In seiner ersten Ansprache nach der langwierigen Stimmenauszählung versprach der nächste Präsident Irlands, Michael D. Higgins, eine neue Epoche. Die Zeit, als der Wert eines Menschen an seinem Vermögen gemessen wurde, sei vorbei. Der "enge Individualismus", der die Jahre des ungestümen Wirtschaftswachstums geprägt hatte, gehöre der Vergangenheit an, erklärte der Veteran der irischen Labour-Partei, der nach einem wenig erbaulichen Wettbewerb unter sieben Kandidaten und Kandidatinnen das deutlichste Wählermandat in der Geschichte der Republik erhalten hatte.

Fast die Hälfte seines Lebens verbrachte der Soziologe und Politikwissenschafter aus dem irischen Westen in verschiedenen Ämtern im Parlament. In den 1990er-Jahren diente er zeitweise als Kulturminister und gründete dabei das irischsprachige Fernsehen. Der inzwischen 70-jährige Higgins hatte sich stets für Menschenrechte in der Dritten Welt engagiert und dabei zahlreiche Kontakte geknüpft. Er entstammt dem - eher winzigen - linken Flügel seiner Partei, weshalb er in seinem konservativen westirischen Wahlkreis lange auf ein Wählermandat warten musste. Diese persönliche Geschichte erlaubte es Higgins, der in seiner Freizeit Gedichte auf Englisch und Irisch (Gälisch) verfasst, im Wahlkampf den Eindruck zu vermittelt, er sei mehr als ein Apparatschik der Labour-Partei, die zurzeit einen Teil der Regierungskoalition bildet.

Sein staatsmännisches - gelegentlich etwas bombastisches - Auftreten hob sich wohltuend vom großteils persönlichen Zank unter den restlichen Kandidaten ab. Der einstige Rebell bot so eine Zuflucht für zahlreiche Wähler, die seine politischen Ansichten keineswegs teilen.

Damit wiederholt sich gewissermaßen die irische Geschichte: Auch die progressive Rechtsprofessorin Mary Robinson wurde 1990 gewählt, obwohl ihre Meinungen von jenen der Mehrheit abwichen. In beiden Fällen aber kamen die Wähler zum Schluss, dass sie nach außen ganz gerne von einem geistreichen, radikalen Kopf repräsentiert werden wollen.

So versprach Higgins, der die Welt durch ein von Kultur geprägtes Prisma betrachtet, umgeben von seiner Gattin Sabina und seinen vier erwachsenen Kindern am Samstag eine "Präsidentschaft der Ideen". Er wird sein Amt formell am 11. November antreten und im Palais des Präsidenten, Áras an Uachtaráin, im Dubliner Phoenix Park residieren. (Martin Alioth, DER STANDARD-Printausgabe, 31.10./1.11.2011)