Die fetten Jahre sind vorbei. Dublins Wirtschaft steht nicht mehr so rosig dar, wie das noch vor wenigen Jahren der Fall war. 2009 brach das irische BIP um 7,6 Prozent ein, der stärkste Rückgang aller Zeiten. Im Juni waren 13,4 Prozent ohne Arbeit.

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Viele Migranten sind in den Boom-Jahren ins Land gekommen, auch sehr viele Polen, zum Beispiel Szymon. Nach den Engländern sind die Polen die zweitgrößte Migranten-Gruppe in Irland.

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Die Docklands am Ufer der Liffey erinnern an die Zeiten der florierenden Wirtschaft: Mehrere Milliarden Euro wurden investiert und moderne Wohn- und Bürohäuser sind entstanden. Heute stehen viele Häuser leer.

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Fotografin Agata möchte irgendwann wieder zurück nach Polen: "Wenn mich meine Eltern brauchen."

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Die polnische Theatergruppe macht Migration in ihrem neuen Stück zum Thema. Die Ensemble-Mitglieder haben in Dublin ihre neue Heimat gefunden.

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Vor allem im Stadtzentrum nördlich des Liffey-Flusses gibt es viele Geschäfte und Lokale, die von Migranten betrieben werden. Im "Polski Sklep" bekommt man alle möglichen Dinge: Getränke aus Polen, Gewürze, Süßigkeiten, Fertiggerichte.

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In den Boom-Jahren gab es sogar ein polnisches Pub. Es musste wegen der Wirtschaftskrise jedoch schließen.

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Der Artikel ist im Rahmen des Projektes "eurotours 2010 - Wie geht Europa mit Migration um?" entstanden. Facebook-Gruppe: Eurotours 2010

Das Handy läutet. " ... tak ... tak ... dziękuję ..." Szymon hält das Gespräch kurz. "Das war meine Mutter", sagt er, "sie wünscht mir viel Glück." Er hat sich schön gemacht, trägt Hemd, Krawatte und Sakko. In seinem Rucksack hat er kiloweise Dokumente, ausgedruckte E-Mails und Dienstpläne, die als Beweismittel dienen sollen. Szymon Cimerowski, 31, geboren in Polen, seit fünf Jahren in Irland, sieht ein wenig älter aus, als er tatsächlich ist. Er hat an diesem Tag einen Termin beim Arbeitsgericht. Er will das Unternehmen, für das er fast drei Jahre lang gearbeitet hat, klagen. Es ist ein öffentliches Unternehmen und der Diplomingenieur mit drei Universitätsabschlüssen fühlt sich im Unrecht, weil sein Vertrag nicht verlängert wurde, obwohl er eine Bereicherung für das Unternehmen gewesen sei, wie er sagt. 

Szymon ist zu früh dran, es sind noch drei Stunden Zeit, bis die Verhandlung bei einer Schlichtungsstelle beginnt. Auch seine ehemaligen Vorgesetzten werden anwesend sein. Er kramt nach seinen Zigaretten. "Stört es dich, wenn ich rauche?" fragt er. "Normalerweise rauche ich nicht, aber heute geht es nicht anders. Ich warte seit acht Monaten auf diesen Tag." Es war im Dezember 2009, kurz vor Weihnachten, da zitierte ihn sein Chef zu sich. Szymon fiel aus allen Wolken, als er erfuhr, dass dieser Tag sein letzter Arbeitstag sein sollte. Er verabschiedete sich per E-Mail noch von seinen Kollegen, packte seine Sachen und ging. "Am nächsten Tag habe ich beschlossen, zu klagen." Auch wegen Mobbings. Er fordert zwei Jahresgehälter, 80.000 Euro, Entschädigung.

Viele Migranten in der Bauwirtschaft

Einen Fall wie diesen hat es in Irland bisher noch nicht gegeben. Es ist sehr ungewöhnlich, dass ein Migrant überhaupt im öffentlichen Sektor arbeitet. Das bestätigen die Statistiken. Die meisten Arbeitsmigranten sind im Bausektor, in Fabriken, in der Gastronomie oder im Verkauf tätig. Obwohl sie gut gebildet sind, viele einen Universitätsabschluss haben, verrichten sie oft schlechter bezahlte Tätigkeiten. 

Irland hat nach der EU-Osterweiterung 2004 einen sehr hohen Zuzug an Migranten erlebt. Es gab bis vor ein paar Jahren noch nahezu Vollbeschäftigung mit nicht einmal fünf Prozent Arbeitslosigkeit. Die boomende Wirtschaft hat dazu geführt, dass viele Migranten gekommen sind. Viele von ihnen kamen aus Polen, genügend Jobs waren vorhanden. Irland war neben Großbritannien und Schweden nur eines von drei Ländern, das den Arbeitsmarkt für Bürger aus den neuen Beitrittsländern öffnete. Vor zwei Jahren brach dann die Wirtschaftskrise über Irland ein und viele haben ihre Arbeitsplätze wieder verloren.

Besseres Sozial-Netz

Seit 2000 sind mehr als 300.000 Polen nach Irland, das selbst nicht ganz fünf Millionen Einwohner hat, gekommen. Schätzungen zufolge leben derzeit um 35.000 Migranten aus den neuen Beitrittsländern weniger in Irland als noch im Jahr 2006. Viele Polen haben immer noch ihre Jobs und diejenigen, die die Jobs verloren haben, bleiben oft trotzdem. Sie haben Beiträge einbezahlt und können jetzt Arbeitslosengeld und Sozialhilfe beantragen, sofern sie nachweisen können, dass ihr Lebensmittelpunkt in Irland ist. Das Arbeitslosengeld ist mit 196 Euro pro Woche höher als in Polen, wo das soziale Netz nicht sehr ausgeprägt ist.

Marek Knymowski zum Beispiel, er ist 50 Jahre alt, kommt aus Poznan, Polen. Er ist Bauarbeiter und vor sechs Jahren nach Irland gekommen. "Am Anfang hatte ich hier ein gutes Leben", sagt er. Er verdiente mehr als zuhause und konnte seinen beiden Kindern Geld schicken. Er spricht kein Englisch, das Gespräch wird übersetzt. Marek hat seinen Job verloren, weil er Probleme mit seinem Rücken hat und nicht mehr so hart arbeiten kann. Er ist in Behandlung, kann aber nicht abschätzen, ob er überhaupt jemals wieder arbeiten können wird. Zurück nach Polen will er trotzdem nicht. Deshalb lebt er jetzt sparsam. Er erhält Unterstützung vom Staat und kann immer noch Geld zur Seite legen, das er zur Familie schickt. Und die Töchter brauchen nicht mehr so viel. Sie sind erwachsen, sorgen für sich selbst.

Nach Dublin auch wegen des Lifestyles

"Irland hat nach der EU-Osterweiterung mehr Polen abbekommen als jedes andere Land. In den absoluten Zahlen gibt es in Großbritannien zwar mehr, aber dort gab es schon früher eine relativ große Anzahl an Polen, die dort gelebt und gearbeitet hat. In Irland hingegen gab es vor 2004 kaum polnische Einwanderer", erklärt Sozialforscher Torben Krings, ein Deutscher, der selbst seit ein paar Jahren in Irland lebt und an Dublins Trinity College arbeitet.  Für Österreich oder Deutschland - beide Ländern erteilen ab 2011 Bürgern aus den neuen Beitrittsländern die Arbeitserlaubnis - erwartet Krings aber keinen ähnlich starken Ansturm: "Junge Leute gehen heute ins Ausland, nicht nur, um zu arbeiten, sondern auch wegen des Lifestyles. 85 aller Polen in Irland sind unter 40 Jahre alt." Deutschland und Österreich würden nicht den selben Anreiz bieten, wie das Englisch sprachige Länder tun.

Agata Stoinska kam vor sieben Jahren eher zufällig nach Dublin. Heute ist sie erfolgreiche Modefotografin und hat ihr eigenes Studio im nördlichen Stadtzentrum Dublins. Sie hat Architektur studiert und wurde in den Boom-Jahren mit offenen Armen in einem Architektur-Büro empfangen. "Ich wollte in die USA", sagt Agata, "aber ich habe kein Visum bekommen." Da sie ihren Lebenslauf schon auf Englisch vorbereitet hatte, beschloss sie sich in Dublin zu bewerben - und sie ist, wie so viele andere auch, geblieben.

Profiteurin der Wirtschaftskrise

Ihre D-light-Studios befinden sich in einer umgebauten Autowerkstatt. Es ist nicht nur ein Foto-Studio, erklärt Agata, "wir machen Events, stellen das Studio für Filmaufnahmen zur Verfügung." Die Krise spürt Agata nicht sehr stark, obwohl sie anmerkt, dass die Leute jetzt weniger Geld für Shootings ausgeben wollen. Aber sie profitiert gewissermaßen auch davon, wie sie erklärt. Denn Leute, die keinen Job haben, versuchen sich weiterzubilden und kommen zu ihren Foto-Kursen, die sie anbietet. "Jetzt haben sie Zeit dafür", sagt Agata. Auch gibt es jetzt viele Bewerber, die gratis für sie arbeiten wollen, weil sie Erfahrung sammeln wollen.

Ob sie den Eindruck hat, dass viele Polen Irland verlassen haben? "Ja, sehr viele", sagt sie, merkt dann aber an: "Die meisten sind vor sechs Jahren gekommen, das ist eine lange Zeit, viele sind in der Zwischenzeit verheiratet. Sie gehen nicht zurück, wenn sie ihre Familie hier haben." Agata ist der Meinung, dass die, die wieder zurück wollen, das Land bereits verlassen haben. Sie selbst ill zuerst nach New York und später zurück nach Polen. "Ich nutze die Zeit aus, wo mich zuhause niemand braucht. Wenn meine Eltern älter sind, krank sind, keine Frage, dann gehe ich zurück."

Die Familie, die zuhause zurückbleibt, wird auch im neuen Stück der polnisch-irischen Theatergruppe thematisiert. "Eine Famile steht im Mittelpunkt, die von der Mutter zurückgelassen wurde", erklärt Regisseurin Anna Wolf, "die Mutter ist nach Amerika emigriert ist, um Geld zu verdienen." Anna hat in Polen Theaterwissenschaften studiert, arbeitet jetzt in Dublin in einer Medienagentur und hat vor zwei Jahren gemeinsam mit der Irin Helen McNulty die Idee gehabt, eine polnische Theatergruppe in Dublin zu gründen. 

Noch ein paar Wochen ist Zeit, dann ist die Premiere des Stückes "Scent of Chocolate". Das Stück wird abwechselnd auf Englisch und auf Polnisch aufgeführt. Einer von sechs Schauspielern ist Ire, der Rest Polen.

Polnisch, englisch, quer durcheinander

Die Theatergruppe hat sich im Phoenix Park getroffen. Es werden Fotos geschossen, mit denen Werbung für das Stück gemacht werden soll. Die Mitglieder des Theaters sind jung, zwischen 22 und 35 Jahre alt. Sie reden polnisch, englisch, quer durcheinander. "Schmier dir die Schokolade um den Mund!" John, 22-jähriger Ire und Absolvent eines Schauspiel-Studiums, nimmt das Stück in den Mund, lutscht daran, spuckt es wieder aus und reibt sich den Mund ein. Er spielt den geistig behinderten Buben Misza, der in seiner eigenen Welt lebt und eine Leidenschaft für Schokolade und Dokumentationen über Elefanten hat. Er ist der Meinung, Elefanten können besser miteinander kommunizieren als Menschen.

Die Theatergruppe gibt es seit mehreren Jahren, die meisten Mitglieder sind professionelle Schauspieler, können aber nur schwer davon leben und üben deshalb auch andere Berufe aus. Auch Max, der Fotograf: "Mit den Fotos kann ich meine Rechnungen nicht bezahlen."

"Will nicht hinnehmen, dass ich diskriminiert werde"

Die Verhandlung in der Schlichtungsstelle am Labour Court ist in der Zwischenzeit zu Ende. Das fehlende Geld für Rechnungen ist auch mit einer der Gründe, warum Szymon, der Diplomingenieur mit den drei Studienabschlüssen, beschlossen hat, eine Klage einzureichen. Zwar ist er schon in eine kleinere Wohnung umgezogen, die Miete ist aber immer noch sehr hoch. Seine Ersparnisse werden immer weniger.

Der Termin war nicht besonders erfolgreich, befürchtet er nach der Verhandlung. Was genau raus kommen wird, erfährt er in wenigen Wochen, nachdem sich die Schlichtungsstelle ein Bild gemacht hat. Ein besonders gutes Gefühl hat Szymon nicht. "Irland hat mir viel gebracht, aber ich will nicht hinnehmen, dass ich diskriminiert werde, weil ich ein polnischer Einwanderer bin." Denn das ist, denkt Szymon, der wahre Grund, warum er nicht weiter im irischen Unternehmen beschäftigt wurde. (Rosa Winkler-Hermaden aus Dublin, derStandard.at, 7.9.2010)