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Klar Schiff und Übersicht behalten unter dem Klagenfurter Stadtpfarr- turm: Denn Kärnten will Kärnten bleiben. Halodia! Wir machen weiter wie gehabt.

Foto: APA/GERT EGGENBERGER

Moin Moin, Peter!

Es ist wohl Zeit, dass ich Dir einige gastliche Stätten empfehle. Doch auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Gib bloß Acht bei Deinen Recherchen, keine Fraternisierung! Nicht weil Du am Ende noch ein Blauer werden könntest, an diesem Punkt mache ich mir keine Sorgen; wenn überhaupt, bekommst Du nur ein paar blaue Flecken. Schon gar nicht sollst Du aufpassen, weil sonst auch der neue Herr Stadtschreiber so melancholerisch daherkommt wie der alte. Nein, ich sag's Dir: Weil den Kärntnern die Neigung zur Melancholie gegeben sein soll, zusammen mit dem Talent, sich ohne jeden Grund zu Tode zu saufen. Das jedenfalls behauptet der Wiener PR-Experte und geborene Drautaler Wilfried Seywald. Seiner Erfahrung nach geben sich diese Leute ohne Motto und Motiv die Kante, und kein Zugereister kann verstehen, welchen Kampf die Kärntner Seele mit sich selber führt (...). Bei Deiner Trinksafari vor Ort solltest Du unbedingt das Vrabac am Lendkanal aufsuchen, eine Art Trinkerkirche, die Dich auch an Sonntagen empfängt. Diese Schankwirtschaft für Arbeiter und Leute, die schon einmal gearbeitet haben, besticht durch einen entzückenden Biergarten, der von Hecken umschlossen und ein ganz wunderbares Fleckchen Erde ist. (...) Und im Vrabac habe ich ein Gefühl dafür bekommen, wie schön es bei uns in Berlin am Prenzlauer Berg sein könnte. Bei uns daheim existiert nur noch öde Café-Monokultur (...).

Es hat eine Weile gebraucht, aber irgendwann bin ich hier nicht mehr gefragt worden, was ein Stadtschreiber ist. Ein Stipendium ist das, habe ich gesagt, das am Publikumspreis dranhängt, am Hypo-Alpe-Adria-Publikumspreis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. Daraufhin haben sie immer gelacht. Denn das nach der Kärntner Kreditanstalt benannte Preisgeld, immerhin 7000 Euro, hat ja in Wahrheit der bayrische Steuerzahler spendiert, dessen Landesbank die Hypo 2007 für weiß ich wie viele Milliarden gekauft und zwei Jahr später ohne Gegenleistung zurückgegeben hat. – Peter, wenn ich es heute bedenke, sind wir beide auf der ganzen Welt die einzigen Hypo-Alpe-Adria-Literaturpreisträger!

Inzwischen hat ja ein Kärntner Glasmacher das Sponsoring für den Preis übernommen, solche wie uns wird es also nie wieder geben. Wobei wir noch einen Dritten im Bunde haben: den bemerkenswerten Dietrich B., den Jörg Haider liebevoll "Birni" gerufen haben soll. (...) Ob er den Hypo-Alpe-Adria-Literaturpreis wirklich verdient hat, kann ich nicht beurteilen. Manche Gutachten sagen ja, andere nein. Auf jeden Fall hat Birni für gerade mal sechs Maschinenseiten satte sechs Millionen Euro kassiert. Mich wundert nur, dass sein Werk Rückführung Wandelanleihe. Anteilsveräußerung Hypo Alpe Adria Bank International AG – Sinnhaftigkeit, Zweckmäßigkeit, Machbarkeit bislang keinen Verleger gefunden hat. (...)

Klagenfurt hat auch noch andere hervorragende Lokalitäten vorzuweisen. Etwa das Raj in der Badgasse. Die haben ein Hausbier, sage ich Dir! Das "Paradies", so die Übersetzung der Vokabel "raj" aus dem Slowenischen, kann sich leider nicht jeder leisten. Und die, die Geld haben, gehen ins Maria Loretto, das auf der berühmten Halbinsel in den Wörthersee hineinragt. (...) Vom Preis-Leistungs-Verhältnis wie auch vom Ambiente her zu empfehlen ist da schon eher das Theatercafé am Stadttheater. Die Wirtin, Frau Veronika, ist in jeder Hinsicht integer und ihr Lokal eine Institution. Frau Veronika kann, mit Günter Grass gesprochen, Gefühle in Wiener Schnitzeln ausdrücken. Wenn Du aber nicht nur ein Erlebnis suchst, sondern auch eine Erfahrung, dann geh ins Gasthaus Zum Pumpe, nahe dem Benediktiner-Markt. Und nach drei Bieren sagst Du in geselliger Runde: "Leute! Ick kann nich verstehn, dass einje von euch so fremdnfeindlich sind, wo ihr ja selber och keene richtjn Deutschn seid. Wa?!" Und dann einfach warten, bis Du stirbst. (...)

Über das Wesen der Klagenfurter Schanken, wo sich die Einheimischen angeblich ohne jeden Grund betrinken, gäbe es noch einiges zu berichten, erst recht über dessen Abgrund: So wurde 1987 auf der Herrentoilette der Hirter Botschaft, die damals noch Volkskeller hieß, Leopold Wagner niedergeschossen. Der damalige Landeshauptmann hat das Attentat zwar überlebt, von diesem Tage an aber ging es mit den Sozen in Kärnten nur noch bergab. Und wie der Volkskeller trug auch das Café Lerch lange Zeit einen neuen Namen: Wiener Wald. Ein gewisser Udo Jürgens (Ich wünsch dir Liebe ohne Leiden) gab dort vor vielen Jahren seine ersten Konzerte. Veranstalter war kein Geringerer als Ernst Lerch, der ehedem als SS-Sturmbannführer an der "Aktion Reinhardt" mitgewirkt hatte, also an der Ermordung von über zwei Millionen Juden und etwa 50.000 Roma aus Polen und der Ukraine. Werner Koflers Tanzcafé Treblinka, das vor diesem Hintergrund spielt, wurde 2001 im Stadttheater Klagenfurt uraufgeführt – vier Jahre nachdem Ernst Lerch gestorben war, von jeglicher Strafverfolgung unbehelligt.

Und die Kärntner? Die haben lange vergessen, was sie vergessen wollten: Historiker schätzen die Gesamtzahl der NS-Opfer in und aus Kärnten im Bereich von zehntausend gezielt Ermordeten und wissentlich dem Verderben preisgegebenen Menschen. Diese zehntausend Toten sind nahezu völlig vergessen, denn die Erinnerungspolitik konzentriert sich seit jeher auf die 55 toten Abwehrkämpfer nach dem Ersten Weltkrieg.

Am besten, lieber Peter, Du denkst gar nicht darüber nach; genieße die Zeit am Wörthersee und trink Dein Bier. Und dafür empfehle ich Dir das Vrabac am Lendkanal. Das Vrabac ist mehr als eine Schankwirtschaft, wie gesagt: eine Art Trinkerkirche, ein Hort der Meditation und Kontemplation. Hier finden die Menschen Trost. Walter, der Mann hinter der Theke, nimmt bereitwillig die Gebete entgegen, und er vergibt auch, sogar Dir. Denn in Klagenfurt kann man, nüchtern betrachtet, nur saufen – oder baden gehen.

Bis denne erst mal, Karsten

Du Karsten im fernen Berlin!

Über Klagenfurt will ich nun eine Geschichte erzählen, die alle Macht hier ins Visier nimmt. Am Tag der Erkenntnis sitze ich beim Pumpe ... weißt Du alter Auskenner überhaupt, warum dieses Gasthaus diesen seltsamen Beinamen hat? Weil man da in schlechten Zeiten auf Pump trinken konnte! Ich also mittendrin in diesem Bedienmichparadies. Am Nachbartisch hocken Politiker. Aus ihren Reihen ist ein Amtsträger zur Haftstrafe wegen verbotener Geschenkannahme verknackt, also, wie ich es verstehe, der Korruption oder der aggressiven Parteispendenbettelei überführt worden. Noch nicht rechtsgültig zwar, aber eu, eu, lieber Brieffreund. Da solltest Du amol die hohen Herren beieinander am Tische tuscheln gesehen haben. Ha, ha, lache ich herzlich auf. In ihren gebügelten Hemden und diesen lila Pullovern, als Unschuldsbekenntnisse in Violett, hocken sie wie übertölpelte Geier beisammen. Haben glattweg vergessen, im Gastraum wie richtige Politiker zu renommieren. Die feinen Herren sind unentwegt am Gestikulieren und stecken ihre Köpfe weibisch zusammen. Diese sonst doch ach so mannisch schick frisierten Politikerköpfe. Nahezu durchwühlt ein jeder Schopf vom Haareraufen, heftigen Nicken. Und blicken sich vereinsmeierisch in die Pupillen. Reden leise, aber heftig. Sehen sich um wie sonst nicht im Leben; wie auf dem Schulhof, auf der unsicheren Seite. Und hören einer dem anderen zu, was ja anderntags unter Politikern kaum der Fall sein muss. He, Du. Dieses Mal hat der Schuss vorm Bug gesessen. Dieses Mal sind sie durchweg, allesamt beunruhigt. Oh ja. Wie sehr es ihnen an den Kragen geht. Verlieren glattweg ihre arroganten Grundwerte und Übermutshaltungen. Verlieren ihr überhebliches Grinsen. Wollen doch nur ungestört weiter die kärntnerische Variante der wohlmeinenden Korruption ausleben! Ist doch uralte Tradition und anderswo auch nicht anders?!

Und wo es nicht hinreicht, am Tische zu tuscheln, stehen zwei der verdächtigen Amtsmissbrauchsherren wie betroffene Hinterbliebene auf, gehen wie kleine Buben aufs Männerklo. Stehen dort, die Arme gekreuzt, und tuscheln weiter, ohne das menschliche Geschäft zu verrichten. Ich erlebe es mit, denn ich spioniere ihnen nach. Sie tuscheln unhörbar zur anstehenden Problematik: die Bedrohung ihrer Macht. Klopfen sich auf die Schultern. Kneifen sich in die Popos, so kommt es mir vor, da an den Männerklos. Und versichern sich ihres Beistandes und schenken sich kärntnerische Stärkung à la: Klar Schiff und Übersicht behalten. Über allem Geschehen sturer Kärntner sein. Halodia. Wir machen weiter wie gehabt. Ob nun im Latrinenbereich, ob nun als Laufburschen der Macht ... Und da fiel es mir auf, wie nahe sich Klo, Po, Latrine und Politik sind. Im Laufe meines Lebens habe ich viel Sonderbares gesehen, nie aber solch verbissenes Karrierebestreben wie in Kärnten angetroffen. Was auch passiert, es wird nicht abgeblasen, aufgegeben. Es wird frech in der Position geblieben, an der gesellschaftlichen Höherstellung festgehalten. Es wird weiter Arroganz gelebt, vom Bewusstsein getankt, über dem Volk, über den Normalmenschen zu stehen. Wir sind Politiker. Wir haben es zu etwas gebracht, sagen sich diese Herren und möchten in ihrem Leben nicht einen Zipfel mehr von ihrer Macht freigeben.

Die Sonderheit der Kärntner Misspolitik besteht in ihrem Pochen auf Sonderstellung. Kärnten will Kärnten bleiben. Der rechtliche Sonderraum. Im am Abend rasch einberufenen TV-Programm befragt, was los sei in Kärnten, wiederholt der Landesvater furchtlos: Ja, was denn! Alle dürfen dürfen, und wir Kärntner sollen nicht dürfen dürfen? Warum dürfen wir in Kärnten nicht dürfen, wie immer in Kärnten gedurft werden durfte, hier, wo doch alle immer alles dürfen. Wir wollen dürfen dürfen, was nur wir Kärntner dürfen! Na dann, gute Nacht,

Peter

(DER STANDARD/ALBUM – Printausgabe, 10./11. Dezember 2011)