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"Der Einstieg in eine Gruppe sollte in einer Phase der Stabilität erfolgen", rät Simhandl, In einer akuten manischen oder depressiven Phase sei die Teilnahme aufgrund mangelnder Konzentrationsfähigkeit nicht ratsam.

Foto: APA/Bernd Wüstneck

"Wenn man kaum mehr schläft und innerhalb von 14 Tagen drei Autos kauft, die man sich nicht leisten kann, ist relativ klar: Es handelt sich um eine Manie", erklärt Christian Simhandl, Psychiater, Psychotherapeut und Leiter des Bipolar Zentrums in Wiener Neustadt.

Viele Betroffene erkennen ihre Manie nicht selbst, sondern sind auf Rückmeldungen durch Familienmitglieder, Freunde oder Arbeitskollegen angewiesen, die aber in der akuten manischen Phase oft nicht angenommen werden. Hier tritt das Konzept der Psychoedukation auf den Plan. Psychoedukation gibt es nicht nur für Bipolare Erkrankungen, sondern auch für Schizophrenie oder Depression.

"Du solltest zum Arzt! Mit dir stimmt was nicht"

In Psychoedukationsgruppen teilen Betroffene einander ihre Beobachtungen mit, besprechen ihre Erlebnisse, was die möglichen Folgen einer Manie sind und an wen sie sich wenden. Was dem Arzt oder der Familie nicht geglaubt wird, nehmen die Erkrankten in der Gemeinschaft Gleichbetroffener besser an.

Simhandl: "Diese Gruppen sind eine wesentliche Erleichterung für die Familien, weil die Auseinandersetzungen um den Zustand des Patienten nicht mehr zuhause stattfinden. Ebenso sind sie eine Hilfe für Ärzte und Therapeuten, da die Diskussionen zur Medikation nicht mehr in der Praxis stattfinden." In der Gruppe wird eine Person von dem Betroffenen selbst gewählt. Diese darf sagen: "du bist manisch", "du brauchst Medikamente", "du solltest zum Arzt".

Symptom- und Rückfallmanagement

Edukation bedeutet "Erziehung" oder "Unterricht" und darin besteht auch die Abgrenzung von Psychoedukations- zu Selbsthilfegruppen: Die Gruppenarbeit liegt teils in der schriftlichen Ausarbeitung der individuellen Symptome, teils in der Gestaltung eines Aktionsplans. Früherkennung steht im Vordergrund.

Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Erkrankung wird erarbeitet, die medikamentöse Therapie und ein geeigneter Lebensstil besprochen, persönliche Maßnahmen für das Symptom- und Rückfallmanagement ergriffen - vom Führen eines Verlaufskalenders über die Erstellung einer Tagesstruktur bis zum Notfallplan. Solch einen Erfahrungsaustausch könne laut Simhandl kaum ein Therapeut oder ein Medikament alleine leisten.

Die Teilnehmer werden von speziell ausgebildeten Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern oder Psychotherapeuten betreut, oder die Gruppen gestalten sich nach dem Peer to Peer-Prinzip. Die TeilnehmerInnen gründen unter professioneller Begleitung ihre eigenen Gruppen. Simhandl: "Die Gruppenleiter springen nicht ins kalte Wasser. Es besteht immer die Möglichkeit zur Supervision."

25-jährige Tradition in den USA

Ziele der Psychoedukation sind die Akzeptanz der Erkrankung durch den Betroffenen selbst sowie durch seine Angehörigen und eine Verbesserung der Kommunikation in der Familie. Ein verantwortungsvoller Umgang mit der Erkrankung, der Medikation, mit sich selbst und der Umwelt soll erreicht werden, mit dem Ziel der Verringerung des Risikos einer Wiedererkrankung.

Die Geschichte der Psychoedukation reicht in den Bereich der Diabetes- und Hypertonie-Erkrankungen zurück. Hier ging es vor allem um die regelmäßige Tabletteneinnahme. Im Rahmen psychischer Erkrankungen wurden andere Faktoren, wie interpersonelle Beziehungen oder sozialer Rhythmus, mit einbezogen, deren Einflüsse als wesentliche Ursachen für das Auftreten manischer oder depressiver Episoden angesehen werden. In den USA haben Bipolare Psychoedukationsgruppen eine 25-jährige Tradition.

"Psychoedukation stabilisiert den Stimmungsstabilisator"

In aktuellen Untersuchungen weisen Psychoedukationsgruppen und Selbsthilfegruppen in Kombination mit medikamentöser Behandlung die günstigste Beeinflussungsmöglichkeit des bipolaren Krankheitsverlaufes auf. "Psychoedukation stabilisiert den Stimmungsstabilisator", stellt Francesc Colom fest, der das Psychoeducation- und Psychological Treatments-Institut an der Universität Barcelona leitet.

2002 stellte die amerikanische Psychiatervereinigung die medikamentöse Behandlung und die Psychoedukation in Selbsthilfegruppen in der Notwendigkeit und Empfehlung für eine erfolgreiche Behandlung gleich.

Wirksam in Kombination

Mittlerweile zeigen die Ansätze der Psychoedukation in klinischen Studien sogar eine bessere Wirkung als die ausschließliche Behandlung mit Medikamenten. "Wirklich viel erreichen wir aber durch die Kombination von Medikamenten und Psychoedukation.

80 bis 85 Prozent der Patienten können wir damit sehr gut helfen", betont Simhandl. Die Rückfallquoten werden gesenkt, das Intervall bis zum Auftreten eines Rückfalls verlängert. Die Bereitschaft der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten erhöht sich und eine Behandlung im Krankenhaus ist seltener notwendig.

Wie Psychoedukation funktioniert

Wie läuft Psychoedukation konkret ab? Eine Gruppensitzung dauert üblicherweise 90 Minuten und beginnt mit kurzen Frontalvorträgen, in denen der aktuelle Wissensstand über die Erkrankung inklusive anerkannter und wissenschaftlich empfohlener Behandlungsmethoden allgemein verständlich dargestellt wird.

Anschließend findet ein Erfahrungsaustausch über die Krankheit, über krankmachende Faktoren und deren Bewältigung statt. Dabei führt man Methoden der systemischen Familientherapie oder der kognitiven Verhaltenstherapie mit der interpersonellen Beziehungsebene und dem individuellen Lebensrhythmus der Gruppenmitglieder zusammen.

Verlaufskalender

Stress auslösenden Situationen und deren Bewältigung widmen sich nahezu alle Gruppen. Ein Instrument dafür ist der Verlaufskalender, in den Stimmung, Antrieb, Konzentration, Schlafrhythmus, Medikamente und wichtige Lebensereignisse eingetragen werden.

Der Kalender soll die Patienten zu einer erhöhten Achtsamkeit gegenüber ihrem psychischen und körperlichen Empfinden führen. Belastende Ereignisse, die immer wieder zu Verschlechterungen führen, werden transparent, Auslösefaktoren für Episoden, wie etwa Stress, können frühzeitig erkannt und neue Methoden zur Vermeidung erlernt werden.

In stabiler Phase beginnen

"Der Einstieg in eine Gruppe sollte in einer Phase der Stabilität erfolgen", rät Simhandl, In einer akuten manischen oder depressiven Phase sei die Teilnahme aufgrund mangelnder Konzentrationsfähigkeit nicht ratsam. "Aber niemand wird in einer Akutphase im Regen stehen gelassen", betont der Bipolar-Experte. "Die Gruppenteilnehmer unterstützen sich gegenseitig. Jeder hat seine Vertrauensperson, jeder seinen Aktionsplan, wo festgehalten ist: Wer ist zu kontaktieren? Wer ist involviert? Wer unterstützt auf welche Art und Weise?" (Eva Tinsobin,derStandard.at,21.02.2011)