finesse eines Theodore Sturgeon oder den Tiefgang eines Philip K. Dick, letzterem kommt er aber ein paarmal nahe: Thomas Blaine, mit altem Geist in neuem Körper, muss sich der Frage nach seiner Identität stellen - ebenso wie es Alistair Crompton in "Das geteilte Ich" ("The Humours") tut, der als Kind an einer multiplen Persönlichkeitsstörung litt. Die Ärzte teilten die unterschiedlichen Persönlichkeiten kurzerhand auf mehrere Ersatzkörper auf - und Alistair, der als Erwachsener unter seiner absoluten Durchschnittlichkeit leidet, macht sich auf die Reise, um seine fehlenden Ichs wieder zu reintegrieren. Das hat in der Rückschau mehr zu bieten als die in der Sammlung auch enthaltenen Kurzgeschichten mit Pointe; ohnedies die uninteressanteste Variante von Kurzgeschichten, erst recht, wenn die Gefahr besteht, dass man die Pointe schon irgendwo aufgeschnappt hat. Immerhin ist seitdem ein halbes Jahrhundert Popkulturzirkus verstrichen, und so manche Idee wurde darin recycelt, plagiiert oder auch unabhängig wiedergeboren. Die melancholische, stimmungsbetonte Erzählung "Und führet mich zu stillen Wassern" ("Beside Still Waters") über einen Prospektor, der sich auf einem Planetoiden niederlässt und als einzige Ansprache einen Roboter hat, der die ihm einprogrammierten Antworten abspult, berührt dagegen immer noch. - Wie gesagt: Ein Plätzchen im Klassiker-Regal dürfte man Robert Sheckley schon reservieren!