Für Paul Crutzen hat Fukushima gezeigt, dass Kernenergie unsicherer ist als gedacht. Zugleich bezweifelt er, dass das zu einem internationalen Atomausstieg führen wird.

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STANDARD: Sie haben letzte Woche in Wien über das Anthropozän gesprochen - einen Begriff, den Sie selbst vor elf Jahren erfanden. Was verstehen Sie darunter?

Crutzen: Damit meine ich jenes Erdzeitalter, in dem wir heute leben und in dem die Einwirkungen menschlicher Aktivitäten auf die Umwelt eine Dimension erreicht haben, die mit natürlichen Einflüssen vergleichbar ist.

STANDARD: Wann setzen Sie den Beginn dieses Zeitalters an?

Crutzen: Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass das Anthropozän mit der Industrialisierung begonnen hat. Es brauchte aber einige Zeit, bis sich die bemerkbar machte. Ich würde also sagen, dass diese Auswirkungen ab 1890 richtig relevant wurden. Andere Kollegen wieder wollen das Anthropozän mit dem Zweiten Weltkrieg beginnen lassen. Das Schöne ist, dass mir inzwischen auch Schulkinder schreiben und Vorschläge machen. Vielleicht sollte ich einen Wettbewerb ausschreiben, wer die beste Begründung für eine bestimmte Datierung hat.

STANDARD: Einige Ihrer Kollegen behaupten, dass menschliche Auswirkungen auf das Klima viel weiter zurückgehen würden. Was halten Sie von seiner These?

Crutzen: Diese These vertritt vor allem William Ruddiman, ein sehr guter Paläoklimatologe aus den USA. Er behauptet, dass bereits die menschlichen Brandrodungen vor 8000 Jahren das Klima veränderten. Ich bin diesbezüglich aber sehr skeptisch. Ich glaube nicht, dass das wirklich spürbare Auswirkungen hatte.

STANDARD: Eine der dokumentierten Folgen menschlicher Aktivitäten ist das Ozonloch, für dessen Erforschung Sie 1995 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden. Wie steht es eigentlich heute um das Ozonloch?

Crutzen: Es wird kleiner. Bis es endgültig verschwunden ist, wird es aber noch einige Jahrzehnte dauern. Die FCKWs, die dafür verantwortlich waren, sind ja immer noch vorhanden. Und bis die ganz abgebaut sind, dauert das seine Zeit.

STANDARD: Sehen Sie Chancen, dass wir auch den Klimawandel - ähnlich wie das Ozonloch - in den Griff bekommen?

Crutzen: Im Moment sieht es nicht so gut aus. Nehmen wir nur das Treibhausgas Kohlendioxid: Allein um die Menge an CO2 in der Atmosphäre konstant zu halten, müsste man in den nächsten Jahren den Ausstoß um 15 bis 20 Prozent verringern. Was passiert, ist genau das Gegenteil.

STANDARD: Wo soll man ansetzen?

Crutzen: Das wichtigste wäre zu allererst, bescheidener zu leben und sorgsamer mit den verfügbaren Ressourcen umzugehen. Aber das sagt sich hier leicht. Die Menschen in vielen Teilen der Welt wollen auch erst einmal unseren Lebensstandard erreichen.

STANDARD: Welche Hoffnungen setzen Sie in erneuerbare Energiequellen? Sie gelten auch als scharfer Kritiker von Biosprit.

Crutzen: Ich denke, dass man vor allem von jenem Biosprit wegkommen muss, der aus Mais oder Raps hergestellt werden. Denn damit diese Pflanzen wachsen, müssen nämlich sie gedüngt werden. Dabei entsteht aber unter anderem Lachgas, das 400 Mal klimawirksamer ist als Kohlendioxid. Außerdem bleibt es viel länger in der Atmosphäre. Das andere Argument gegen Biosprit aus Getreide ist, dass wir damit besser den Hunger in der Welt bekämpfen sollten. Biosprit der zweiten Generation auf Basis von Zellulose - also aus Holzresten oder Gräsern - ist deutlich besser.

STANDARD: Welche erneuerbaren Energiequellen haben für Sie das größte Potenzial?

Crutzen: Sonne und Wind - auch wenn man die Wirkungsgrade insbesondere bei der Sonnenenergie sicher noch verbessern kann. Aber da bin ich kein Experte.

STANDARD: Sie waren einer der erste prominenten Wissenschafter, die eine Methode des Geo-Engineering (siehe Kasten Wissen) vorgeschlagen haben, um das Klima abzukühlen. Wie weit ist man damit?

Crutzen: Als ich 2006 in einem wissenschaftlichen Aufsatz begründete, dass man Schwefeldioxid in die Stratosphäre blasen könnte, um so das Klima abzukühlen, wurde ich heftig angegriffen. Aber ich hab immer gesagt, dass so etwas nur die allerletzte Maßnahme im Kampf gegen die Erderwärmung sein sollte. Ich bin absolut dagegen, jetzt schon Geo-Engineering zu betreiben. Wir müssen die Nebenwirklungen erst noch viel besser verstehen.

STANDARD: Eine der Nebenwirkungen Ihres Vorschlags dürfte sein, dass damit die Ozonschicht empfindlich gestört wird.

Crutzen: Richtig. Das konnten Simone Tilmes mit Kollegen 2008 zeigen. Aber wenn der Anteil von CO2 in der Atmosphäre weiter so stark steigt sich die Erde weiter erwärmt, dann könnten wir eines Tages immerhin vor der Wahl stehen, für welches der beiden Übel wir uns entscheiden.

STANDARD: Was erwarten Sie nach Fukushima für die Kernenergie, die immerhin kein CO2 emittiert?

Crutzen: Zum einen hat uns der Unfall gezeigt, dass Kernkraftwerke unsicherer ist als wir gedacht haben. Zum anderen zweifle ich, dass das zu einem Ausstieg aus der Kernenergie führen wird. In Ländern wie China wird die Kernenergie weiter massiv ausgebaut.

STANDARD: In Deutschland hat man immerhin Reaktoren abgeschaltet.

Crutzen: Das geschah wohl nur aufgrund der Wahlen. Die Energie, die dadurch fehlt, wird durch Atomstrom aus Frankreich kompensiert. Was ist das für eine Lösung? Aber vielleicht wird Deutschland dadurch ja zu einem Vorreiter bei Alternativenergien. (DER STANDARD, Printausgabe, 30.03.2011)

 

=> Wissen: Geo-Engineering

Wissen: Geo-Engineering

Paul Crutzen ist einer jener Nobelpreisträger, der auch noch lange nach Verleihung der wichtigsten wissenschaftlichen Auszeichnung der Welt mit neuen Ideen für Diskussionen sorgt. Das geschah vor allem 2006 mit seinem umstrittenen Vorschlag, Schwefeldioxid in die Stratosphäre einzubringen, um so die Temperaturen weltweit zu verringern.

Das Vorbild dafür gab der Ausbruch des philippinischen Vulkans Pinatubo 1991 ab, dessen Wolken für eine kurzfristige Temperaturabkühlung um 0,5 Grad Celsius sorgten. Für Crutzen ist so ein Eingriff aufgrund der noch nicht vollständig erforschten Nebenwirkungen allerdings nur "allerletztes Mittel" im Kampf gegen die Klimaerwärmung. (tasch)