Schon am Weg von Honda zurück in die Stadt komme ich mir auf dem SW-T600 vor wie einer der Anwälte aus einem packenden Roman von John Grisham, in dem auf 380 von über 400 Seiten nicht mehr passiert als im Leben jedes anderen Menschen. Das Gepäckfach wäre groß genug, um zwei Helme oder eine Million Dollar darin zu transportieren. Woher ich die Million habe? Sie wird mir wohl irgendjemand in den Roller gesteckt haben, um mir das Schweigen zu erleichtern.

Foto: Werk

Auf dem Weg in die Stadt achte ich genau darauf, ob ich verfolgt werde. Immerhin habe ich ja keine Ahnung, wer noch von dem Geld weiß. Abgesehen von dem Typen, der mich bestechen will, wird es wohl auch einen Boten gegeben haben, der es im Roller verstauen musste. Und nichts wäre leichter, als dem Roller zu folgen und sich das Geld wiederzuholen, um Frau und Kindern damit eine Freude zu machen.

Foto: Werk

Doch vermutlich werden Boten besser bezahlt als drittklassige Journalisten, und es wäre viel zu aufwändig, mir das Geld wieder abzuluchsen. Denn Verfolger sehe ich keinen. Trotzdem drehe ich in der Autobahnauffahrt das Gas ordentlich auf. Sicher ist sicher. Mit den 50 PS und dem Drehmoment von 55 Newtonmeter aus dem fast 600 Kubikzentimeter großen Zweizylinder hat sogar der schwarze Lincoln hinter mir keine Chance. Ganz leicht lässt sich der Roller in die lange Auffahrt von Wiener Neudorf legen.

Foto: Werk

Gutes Handling ist bei Honda ja Ehrensache. Im SW-T600 sitzt der Motor weit unten, was einen tiefen Schwerpunkt unterstützt. Die Sitzposition ist anwältisch: Aufrecht, aber trotzdem so entspannt, dass jeder sofort sieht, dass man alle Trümpfe in der Hand hat. Während der Lincoln immer kleiner wird, hält der Zweizylinder-Motor seine Drehzahl fast konstant. Die V-Matic übernimmt den Rest, und der Exekutive Roller, wie das Segment heißt, beschleunigt ordentlich, während die Schräglage kontinuierlich steigt.

Foto: Werk

Doch bevor die ersten Trümmer des Honda aufsetzen, bremst ein alter Steyr-Truck unseren Vorwärtsdrang. In großen Lettern verkündet er, dass er Bier geladen hat, um die Emotionen ein wenig anzukurbeln; regen romantische Bilder den Bierdurst an. Doch ich kann jetzt nicht ans Bier denken. Auch wenn ich mir sicher bin, dass die Fahrerin des Lincoln, die aussieht wie eine Mischung aus Dolly Parton und Peggy Bundy, nicht hinter mir her ist, will ich es nicht darauf ankommen lassen. Aber den Lkw hier zu überholen, könnte die Polizei auf den Plan rufen, und ich wüsste nicht, wie ich dem Mann mit Kappe die Herkunft der Million Dollar erklären könnte.

Foto: Werk

Ich bleibe dicht am Bierkutscher, und erst, als wir auf der Autobahn sind, schere ich aus, drehe den Gashahn des SW-T600 auf Anschlag und ziehe davon. Durch den langen Radstand von 1600 Millimeter fährt der Honda auf der Autobahn wie auf Schienen. Trotzdem macht er dann bei den Spurwechseln einen agilen Eindruck. Doch ich muss aufpassen. Als mein Blick auf den Tacho fällt, bin ich weit jenseits der 130 km/h unterwegs. Noch lange, bevor der Hunderter anfängt, reihe ich mich in der ersten Spur ein. Vom Lincoln ist nichts mehr zu sehen. Sicherheitshalber drehe ich Ehrenrunden zwischen dem Verteilerkreis Favoriten, der S1 und der A4.

Foto: Werk

Bis zur Autobahnabfahrt Landstraße behalte ich den Rückspiegel im Auge, und ich weiß nicht, ist es die Panik vor Verfolgern, oder die Freude darüber, in einem Zweirad-Spiegel einmal zu sehen, was hinter einem passiert. Auf Motorrädern kann man ja in der Regel nicht viel mehr sehen als die Fliegen auf den Ellenbögen, die man in den letzten Jahren gesammelt hat. Bei den meisten Rollern hingegen sieht man nicht einmal das. Der Spiegel ist zwar so angebracht, dass man wirklich nach hinten schauen kann, durch die Vibrationen des Motors entsteht aber oft nur ein psychedelisch zitterndes Bild der Welt, die man soeben hinter sich gelassen hat.

Foto: Werk


Ich halte unweit der Autobahnabfahrt bei dem Containerdorf, in dem man über Jahre Sachen lagern kann und miete mir dort einen Abstellraum auf falschen Namen und bezahle bereits für sechs Monate im Voraus. Hier wird niemand das Geld finden, und ich kann in Ruhe und auf weiteren 378 Seiten herausfinden, woher es kommt und mir überlegen, was ich damit mache. Ich stelle den Roller ganz nah an den Eingang zu meinem Lagerabteil. Es ist dunkel und gespenstisch.

Foto: Werk

Als ich das Gepäckfach öffne, strahlt mich aber natürlich keine Million Dollar an, sondern die Innenbeleuchtung rückt einen Helm in bedrohliches Licht. Vor zwei Stunden hätte ich meine Frau vom Friseur abholen sollen. Doch sie wird nicht böse sein. Gleich neben dem Friseur ist ein Juwelier, und ich weiß, dass sie nicht mehr vor der Auslage steht.

Foto: Werk