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Gewinnt der Schotte Murray am Freitag gegen Nadal und am Sonntag im Finale, gilt er auch den Engländern als Brite.

Foto: REUTERS/Suzanne Plunkett

Wimbledon/Wien - Sollte Andy Murray am Sonntag das Finalspiel in Wimbledon gewinnen, bedeutete dies zweierlei. Für den 24-Jährigen wäre es der erste Sieg in einem Grand-Slam-Turnier und für ganz England der erste Finalerfolg seit 75 Jahren. 1936 hatte Fred Perry den Deutschen Gottfried von Cramm in weniger als einer Stunde mit 6:1, 6:1, 6:0 vom Platz gefegt. Zur Ehrenrettung Cramms sei angemerkt, dass er sich im ersten Satz eine Muskelzerrung zugezogen hat.

Murray und Perry eint eines: Der Grundstein für die allgemeine Anerkennung ist der Erfolg. Gewinnt Murray am Sonntag, gilt er auch den Engländern als Brite, andernfalls bleibt er Schotte. Zuzuschreiben hat sich Murray das ein bisschen selbst. Während der Fußball-WM 2006 hatte er bekannt, dass er jedes Team unterstütze, nur nicht das englische. Der Teenager ahnte nicht, welch Endlosschleife des medialen Vorwurfs er sich mit seiner jugendlichen Unbedachtheit gelegt hatte.

Fred Perry hingegen brauchte gar nichts zu sagen. Hier hatte die Geburt dafür gesorgt, dass sich das Kind eines Baumwollspinners und Abgeordneten der linken Co-operative Party Ansehen nur durch harte Arbeit verdienen würde. Als Perry 1934 zum ersten Mal die All England Championship von Wimbledon gewann, wurde dem 25-Jährigen die Klubkrawatte nicht wie traditionell üblich verliehen, sondern einfach in die Umkleidekabine gehängt. Die feine Gesellschaft, meinte Perry später, fand es degoutant, dass "das dreckige Arbeiterkind ihre weiße Tenniswelt beschmutzte".

In seiner Jugend spielte Perry ausgezeichnet Tischtennis, 1929 gewann er die WM. Wenig später wechselte er zum Tennis. Kraft und Ausdauer für seine ihm typische athletische Spielweise holte er sich im Training mit den Fußballern des FC Arsenal. 1931 wurde er erstmals ins Daviscup-Team berufen, mit seinem Freund Henry Austin entthronte er 1933 den seit sechs Jahren regierenden Champion Frankreich. Zwischen 1933 und 1936 gewann er acht Grand-Slam-Titel, bei seinen drei Wimbledon-Finalspielen (1934 bis 1936) verlor er keinen einzigen Satz. Mangels Vermögens unterschrieb er nach seinem letzten Wimbledon-Triumph einen Profivertrag und übersiedelte in die USA. Seine Landsleute nahmen es ihm krumm, des schnöden Mammons wegen auf die Ehre, sein Land im Daviscup repräsentieren zu dürfen, zu verzichten.

Der Modeschöpfer

Wohlbestallt kehrte er 1947 nach England und als prominenter Zuschauer auch nach Wimbledon zurück. Er fand die grünen Armee-Shirts, in denen die Spieler antraten, derart erbärmlich, dass er 75 weiße Polos anfertigen ließ und diese an die Athleten verschenkte. So wie sein französischer Tenniskollege René Lacoste bereits in den 1930er-Jahren, startete auch Fred Perry eine zweite Karriere als Modeschöpfer. Der Siegeslorbeer, der als Logo die Fred-Perry-Produkte bis heute kennzeichnet, soll auf eine Idee der beschenkten Spieler zurückgehen. Als Dankeschön versahen sie die Polos mit einem entsprechenden Symbol. Gerade dieses bescherte der Marke in jüngerer Vergangenheit eine zweifelhafte Reputation als Neonazi-Garderobe. Exklusiver Vertrieb und neue Imageträger wie Steve Morissey und US-Rapper Jay-Z sollen dazu beitragen, diesen Ruf wieder loszuwerden. Fred Perry, der bis zuletzt den Tennissport interessiert verfolgt hatte, starb 1995 während des Grand-Slam-Turniers von Melbourne im 86. Lebensjahr. Seit 1984 erinnert eine Statue vor den Toren Wimbledons an den ehemaligen Proletarier des Tennissports. (Thomas Karn, DER STANDARD, Printausgabe, Freitag, 1. Juli 2011)