Letzter Auftritt: Schüssel verlässt die Politik nach 32 Jahren "mit leichtem Herzen, weil ich mein Amt immer nach bestem Wissen und Gewissen ausgeübt habe"

Foto: Standard/Cremer

Von all denen, die sich im viel zu kleinen und viel zu heißen Arbeitszimmer von Wolfgang Schüssels ehemaliger Pressesprecherin Heidi Glück zusammengefunden haben, scheint Schüssel selber am wenigsten zu schwitzen. Den Abschied aus der Politik, den er kurz davor bei ÖVP-Klubchef Karlheinz Kopf eingereicht hat, sieht er mit gemischten Gefühlen. Den Angriffen der Journalisten, die in Schüssels Rückzug eine Art Schuldeingeständnis sehen wollen, begegnet er ohne erkennbare Gefühlsregung.

Aus seiner Partei gab es durchgehend Lob dafür: Parteichef Michael Spindelegger erklärte, er sei Schüssel zu Dank verpflichtet. Klubchef Karl-Heinz Kopf beklagte die "Vernaderungen" im Zuge der Telekom-Affäre. Diese seien "ein durchsichtiges Manöver, um eine Regierungsbeteiligung der SPÖ auf alle Zeiten abzusichern".

Die Führungsspitze der ÖVP zeigte sich hinter vorgehaltener Hand aber durchaus erleichtert über den Abgang von Schüssel. Das Ausscheiden Schüssels aus dem Parlamentsklub sei ein Auftakt zu einer Neuorientierung der Partei, Vizekanzler Spindelegger könne sich jetzt seinen Handlungsspielraum erarbeiten.

Schüssel ist gewohnt, dass seine Arbeit wenig mediale Zustimmung erhält. Er ist auch die Aufgeregtheit gewohnt, mit der er gefragt wird, ob er wegen der jetzt von der Justiz untersuchten möglichen Unterschleife in seiner Amtszeit gar kein schlechtes Gewissen habe. Nein, im Gegenteil: Für das, was er überschauen konnte und noch heute überschauen kann, habe er "ein ganz gutes Gewissen" .

Und dann doch Gefühle, ein bisserl Pathos, der Wunsch, ein Geschichtsbild für künftige Lehrbücher vorzuzeichnen: "Das bleibt" , sagt Schüssel immer dann, wenn er eine aus seiner Sicht besonders gut gelungene Reform beschreibt. Er zählt sie auf, alle: von der Pensionsreform, die gelungen wäre, wenn seine Nachfolger sie nicht verwässert hätten, bis zur Schaffung von 300.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen "in unserer Zeit" .

Ja, und natürlich die Privatisierungen, die jetzt von der Justiz untersucht werden. Schüssel ist überzeugt, dass sie richtig waren. In der Sache sowieso, aber auch in der Abwicklung. Bei der Buwog etwa, an deren Privatisierung Peter Hochegger und Walter Meischberger mitgeschnitten haben, sei alles transparent gewesen, verschlossene Kuverts wurden vor laufender Kamera geöffnet. Wenn jemand eine besser gegen Manipulation gesicherte Vorgangsweise kenne, dann bitte melden.

Keiner meldet sich, alle fragen nach: Wenn das also alles so sauber, transparent und manipulationssicher abgelaufen ist - warum sind dann überhaupt hochdotierte Berater bezahlt worden?

Schüssel lächelt. Was ein Bieter mit seinem Geld mache, könne er nicht beurteilen. Er finde das - ehrlich gesagt - auch seltsam. Und darum, bitte, solle man das ja auch untersuchen, umfänglich, und vollinhaltlich Klarheit schaffen. Er persönlich wolle dem nicht im Wege stehen. Deshalb sei er jetzt aus seinem letzten (übrigens unbezahlten) politischen Amt ausgeschieden.

Geschäftlich habe er ohnehin viel zu tun - unter anderem in seiner umstrittenen Aufsichtsratsfunktion im Stromkonzern RWE. So ganz nebenbei versucht Schüssel auch hier eine Imagepolitur: Es sei gerade dort wichtig, dass jemand im Aufsichtsrat sitze, der gegen Atomstrom ist und sich für den Ausbau erneuerbarer Energien einsetzt (RWE investiert da heuer 1,5 Milliarden Euro).

Politik kein Thema

Zurück zur Sache, bitte: Wie denn wohl Schüssels Verhältnis zu den Lobbyisten Peter Hochegger und Alfons Mensdorff-Pouilly sei? Ersteren kenne er gar nicht. Und den umtriebigen Grafen habe er als Ehemann seiner ehemaligen Generalsekretärin und Ministerin Maria Rauch-Kallat wohl kennengelernt. Aber über Politik habe er mit ihm nicht gesprochen - stattdessen habe er Rauch-Kallat eindringlich ermahnt, dass ihr Mann keine Geschäfte mit der Republik Österreich machen solle.

Da jedermann seine Haltung zur Jagd kenne, habe er auch keine entsprechenden Einladungen bekommen oder gar annehmen können. Wobei Schüssel überzeugt ist, dass die Anti-Korruptionsbestimmungen in solchen Fällen ohnehin nicht greifen: Es sei doch Unsinn, Korruption daran festmachen zu wollen, ob sich jemand bei den Salzburger Festspielen einen Kaffee zahlen oder eine Eintrittskarte schenken lasse.

Tatsächlich geht es ja auch aktuell um andere Größenordnungen - etwa um mögliche Zahlungen der Eurofighter-Mutterfirma EADS an die ÖVP. Aber die habe es seines Wissens nicht gegeben, er hätte so etwas auch wütend abgelehnt, sagt der Ex-Kanzler. Es geht auch um das Verhalten seiner ehemaligen Regierungsmitglieder Karl-Heinz Grasser, Hubert Gorbach und Ernst Strasser. Ob er sich in all denen getäuscht habe?

Schüssel bekundet, im Allgemeinen eine gute Menschenkenntnis zu besitzen. Aber er könne weder ausschließen, dass jemand sein Vertrauen missbraucht hat, noch sei er verantwortlich dafür, was jemand nach dem Ausscheiden aus der Politik privat oder geschäftlich macht. Auch dann nicht, wenn das für die Betreffenden "nicht gut ausschaut" . (Conrad Seidl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 6.9.2011)