Innsbruck - Das Dauerthema Agrargemeinschaft bringt nach wie vor das Blut der Tiroler Landtagsabgeordneten in Wallung: In der Aktuellen Stunde am Donnerstag warfen sich Opposition und Landesregierung wechselseitig "Stillstand" beziehungsweise "Hetze" vor. Während Liste Fritz, Grüne und FPÖ eine neue gesetzliche Regelung forderten, um den Gemeinden endlich zu ihrem vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) 2008 verbrieften Recht zu verhelfen, wiesen die Vertreter der Landesregierung die derzeitigen Regelungen als ausreichend aus.

"Wir haben vor einem Jahr das Flurverfassungsgesetz beschlossen und dafür das Gütesiegel des Verfassungsgerichtshofes bekommen", betonte Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). Jetzt gelte es für die Behörden, dieses nach "Punkt und Beistrich" umzusetzen. Die Umsetzung sei gut im Plan: In 166 der insgesamt 226 Fälle sei bereits ein Feststellungsbescheid erlassen worden. Platter warf der größten Oppositionspartei im Tiroler Landtag, der Liste Fritz, "reinen Populismus" vor: "Sie haben Angst, dass ihnen die Themen abhandenkommen".

Wanderndes Vermögen

Diese sah das naturgemäß anders: "Es geht hier um 2.000 Quadratkilometer - eine Fläche so groß wie Osttirol - und um 30 bis 50 Millionen jährlich, die den Gemeinden gehören", argumentierte LAbg. Andreas Brugger (Liste Fritz). Die ÖVP habe kräftig nachgeholfen, dass das Vermögen des Volkes in die richtigen Hände gelange, nämlich in jene der Agrargemeinschaften. Nach dem Erkenntnis des VfGH im Juni 2008, dass die Übertragung des Gemeindegutes an die Agrargemeinschaften als "offenkundig verfassungswidrig" bezeichnete, habe die ÖVP alles dafür getan, dass die Agrargemeinschaften ihren Besitz behalten dürfen. Alles was bis jetzt war, seien lediglich "Ablenkungsmanöver" gewesen.

"Es geht hier um Macht und Geld, und wer in Tirol Boden hat, hat Mach und Geld", sagte der Grüne Klubobmann Georg Willi. Das Problem sei, dass die ÖVP vier Jahrzehnte in eine rechtswidrige Richtung gearbeitet habe. "Derzeit erleben wir in Tirol einen Kampf um den Rechtsstaat", erklärte er. Und es gehe darum, ob diesen ein paar Agrarfunktionäre oder die Gemeinden gewinnen. Der Landtag müsse die Verfahren durch eine neue gesetzliche Regelung beschleunigen und den Gemeinden endlich zu ihrem Recht verhelfen.

LHStv. Hannes Geschwentner (SPÖ) erklärte, dass es an der Zeit sei, dass man zu einem Ergebnis komme. Wenn man die Geschichte der Agrargemeinschaften betrachte, habe man einen "riesigen Sündenfall der ÖVP" vor Augen. Den Gemeinden sei auf "rechtlich fragwürdige Weise" Besitz entzogen worden. Die Landesregierung versuche aber seit 2008 das Erkenntnis des VfGH umzusetzen. Die Liste Fritz trete teilweise als Hetzer auf und dies sei entbehrlich.

Der Freiheitliche Klubobmann, Gerald Hauser kritisierte, dass die Diskussion schon viel zu lange dauert: "Dass die ÖVP blockiert ist klar, dass aber auch die SPÖ blockiert, ist verwunderlich". LAbg. Thomas Schnitzer vom Bürgerklub Tirol erklärte, dass die Diskussion "sachlich und nicht emotional" geführt werden sollte.

Hintergrund

Knapp drei Jahre nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) schwelt der Streit zwischen Gemeinden und Agrargemeinschaftsvertretern unvermindert. Die Gemeinden warten nach wie vor auf die Erlöse aus dem Substanzwert, also auf jene Gewinne, die beispielsweise aus der Jagdpacht, Schottergruben, Autobahnraststätten oder dem Verkauf von Bauland stammen.

Dabei stellte der VfGH in seinem Erkenntnis im Juni 2008 eindeutig fest, dass die Gemeinden und nicht die Agrargemeinschaften über das Gemeindegut verfügungsberechtigt sind. Im Wesentlichen bestätigte der VfGH damit seine Feststellung von 1982. Trotzdem bewegt sich in der Sache relativ wenig. Zum Teil liegt es wohl daran, dass die Agrargemeinschaften ihr Recht historisch gewachsen sehen.

Gemeinschaftlicher Besitz

Die Agrargemeinschaften sind aus bäuerlichen Zusammenschlüssen entstanden. In ihrem gemeinschaftlichen Besitz befanden und befinden sich Wälder, Weiden und Almen. Im Vordergrund stand jedoch die Nutzung dieser Flächen für Holz- und Viehwirtschaft. Während die Mitglieder in den Agrargemeinschaften ursprünglich vorwiegend Bauern waren, dominieren in etlichen Gemeinschaften mittlerweile die Nicht-Agrarier. Und die Erträge, die die Agrargemeinschaften abwerfen, gehen weit über die Nutzung der Holz- und Viehwirtschaft hinaus. Unter anderem werfen Erlöse aus Grundstücksverkäufen, Verpachtungen von Gewerbeflächen, Erträge aus der Seilbahnwirtschaft und der Abbau von Schotter Gewinne ab, mit denen laut Gemeindevertretern die Löcher in den kommunalen Budgets gestopft werden könnten.

Durch Regulierungsverfahren in den 50er und 60er Jahren wurde das Gemeindegut den Agrargemeinschaften übertragen. Diese Eigentumsübertragung kritisierte der VfGH bereits 1982 als rechtswidrig. Diese Ansicht fiel in Tirol aber zunächst nicht auf fruchtbaren Boden. Erst als die Gemeinde Mieders vor die Höchstrichter zog und der VfGH sein Erkenntnis von 1982 im Sommer 2008 bekräftigte, kam der Stein ins Rollen.

Was folgte, waren zum Teil heftig geführte politische Debatten und eine Novellierung des Tiroler Flurverfassungsgesetzes. Demnach müssen die aus Gemeindegut entstanden Agrargemeinschaften zwei Rechnungskreise führen. Einen für die Wald- und Weidenutzung und einen gesonderten für die Erlöse aus dem Substanzwert. Auf letzteren sollten die Gemeinden zugreifen können. Da das aber nicht immer reibungslos funktioniert, bestellte das Land beispielsweise für die Gemeinde Mieders mittlerweile einen Sachwalter. (APA)