So kleinlaut haben die Bolivianer ihren Staatschef noch nie erlebt. Am Montagabend gab Evo Morales eine 15-minütige Erklärung im Radio und Fernsehen ab: "Wir weisen die Auswüchse zurück, wir teilen die Gewalt nicht, die Misshandlung unserer indigenen Brüder, die auf dem Marsch waren", begann er und kündigte eine "gründliche Untersuchung" der "unverzeihlichen" Vorfälle an.

Tags zuvor hatten 500 Polizisten mit Tränengas und Schlagstöcken nach 42 Tagen den Protestmarsch von rund Tausend Tieflandindianern aufgelöst, die nach La Paz ziehen wollten. Die Marschierer wehren sich gegen den Bau einer Fernstraße durch das Naturschutzgebiet Isiboro-Sécure, in dem rund 15.000 Angehörige dreier Indianervölker wohnen.

Die Spezialeinheiten drangen in ein Zeltlager der Straßenbaugegner ein und zerrten sie, darunter viele Frauen und Kinder, in bereitstehende Busse. Daraufhin trat Verteidigungsministerin Cecilia Chacón zurück. "So nicht! Wir haben mit dem Volk vereinbart, die Dinge anders zu machen", schrieb sie an Morales. Im ganzen Land kam es zu Protesten, der Gewerkschaftsdachverband COB kündigte einen Generalstreik an.

Evo Morales kündigte eine "nationale Debatte" an, bis dahin sei das Projekt ausgesetzt. Wie schon Stunden vor dem Polizeieinsatz deutete der sozialistische Präsident an, er könne die Entscheidung über den Straßenbau über eine Volksabstimmung in den Provinzen Cochabamba und Beni sanktionieren lassen.

Seit Monaten argumentiert die Regierung, die 306 Kilometer lange Straße, die in Nord-Süd-Richtung von San Ignacio de Moxos nach Villa Tunari verlaufen soll, sei wichtig für die Entwicklung des Landes. Die Straße gehört zu einer geplanten Verbindung vom südlichen Amazonasgebiet zum Pazifik, auf der brasilianische Rohstoffe nach Asien transportiert werden sollen. Die Tieflandindianer fordern eine Alternativroute für den mittleren Streckenabschnitt, der durch das artenreiche Schutzgebiet verlaufen soll. (Gerhard Dilger aus Porto Alegre, STANDARD-Printausgabe, 28.9.2011)