FLORIAN THALHAMMER (46) ist Internist an der Klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin an der Klinik für Innere Medizin I an der Med-Uni Wien. Zudem ist er aktuell auch Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten (ÖGI).

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STANDARD: Fürchten Sie sich eigentlich vor Viren und Bakterien?

Thalhammer: Nein. Der Mensch ist nicht steril. Jeder von uns ist von tausenden Bakterien und auch einigen Viren besiedelt. Sie sind auf der Haut, im Darm, im Rachen. Einfach überall. Wir leben damit.

STANDARD: Und warum werden viele Menschen gerade jetzt krank?

Thalhammer: Weil durch die Feuchtigkeit für den potenziellen Patienten neue Keime dazukommen, die sich besser in der Luft halten. Das sind Rhinoviren oder Adenoviren, die Schnupfen auslösen, aber auch Bakterien wie Pneumokokken zum Beispiel, Erreger für Lungenentzündungen.

STANDARD: Wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen Viren und Bakterien?

Thalhammer: Viren haben, grob gesprochen, im Gegensatz zu Bakterien keinen eigenen Stoffwechsel und brauchen die Wirtszelle, um sich vermehren zu können. Bakterien sind eigenständige Mikroorganismen. Bakterien lassen sich viel gezielter behandeln, und zwar mit Antibiotika. Bei Viren sind sie sinnlos.

STANDARD: Wissen Ärzte, ob Infektionen bakteriell oder viral verursacht sind?

Thalhammer: Sofern sich die Keime nachweisen lassen oder ein typisches Krankheitsbild vorliegt, wissen wir das schon. Oft gelingt das bei Viren aber nicht, weil sie serologisch, also im Blut, mit unseren Methoden nicht aufzuspüren sind. Ich erkläre den Patienten täglich, dass wir nur einen kleinen Bruchteil aller Viren kennen. Jeden Tag wird ein neues entdeckt, Viren verändern sich ständig. Bei Schnupfen lässt es sich relativ einfach an der Farbe des Nasenschleims erkennen. Klar-weißlich bedeutet viral, gelbgrün zumeist, dass Bakterien im Spiel sind.

STANDARD: Warum macht ein Keim nicht alle Menschen gleich krank?

Thalhammer:Weil manche Keime mehr, manche weniger angriffslustig sind, und nicht alle Menschen identisch reagieren. Die einen bekommen mehr Fieber, andere weniger, andere gar nicht. Besonders gefährdet sind jedoch Menschen, deren Immunsystem durch andere Erkrankungen geschwächt ist, etwa Krebspatienten oder Menschen nach Transplantationen, deren körpereigene Abwehr absichtlich reduziert wird, um Abstoßungen zu vermeiden. Auch für ältere Menschen sind Infektionen gefährlich.

STANDARD: Kann man sich irgendwie schützen?

Thalhammer: Ja und nein. Schutz bieten selbstverständlich die verschiedenen Impfungen, die ich jedem empfehle. Tatsächlich hilft aber auch Schlaf, dazu gibt es wissenschaftliche Arbeiten.

STANDARD: Viele haben gerade vor Weihnachten aber keine Zeit, krank zu sein ...

Thalhammer: Fieber ist ein Zeichen dafür, dass der Körper mit einem Infekt konfrontiert ist. Hitze ist eine Reaktion, die einer ganzen Reihe von Keimen schadet. Wer das Fieber senkt, etwa mit Aspirin, unterdrückt ein Symptom, die Auslöser des Fiebers bleiben aber unberührt. Gerade bei bakteriellen Infektionen kann das sehr gefährlich sein. Oft setzt sich auf eine viralen Infekt dann auch noch ein Bakterium zusätzlich drauf, dann sprechen wir von einer Superinfektion. Die gilt es zu vermeiden.

STANDARD: Deshalb nehmen viele auf Verdacht Antibiotika?

Thalhammer: Genau, und das ist falsch. Eine bakterielle Superinfektion im Rahmen einer Respirationstrakt-Infektion findet meist erst nach sieben Tagen Krankheit statt. Dann ist die Frage nach einem Antibiotikum berechtigt.

STANDARD: Wie unterscheiden sich verschiedeneAntibiotika?

Thalhammer: Sie haben unterschiedliche Wirkspektren. Penicillin geht gezielt auf Pneumokokken und Streptokokken. Breit- bandantibiotika wirken gegen viele Bakterien, etwa Staphylokokken, Streptokokken, Enterobakterien. Wieder andere gegen atypische Bakterien wie Legionellen und Mykoplasmen. Antibiotika lassen sich aber auch in ihren Wirkmechanismen unterscheiden. Die einen zerstören die Zellwand von Bakterien, andere greifen in den Bakterienstoffwechsel ein. Bakterien lassen sich auch in bakteriostatisch (wachstumshemmend) und bakteriozide (abtötend) einteilen.

STANDARD: Warum ist Antibiotikamissbrauch bedenklich?

Thalhammer: Bakterien sind intelligente Lebewesen und versuchen, sich gegen Feinde von außen zur Wehr zu setzen. Ein Antibiotikum ist so ein Feind. Deshalb versuchen Bakterien zu lernen, wie sie diesen austricksen können. Dahinter steht der Prozess einer biologischen Selektion. Zu niedrige Dosierungen oder zu kurze Einnahmedauer von Antibiotika begünstigen diesen Prozess. Und wenn nur ein paar Bakterien diesen Selektionsprozess überstehen und gelernt haben, sich gegen Antibiotika zur Wehr zu setzen, sprechen wir von Resistenz. Bakterien geben ihr Wissen an die nächste Generation weiter. Diese Entwicklung ist gefährlich, weil sie dazu führen, dass unsere Medikamente gegen schwere Infektionen nicht mehr wirken. Dem wollen wir durch Guidelines entgegenwirken.

STANDARD: Denn Antibiotika werden ja von Ärzten verschrieben?

Thalhammer: Ja, schon. Sie werden aber auch von den Patienten vehement eingefordert. Deshalb wurden in der Vergangenheit zu schnell und zu viele Breitbandantibiotika verschrieben. Dadurch sind Resistenzen entstanden, bei Staphylokokken zum Beispiel. Schlussendlich sollte aber jeder, der Antibiotika nachlässig einnimmt oder die verschriebene Packung nicht zu Ende nimmt, wissen, dass er die kollektive Gesundheit gefährdet.

STANDARD: Inwiefern?

Thalhammer: In jedem Körper können resistente Bakterien entstehen, die dann der Betreffende weitergibt, dessen sollte sich jeder bewusst sein.

STANDARD: Jetzt beginnt bald wieder die Zeit der Influenza. Wie unterscheidet man die Grippe vom grippalen Infekt?

Thalhammer: Influenza tritt schlagartig auf und ist von Fieber und starken Gliederschmerzen begleitet. Im Gegensatz zum grippalen Infekt ist man wirklich außer Gefecht. Antibiotika helfen nicht. Nur antivirale Grippemittel wie Relenza oder Tamiflu - und auch die höchst bedingt. Die österreichische Gesellschaft für Infektionskrankheiten hat gerade ein Konsensus-Papier dazu herausgegeben. Antivirale Medikamente sind nur sinnvoll, wenn sie zwölf bis maximal 48 Stunden nach Beginn der Krankheit eingenommen werden. Sonst nicht - im Gegenteil. Auch bei diesen Medikamenten gibt es die Gefahr der Resistenzbildung, die unbedingt zu vermeiden ist. Ärzte haben hier eine Schlüsselposition. Generell ist eine Impfung gegen die Grippe immer noch die beste Prophylaxe, auch wenn sie möglicherweise nicht gegen alle Influenza-Stämme hilft. (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 13.12.2010)