Prohaska und Lopper im Gespräch mit derStandard.at/Sport im Rahmen der Veranstaltung des Club 1911. (Foto: danielshaked.com)

Foto: danielshaked.com

"Schon als Prohaska 15 Jahre alt war, konnte man seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zweifellos erkennen." (Foto: danielshaked.com)

Foto: danielshaked.com

"Norbert Lopper und Karl Stotz haben sich sehr um mich bemüht. Wirklich Anhänger eines Vereins war ich damals nicht." (Foto: danielshaked.com)

Foto: danielshaked.com

Fotos aus der Privatsammlung: Lopper einst mit Ferenc Puskás,...

Foto: Privat Lopper

...neben Ernst Ocwirk (Dritter von rechts),...

Foto: Privat Lopper

...mit Jacare und dem Austria-Neuzugang Francisco Marcelo am Flughafen Wien Schwechat,...

Foto: Privat Lopper

...mit Franz Horr (links) und Joschi Walter sowie...

Foto: Privat Lopper

... 1937 als Spieler des SC Hakoah Wien (zweiter von links stehend).

Foto: Privat Lopper

Wien - Flotten Fußes betraten die beiden Austria-Ikonen Norbert Lopper und Herbert Prohaska die Räumlichkeiten des "Dschungel Wien" im Wiener Museumsquartier. Der Club 1911, ein Forum für violette Fußballkultur, hatte geladen, um alte Zeiten aufzurollen und die Brücke in die Gegenwart zu schlagen. Moderiert wurde das Gespräch von derStandard.at/Sport-Ressortleiter Philip Bauer.

"Jeder Pfiff gegen die Austria war ungerecht, jeder Pfiff für die Austria voll in Ordnung." So steht es in Ihrer Biographie. Gilt das für Herbert Prohaska auch noch als Chefanalytiker des ORF?

Prohaska: "Distanz entwickelt man nicht, man muss sich professioneller verhalten und Neutralität zumindest vorgaukeln (lacht). Wenn die Austria spielt, kann mir niemand beim ORF böse sein, dass ich die Daumen drücke. Da ich aber ohnehin nur im Cup und nicht in der Meisterschaft im Einsatz bin, gibt es kaum Interessenskonflikte."

Das Herz hängt also nach wie vor an der Austria, oder schlägt es stärker für ihre Ex-Klubs in Italien?

Prohaska: "Mit Inter Mailand ging für mich ein Kindheitstraum in Erfüllung. Bei Roma war es ein historischer Meistertitel. Aber ich war 18 Jahre bei der Austria, ich hatte hier Erfolge und großartige Mitspieler, ohne die ich nie der Herbert Prohaska geworden wäre. Auch wenn ich fünf Jahre in Rom oder Mailand gespielt hätte, nichts geht über die Austria."

Das Horr-Stadion bzw. die Generali-Arena werden Sie beide wohl kaum wiedererkennen?

Lopper: "Ich fühle mich noch immer zuhause, aber es hat sich vieles verändert. Das Stadion ist im Vergleich zu früher ein Schmuckkästchen. Wir hatten damals noch Holztribünen. Herbert kann sich noch erinnern..."

Prohaska: "Drei Duschen, zwei haben funktioniert. Und wenn die Leute gesprungen sind, haben wir gedacht, die Tribüne stürzt ein."

Lopper: "Gegen Galatasaray hätten wir 1982 gar nicht im Horr spielen dürfen. Ich habe das Spiel trotzdem dort angesetzt, da wir nach dem 4:2 in Istanbul nicht genug Fans für den Prater hatten. Das war riskant, aber ich habe den Schiedsrichter so eingebraten, dass er keine Anzeige erstattet hat. Während dem Spiel haben dann noch kurdische Demonstranten das Spielfeld gestürmt... Mit dem offiziellen Beobachter war ich sehr gut, wir haben dann im Hotel besprochen, was wir für die UEFA aufschreiben."

Prohaska: "Nicht nur das Umfeld, auch die Fans haben sich verbessert. Früher wurde ich von Fans gefragt: 'Warum soll ich gegen Klagenfurt kommen, da schießen wir doch ohnehin fünf Tore'. Habe ich geantwortet: 'Wann wollen Sie kommen, wenn wir fünf kriegen?' Wir haben vor 72.000 Zusehern gegen Dynamo Moskau gespielt und vier Tage später gegen Sturm vor 5.000."

Gab es in der Beziehung zum Verein auch emotionale Durchhänger?

Prohaska: "In der Zeit unter Stronach gingen etwas die Emotionen verloren. Mit großer Sorge habe ich gesehen, dass die Austria plötzlich in ganz Österreich als unsympathisch galt. Die Austria war in den Bundesländern vielleicht nicht immer geliebt, wurde aber zumindest respektiert. Man muss der jetzigen Klubführung ein großes Kompliment aussprechen, sie hat den Verein in kürzester Zeit wieder zu einem sympathischen und auch erfolgreichen gemacht. Auch die Infrastruktur wurde mit Fanshop, Museum, Tribüne, Akademie und auch Trainingsmöglichkeiten massiv verbessert. Ich hätte nicht gedacht, dass es nach Stronach so schnell bergauf gehen würde."

War es Tommy Parits, der die Austria nach dem Abgang von Frank Stronach wieder auf Kurs gebracht hat?

Prohaska: "Er ist der richtige Mann am richtigen Ort. Ich selbst hatte Stronach schon geraten, ihn als sportlichen Leiter zum Verein zu holen. Er wollte aber einen internationalen Star verpflichten und hat sich dann für Arie Haan entschieden. Parits war der Austria immer sehr eng verbunden und weiß genau, was dort zu tun ist. Schon als Mitspieler war er einer der intelligentesten und hat, zum Leidwesen des Herren Lopper, tolle Europacup-Prämien für uns ausgehandelt."

Spricht man über Norbert Lopper, ist zumeist vom ehemaligen "Austria-Sekretär" die Rede. Sie waren aber doch weit umtriebiger als ein üblicher Sekretär. Welche Aufgaben hatten Sie damals im Verein?

Lopper: "Ich war für alles zuständig. Ich habe Spiele und Auswärtsreisen organisiert, habe für die Neuzugänge Quartiere gesucht. Oft musste ich den Spielern am Ersten sagen, dass sie noch auf ihr Geld warten müssen. Mit Freundschaftsspielen gegen namhafte Gegner konnten wir uns finanziell helfen. In den sechziger Jahren habe ich Vereine wie Benfica Lissabon (3:3), Arsenal London (2:0), Bayern München (3:0) oder Anderlecht (0:3) nach Wien geholt. Da waren immer sehr viele Zuseher da."

Man nennt Sie auch "Die rechte Hand von Joschi Walter". Ist dies eine Bezeichnung, die Ihnen gefällt?

Lopper: "Joschi Walter hat gewusst, was er an mir hat und mir fast alle Agenden überlassen. Ich hatte nur das Telefon und eine Schreibmaschine. Mein Sekretariat hatte 45 Quadratmeter, dort hatte sich alles abgespielt. Unsere Möglichkeiten waren begrenzt, die Erfolge in den Sechzigern und Siebzigern dennoch sehr groß."

Prohaska: "Es gab viele gute Leute bei der Austria. Aber Joschi Walter konnte den Verein wie kein anderer führen, er hatte sowohl die sportliche als auch die wirtschaftliche Kompetenz. Der Mann hat mehr für die Austria geleistet als wir alle. Wenn die Austria mit vier, fünf Millionen Minus abgeschlossen hat, hat er die Gönner aufgesucht und die Schulden waren wieder weg."

Joschi Walter galt als kompromisslos. Wäre sein Führungsstil auch für den heutigen Fußball geeignet?

Prohaska: "Er hätte wohl große Probleme, ob er auf Vertragsverhandlungen mit Spielermanagern Lust gehabt hätte, ist fraglich. Er war nicht so hart wie sein Ruf. Als ich frisch verheiratet war und mein Vertrag neu ausgehandelt wurde, meinte er, das Handgeld wäre abgeschafft. Ich erklärte ihm meine Situation und dass ich in meiner neuen Wohnung ungern auf Kisten sitzen würde. Dann gab es doch wieder Handgeld."

Norbert Loppers erster Eindruck von Herbert Prohaska?

Lopper: "Prohaska war eine Ausnahmeerscheinung. Schon als er 15 Jahre alt war, konnte man seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zweifellos erkennen. Natürlich hat man sich als Verein sofort dafür interessiert. Zum ersten Gespräch kam es in der Kantine einer Kfz-Werkstätte."

Prohaska: "Ich war damals 16 Jahre alt und komplett überfordert. Binnen weniger Wochen haben Austria, Rapid, Wacker Innsbruck und Austria Salzburg mit mir verhandelt. Ich wollte eigentlich nur bei einem großen Verein spielen, von Verhandlungen hatte ich nicht die geringste Ahnung. Den Ausschlag für die Austria gaben schließlich zwei Freunde, die bereits beim Klub waren: Hansi Bendekovits und Edi Krieger. Zudem haben sich Norbert Lopper und Karl Stotz damals sehr um mich bemüht. Wirklich Anhänger eines Vereins war ich damals nicht, habe nur meinen Vater oft zur Vienna begleitet. Ich wollte aber zu einer erfolgreicheren Mannschaft (lacht)."

Und welches Bild hatten Sie damals von Norbert Lopper?

Prohaska: "Ich hatte von Beginn an das Gefühl, dass Lopper sehr darauf schaut, dass das Geld bei der Austria im Safe bleibt (lacht)."

Deshalb also das überschaubare Monatsfixum?

Prohaska: "Ich war damals Lehrling in einer KFZ-Werkstätte und habe 120 Schillinge in der Woche verdient. Die Austria bot mir monatlich 3000 Schillinge Fixum, 1500 für einen Sieg, 750 für ein Unentschieden und die Hand für die Niederlage. Zudem bot mir Joschi Walter 20.000 Schillinge Handgeld. Ich bin aus dem Sekretariat gegangen und dachte, ich wäre Millionär."

Sie haben neben Prohaska auch Top-Spieler aus Südamerika zur Austria geholt. Wie konnte man sich damals einen Blick über den Spielermarkt verschaffen?

Lopper: "Ich hatte die großen Sportzeitungen immer auf meinem Schreibtisch liegen, den 'Kicker' und 'L'Équipe'. Ich war über den Fußball in Europa immer bestens informiert. So konnte ich Spieler wie Günter Kuntz oder Horst Paproth verpflichten. 1972 gelang mir mit Alberto Martinez und Julio Morales ein besonderer Coup. Ein Cousin aus Montevideo bot mir damals die halbe uruguayische Nationalmannschaft an, dort konnten die Löhne nicht mehr gezahlt werden. Morales kannte ich von der WM 1970, der hat dort den Vogts schwindlig gespielt. Wir holten dann beide Spieler um 54.000 Dollar mit der Hilfe von Leopold Böhm."

1967 führte die Austria als erster österreichischer Verein das Dressensponsoring ein. Wie waren die öffentlichen Reaktionen?

Lopper: "Wir wollten mit dem Bierglas auf dem Dress antreten, doch die UEFA hat uns das verboten. Sie wollte nur das FAK-Emblem am Trikot. So konnte diese Idee nur in der Meisterschaft, aber nie international umgesetzt werden. Als die geplante Fusion mit der Admira scheiterte, zog sich der Vorstand um Manfred Mautner-Markhof zurück und mit ihm die Brauerei als Sponsor."

Prohaska: "Deswegen hatten wir 1972 keinen Sponsor und ich nur 3000 Schillinge Gehalt. (lacht)"

Und dennoch gelang es in wenigen Jahren eine hochwertige Mannschaft zu bilden. Ist es quasi eine moralische Verpflichtung der Austria, eine spielstarke Mannschaft zu stellen?

Prohaska: "Absolut, die Austria hat immer für technisch starken Fußball gestanden. Die jetzige Einkaufspolitik wird diesen Anforderungen gerecht. Es ist derzeit eine Freude, der Austria zuzusehen. Damit fängt aber auch wieder das altbekannte Leiden der Fans an: oft wird gut gespielt und dennoch nicht gewonnen. Da musste man als Anhänger der Austria aber immer schon durch, 100 Jahre mittlerweile. Aber die Chancen stehen gut, dieses Jubiläum mit dem Teller zu feiern."

Sie sprechen es an: "Austrianer ist, wer es trotzdem bleibt!" Muss man als Austrianer tatsächlich leidensfähiger sein? Was soll dann erst ein Fan des LASK sagen?

Prohaska: "Die Austria hat sich durch ihre Vereinsgeschichte in eine Position gebracht, in der man immer das höchste erwartet. Der LASK ist selten angetreten, um Meister zu werden. Die Austria musste praktisch jedes Jahr den Titel holen. Und wurde das Ziel nicht erreicht, hat der Fan gelitten."

Eine internationale 0:4-Finalniederlage wie sie der Austria 1978 widerfahren ist, wird sich der Fan aber auf absehbare Zukunft ersparen können?

Prohaska: "Wir dürfen uns da keinen Illusionen hingeben, die Erfolge aus dem letzten Jahrhundert wird es nicht mehr spielen. Die Champions League wurde erfunden, damit die großen Vereine zufrieden sind. In einer Gruppenphase mit sechs Spielen kann ihnen im Gegensatz zu zwei K.O.-Spielen nichts mehr passieren. Die Kleinen bekommen noch die Chance sich zu qualifizieren, aber in Wahrheit wollen die Großen unter sich bleiben."

War das Erreichen des Endspiels Ihr größter Gänsehautmoment im violetten Dress?

Prohaska: "Es gab mehrere, einer davon war sicher das Elferschießen gegen Dynamo Moskau 1978. Das war schon hart an der Grenze des Erträglichen. Als ich das erste Mal das Austria-Dress überzog war es für mich das Goldene Vlies, ich wollte es gar nicht mehr ausziehen. Beim meinem letzten Spiel für die Austria hätte ich beim Aufwärmen schon fast zu weinen begonnen. Die Karriere war dann doch so schnell vorbei. Eigentlich wollte ich nie Trainer werden, ich wollte immer nur Fußball spielen."

Also ist auch eine Rückkehr zur Austria nicht mehr denkbar?

Prohaska: "Ich bin jetzt Austria-Fan und enttäuscht, wenn sie verlieren. Aber ich kann dann ohne Druck einfach an das nächste Spiel denken. Wenn ich eine offizielle Funktion hätte, wie Zeugwart oder Masseur, würde ich sofort wieder bei jedem Spiel dabei sein, ich wäre sofort wieder dort, wo ich früher war - aber ich will dort nicht mehr hin. Wenn die Austria am Sonntag spielt, stehe ich in der Früh auf und will eigentlich ins Stadion, aber dann kommt die Familie, wir machen eine Flasche Wein auf und es schleicht sich eine gewisse Trägheit ein."

Das macht Sie zu einem echten Violetten...

Prohaska: (lacht) Und trotzdem kann man jetzt mit den Zuschauerzahlen zufrieden sein. Jetzt kommen 8.000 oder mehr, die Stimmung ist toll. Da hat sich schon was verändert.

Zuletzt sah man im Horr-Stadion aber auch rechte Symbolik, hörte rechte Parolen. Wie geht es Ihnen dabei?

Prohaska: "Es ist grotesk, wenn man weiß, wie die gegnerischen Fans uns früher oft genannt haben. Wir galten als 'Judenklub', heute gibt es rechte Parolen. Das können keine Fans sein, weil sie sich gar nicht mit der Geschichte der Austria befasst haben. Das hat mit dem Sport und der Austria nichts zu tun."

Lopper: "Das kam früher selten bei den Gegnern vor, manchmal in Graz oder beim Stadthallenturnier gegen Rapid. Ohne Unterstützung der Polizei ist es für den Verein sicher nicht leicht, dem Problem Herr zu werden."

Eine abschließende Frage: der größte Austrianer aller Zeiten, Prohaska oder Sindelar?

Prohaska: "Mein Vater hat nach jeder Partie zu mir gesagt, ich wäre der beste gewesen. Selbst wenn ich keinen geraden Pass zusammengebracht habe. Aber er hat auch immer gesagt: es gibt einen, der war besser als Du, und das war der Sindelar."

Lopper: "Ich sah ihn als 14-Jähriger zum ersten Mal 1933 im Mitropacup-Finale gegen AS Ambrosiana Inter Mailand. Die Austria gewann 3:1, Sindelar schoss alle drei Tore, das entscheidende zwei Minuten vor Schluss. Er wurde auf den Schultern aus dem Stadion getragen." (Philip Bauer; derStandard.at; 1. März 2011)