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Präsidentschaftskandidat Martin McGuinness: Als langjähriges hochrangiges Mitglied der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) hat er hunderte Menschenleben auf dem Gewissen.

Foto: Reuters/McNaughton

Peinliche Fotos, zweifelhafte Geschäftsfreunde, Vorstrafen: Kandidaten für politische Ämter sehen sich häufig mit der rhetorisch gemeinten Frage konfrontiert, ob sie "eine Leiche im Keller" haben. Dem prominentesten Bewerber um das irische Präsidentenamt wird diese Frage erspart bleiben. Auf der Grünen Insel weiß jedes Kind: Als langjähriges hochrangiges Mitglied der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) hat Martin McGuinness (61) dutzende, ja hunderte Menschenleben auf dem Gewissen.

Dass er nun als Kandidat der nationalistischen Sinn Féin das Amt des Staatsoberhauptes anstrebt, schreckt die Politik in Irland auf. Neutrale Beobachter wie Politik-Professor David Farrell von der Dubliner Universität räumen ihm eine "realistische Chance" ein: "McGuinness kann gewinnen." Das liegt weniger an der Regierungserfahrung, die der Vizechef der Allparteienregierung in der britischen Provinz Nordirland in die Waagschale legen kann. Auch McGuinness' persönlicher Charme wird nicht den Ausschlag geben, wenngleich die öffentlichen Auftritte des bekennenden Katholiken mit dem protestantischen Fundamentalistenprediger Ian Paisley in Belfast als "Allianz der Kicherbrüder" legendär wurden. Wer mit einstigen Todfeinden wie Paisley oder dessen Nachfolger Peter Robinson "eine positive Arbeitsbeziehung aufbauen" könne, argumentiert der Kandidat, "kann alles Mögliche erreichen" .

Für den asketischen Antialkoholiker spricht vor allem die Schwäche der Gegner. Die Parteien der Regierungskoalition von Premier Enda Kenny, Fine Gael und Labour, haben eigene Kandidaten aufgestellt, die als ebenso ehrenwert wie blass gelten. Vor allem aber kommt dem Nationalisten McGuinness zugute, dass die nationalkonservative Fianna Fáil auf einen eigenen Kandidaten verzichtet.

Für McGuinness, den Sohn einer Arbeiterfamilie aus (London-)Derry, wäre der Einzug in den Amtssitz des irischen Präsidenten mit dem klingenden gälischen Namen Áras an Uachtaráin die Krönung einer bemerkenswerten Wandlung. Ende der Sechzigerjahre wurde der Fleischhauerlehrling durch die blutige Niederschlagung der Bürgerrechtsbewegung politisiert, war wenig später schon IRA-Führer. Er selbst habe "nie getötet", behauptet der verheiratete Vater vier erwachsener Kinder. Ob er Hinrichtungen und Attentate angeordnet hat? Darauf verweigert der Möchtegernpräsident die Antwort. (Sebastian Borger/DER STANDARD, Printausgabe, 29.9.2011)