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Juri Gagarin war der erste Mensch im All. Nach seiner Landung setzte ein Heldenmythos ein, der bis heute andauert.

Illustration: Fatih Aydogdu, Fotos: EPA (2), Bewegung KOCMOC / Gruppe Gagarin

Der charismatische Kosmonaut wurde damit zum weltweit umjubelten Popstar. Die Umstände seines frühen Todes sind bis heute nicht geklärt.

Es gleicht fast einer Ironie, dass die Festlichkeiten zum 50. Jubiläum des ersten bemannten Weltraumflugs mit einer Panne beginnen. Heute, Mittwoch, sollte eine auf den Namen Gagarin getaufte Sojus-Rakete mit drei Raumfahrern an Bord vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan zur Internationalen Raumstation ISS starten. Der Jubiläumsflug wurde jedoch auf den 10. April, zwei Tage vor dem tatsächlichen Jahrestag, verschoben – wegen einer defekten Schaltkreisanlage, wie die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos vor einigen Tagen bekanntgab. Was Kommentatoren in Moskau als schlichtweg "peinlich" für die auf ihre Weltraumtradition so stolze Nation bezeichneten.

Auch der ursprüngliche Termin für den ersten Flug eines Menschen ins All musste verschoben werden – von Dezember 1960 auf den folgenden April. Allerdings aus weitaus tragischeren Gründen: Am 24. Oktober 1960 explodierte eine Interkontinentalrakete auf der Abschussrampe in Tjuratam, dem heutigen Baikonur. 92 Menschen kamen ums Leben. Der Unfall wurde vertuscht und gelangte erst 30 Jahre später, als mit Gorbatschows Perestrojka die Geheimarchive langsam zugänglich wurden, an die Öffentlichkeit.

Am 12. April 1961, einem Mittwoch, war es dann aber so weit: Der 27-jährige Juri Gagarin, aus zahlreichen Bewerbern auserwählt zum Kosmonauten Nummer eins, schießt um 9.07 Uhr im Raumschiff Wostok (zu Deutsch Osten) in den Himmel. Als erster Mensch sprengt er die Grenzen der Gravitation und betrachtet schwerelos die Erde von oben.

Wie Gerhard Kowalski in seinem Buch Die Gagarin-Story festhält, gibt er unter anderem um 10.06 Uhr an die Bodenstation durch: "Achtung! Ich sehe den Erdhorizont. Eine sehr schöne Aureole. Zuerst bildete sich ein Regenbogen unmittelbar über der Erdoberfläche. Sehr schön. Alles durch das rechte Sichtfenster zu sehen. Ich sehe im optischen Visier die Sterne vorüberziehen. Ein wunderschöner Anblick."

Vertuschte Komplikationen

Ruhig und besonnen, sachlich, teilweise mit subtilem Humor, erstattet Gagarin Bericht aus dem All. Dabei verläuft die 108-minütige Erdumrundung keineswegs ohne Komplikationen. Beim Landeanflug lösen sich die Kabel zwischen Orbitalsektion und Landekapsel nicht wie vorgesehen. Das Raumschiff beginnt sich zu drehen. Zehn Minuten zu spät erfolgt schließlich die Trennung, und Gagarin katapultiert sich in einer Höhe von etwa sieben Kilometern aus dem Raumschiff. Um 10.55 Uhr landet er mit dem Fallschirm auf einem Acker nahe dem Dorf Smelkowka. Auch dieser Vorfall blieb, so wie viele andere auch, jahrzehntelang unter Verschluss.

Nichtsdestotrotz: Gagarin kehrte wohlbehalten zurück. Für ihn begann mit dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre ein geradezu kometenhafter Aufstieg: Er wurde zum ersten sowjetischen Popstar. Sein bubenhaftes Lächeln, stets als unwiderstehlich beschrieben, wurde zu seinem Markenzeichen. Sein Charme, seine gewinnende und zugleich uneitle Art machten ihn zum Idol – über alle ideologischen Grenzen hinweg.

Am 9. März 1934 in einem Dorf bei Smolensk als Sohn von Kolchosbauern geboren, hatte Juri Alexejewitsch Gagarin eine tadellose "rote" Herkunft vorzuweisen. Während der Ausbildung zum Gießer trat er der Militärfliegerschule bei und diente ab 1957 in der sowjetischen Luftwaffe. Im selben Jahr heiratete er die Ärztin Walentina Gorjatschewa, die zwei Töchter auf die Welt brachte.

Noch während des Raumflugs wurde Gagarin zum Major befördert. Zwei Tage später zog Gagarin unter tosendem Jubel in Moskau ein, wo er am Roten Platz von Regierungschef Nikita Chruschtschow empfangen wurde. Von da an wurde der sympathische Allpionier in der ganzen Welt herumgereicht. Als smarter Bauernbub, der es bis in den Kosmos geschafft hatte, wurde er – mithilfe der sowjetischen Propagandamaschinerie – zur Ikone eines neuen Zeitalters erhoben, als "Kolumbus des 20. Jahrhunderts" verehrt und verklärt.

Die Tournee, von den Kreml-Ideologen als Friedensmission verkauft, führte den strahlenden Helden der Sterne in rund 40 Länder. Die Queen hofierte ihn genauso wie Fidel Castro. Die 18. Station der Reise absolvierte Gagarin in Österreich, wo er im Mai 1962 ein "Mammutprogramm" bewältigte, wie Manfred Mugrauer in der aktuellen Ausgabe der Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft zusammenfasst.

Reisen, Ruhm und Rausch

Höhepunkt war eine Veranstaltung in der Wiener Stadthalle, bei der 10.000 Menschen den Worten Gagarins lauschten. In den Linzer Voest-Werken ließ er es sich nicht nehmen, den Arbeitern in der Gießerei einen Besuch abzustatten, im ehemaligen Konzentrationslager Mauthausen legte er einen Kranz nieder. Darüber hinaus wurde er durch Niederösterreich und die Steiermark kutschiert, traf in der Akademie der Wissenschaften unter anderem auf den Physiker Hans Thirring und sprach im brechend vollen Audimax der Uni Wien.

Es dauerte nicht lange, bis Gagarins galaktische Popularität von irdischen Abgründen eingeholt wurde. Der Kultstatus machte ihm zu schaffen, unrühmliche Geschichten über Affairen und Alkoholexzesse machten die Runde. 1966 stirbt Sergej Koroljow, Chefkonstrukteur und Mastermind hinter dem russischen Raumfahrtprogramm, dem Gagarin auch persönlich nahestand.

Um ihn keiner Gefahr auszusetzen, hatte die Kreml-Führung ihrem Helden ein Flugverbot erteilt. Doch Gagarin kämpfte für eine zweite Allmission und durfte schließlich als Ersatzmann für den ersten Sojus-Flug am 23. April 1967 antreten. Dieser endete mit einem Desaster: Kosmonaut Wladimir Komarow verunglückte tödlich, weil das Fallschirmsystem versagte. Weitere Raumflüge Gagarins waren damit abgeblasen.

Also wollte er die Jagdfliegerausbildung abschließen. Bei einem Übungsflug am 27. März 1968 stürzten er und sein Fluglehrer mit einer MIG ab. Juri Gagarin starb im Alter von 34 Jahren. Über die genaue Absturzursache wird nach wie vor spekuliert. Eine offizielle Untersuchungskommission ging von einer Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände aus, daneben kursieren zahlreiche Mutmaßungen und Verschwörungstheorien.

Sein früher Tod befeuerte den Mythos Gagarin, der weit über die Sowjetnostalgie hinausgeht, wie Walter Famler in seinem Buch Juri Gagarin – Im Zeichen des roten Sterns darlegt, soeben erschienen im Verlag Kulturmaschinen: "Auffahrt und Wiederkunft des Weltraumfliegers spiegeln den Triumph der Technik eines fortschrittsgläubigen Jahrhunderts mitsamt aller archaischen und religiösen Kodierung. (...) Seine Biografie ist auch eine Passionsgeschichte seines Zeitalters." Für Ärger unter Gagarin-Fans sorgte kürzlich dessen Tochter Galina, die den Namen ihres Vaters als Marke schützen will. Geschätzter Wert: 25 Millionen Euro. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 30.03.2011)